Leitsatz (amtlich)
1. Wenn Ehegatten getrennt leben, sich aber in einer Phase der Wiederannäherung befinden, besteht im Hinblick auf ein Näheverhältnis und eine dadurch begründete emotionale Verbundenheit eine widerlegbare tatsächliche Vermutung für die Sittenwidrigkeit einer von einem Ehegatten vertraglich übernommenen Mithaftung für die Verbindlichkeit des anderen Ehegatten, wenn der mithaftende Ehegatte durch die Übernahme der Mithaftung finanziell überfordert wird.
2. Hat der mithaftende Ehegatte zur Zeit des Abschlusses des Kreditvertrages gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Zahlung von Trennungsunterhalt, ist dieser Anspruch bei der Ermittlung der krassen finanziellen Überforderung nicht zu berücksichtigen, weil er bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners und damit im praktisch bedeutsamsten Fall der Inanspruchnahme aus dem Mithaftungsvertrag aller Voraussicht nach entfallen oder erheblich herabgesetzt werden würde.
3. Die an die krasse finanzielle Überforderung des dem Hauptschuldner nahestehenden Mithaftenden geknüpfte tatsächliche Vermutung, dass die Mithaftungsübernahme auf einem sittlich anstößigen Ausnutzen der emotionalen Verbundenheit zwischen Hauptschuldner und Mithaftendem durch den Kreditgeber beruht, ist widerlegt, wenn der Kredit der Finanzierung eines Hausratsgegenstands diente und die Kredithöhe sich im Rahmen dessen hielt, was nach den aus der Selbstauskunft ersichtlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Hauptschuldners und des Mithaftenden vertretbar erschien. Hausratsgegenstand in diesem Sinne kann ein Pkw sein, der für die Gestaltung und Bewältigung des täglichen Lebens des Hauptschuldners und des Mithaftenden eingesetzt wird.
Verfahrensgang
LG Dessau (Urteil vom 14.08.2002; Aktenzeichen 6 O 607/02) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.8.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Dessau geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.304,49 Euro zuzüglich 5 % Jahreszinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 10.591,38 Euro seit dem 22.2.2002 und 4 % Jahreszinsen aus 742,76 Euro seit dem 13.4.2002 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision der Beklagten wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Rückzahlung eines wegen Zahlungsverzugs gekündigten Kredites, der für die Anschaffung eines Pkw bestimmt war. Die Beklagte hält ihre Mithaftung aus dem von ihr und ihrem Ehemann unterzeichneten Kreditvertrag für sittenwidrig.
Die Beklagte hatte sich im Jahre 1998 von ihrem Ehemann getrennt und im Wege der Klage Trennungsunterhalt von ihm beansprucht. Im Jahre 1999 kam es zu einer Wiederannäherung der Eheleute und mit Datum vom 9.3.1999 unterzeichneten beide den im Rechtsstreit als Anlage 1 zur Klageschrift vorgelegten Kreditvertrag mit der A. AG. Diese ist später mit der C. AG, also der Klägerin, als aufnehmender Gesellschaft verschmolzen.
Nach dem Wortlaut des Kreditvertrages wurde dem Ehemann der Beklagten als erstem Kreditnehmer und der Beklagten als zweiter Kreditnehmerin, beide als Gesamtschuldner haftend, ein Nettokredit i.H.v. 29.691 DM gewährt zu Zinsen i.H.v. insgesamt 7.481,72 DM. Der sich so ergebende Gesamtkreditbetrag von 37.172,72 DM (19.006,11 Euro) war in einer ersten Rate i.H.v. 465,72 DM und 71 Folgeraten i.H.v. jeweils 517 DM zurückzuzahlen. Die Beklagte und ihr Ehemann gaben am Tage der Vertragsunterzeichnung außerdem die im Rechtsstreit als Anlage B 1 zur Klageerwiderung vorgelegte Selbstauskunft ab. Ausweislich dieser Selbstauskunft erzielte der Ehemann der Beklagten ein monatliches Nettoeinkommen von 3.000 DM aus seiner beruflichen Tätigkeit als Justizvollzugsbeamter, die Beklagte selbst bezog monatliche Einkünfte i.H.v. 1.000 DM netto aus Leistungen des Arbeitsamtes. Beide gaben in der Selbstauskunft dieselbe Anschrift und dieselbe Telefonnummer an. Ob die Parteien zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung noch getrennt lebten, ist streitig.
Das Darlehen wurde antragsgemäß ausgezahlt, d.h. auf das im Darlehensantrag und in der Selbstauskunft bezeichnete Konto des Ehemannes der Beklagten überwiesen.
Mit Schreiben vom 1.4.1999 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sich die Bankverbindung geändert habe und dass nunmehr die nächsten Zahlungen von ihrem neuen Konto abgebucht werden sollten.
Mit Datum vom 26.4.1999 verpflichtete sich der Ehemann der Beklagten in einem gerichtlichen Vergleich vor dem FamG ...