Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsanspruch bei Heimunterbringung eines minderjährigen Kindes
Leitsatz (amtlich)
Ein Unterhaltsanspruch setzt Bedürftigkeit voraus. Ab dem Tage einer Heimunterbringung besteht diese nicht mehr, denn der Bedarf des Kindes ist gedeckt. Wem der Anspruch auf Jugendhilfe zusteht hat hierauf keinen Einfluss.
Normenkette
BGB §§ 1601-1602; SGB VIII § 10 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Oschersleben (Urteil vom 08.03.2007; Aktenzeichen 34 F 2/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 8.3.2007 verkündete Urteil des AG - FamG - Oschersleben abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, zu Händen ihrer allein sorgeberechtigten Mutter I.J., für die Zeit vom 1.12.2005 bis 30.11.2006 Kindesunterhalt i.H.v. insgesamt 2.063 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 3.410 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 10.10.1994 geborene und - nach Aufhebung der Beistandschaft - von ihrer Mutter vertretene Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Vater, auf Zahlung von Unterhaltsleistungen i.H.v. 100 % der jeweiligen Altersstufe der Regelbetragverordnung in Anspruch, und zwar für die Zeit ab Dezember 2005.
Das AG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.
Gegen diese ihm am 19.3.2007 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte am 13.4.2007 Berufung eingelegt, die er am 8.5.2007 begründet hat. Er meint, die Klägerin sei nicht ak-tivlegitimiert, weil sie in der streitigen Zeit Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezogen habe. Außerdem sei die Klägerin im Rahmen von Jugendhilfemaßnahmen in einem Heim untergebracht, so dass ihr Bedarf auf diese Weise vollständig gedeckt sei. Schließlich sei seine Leistungsfähigkeit vom AG unrichtig beurteilt worden.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des FamG abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und legt eine Rückabtretungsvereinbarung mit dem Landkreis B. vor, in welcher die Rückabtretung von Unterhaltsansprüchen für die Zeit vom 1.5.2006 bis 8.10.2006 vom Landkreis an die Klägerin dokumentiert ist. Außerdem reicht sie einen Bescheid des B. vom 5.10.2006 zu den Akten, wonach für die Klägerin ab 1.12.2006 Jugendhilfe in Form einer Heimunterbringung bewilligt wurde.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens nimmt der Senat Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil und auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II. Die Berufung des Beklagten hat teilweise Erfolg. Der Klägerin steht gegen den Beklagten für die Zeit von Dezember 2005 bis einschließlich November 2006 ein Unterhaltsanspruch nur in der tenorierten Höhe zu. Im Übrigen ist die Klage nicht begründet und deshalb abzuweisen.
1. Ein Unterhaltsanspruch des Klägers gem. § 1601 BGB setzt nach § 1602 Abs. 1 BGB Bedürftigkeit voraus; sie besteht ab dem Tage der Heimunterbringung, also ab 1.12.2006, nicht. Denn durch diese Unterbringung ist der Bedarf der Klägerin unabhängig von der Frage gedeckt, wem der Anspruch auf die Jugendhilfe zusteht.
Zwar sind die Leistungen der Jugendhilfe im Grundsatz wie alle Sozialleistungen ggü. dem zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch subsidiär, wie sich aus § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII entnehmen lässt. Danach werden Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger, durch die Jugendhilfe nicht berührt. Diese Regelung wird aber durch die speziellen Heranziehungs- und Übergangsvorschriften der §§ 92, 94 SGB VIII konkretisiert. In der bis zur Neuregelung ab 1.10.2005 geltenden Fassung unterschied das SGB VIII bei der Frage des Anspruchsübergangs noch danach, ob das Kind vor der Jugendhilfemaßnahme mit dem unterhaltspflichtigen Elternteil zusammengelebt hatte oder nicht. Hatte es mit ihm zusammengelebt, dann war schon damals ein Rückgriff des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe im Wege des übergangenen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs nicht mehr möglich, sondern nur noch durch Erhebung eines öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrages (vgl. § 94 Abs. 2 und 3 a.F.). In diesem Fall war der Unterhaltsbedarf des Kindes oder Jugendlichen auch schon damals durch die mit der Heimunterbringung einhergehenden Leistungen vollständig gedeckt, die Möglichkeit einer Anspruchsüberleitung sah das Gesetz hier nicht vor.
Lebte das Kind schon vor der Maßnahme von den Sorgeberechtigten getrennt, war kein Kostenbeitrag zu erheben, weil der Unterhaltsanspruch des Kindes in Höhe des Betrages, der zu zahlen wäre, wenn die Leistungen der Jugendhilfe außer Betracht blieben, auf den Träger der Jugendhilfe überging. In diesen Fällen war der Unterhaltsbedarf des Kindes wegen der Subsidiarität der Kinder- und Jugendhilfe nicht gedeckt, was einen Übergang seiner Forderungen auf den Träger der Kinder- und Jugendhilfe ermöglichte.
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