Entscheidungsstichwort (Thema)
Anteilige Berücksichtigung der im Rahmen der Beratungshilfe entstehenden Geschäftsgebühr nach § 2503 RVG-VV bei Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung
Leitsatz (amtlich)
Liegen die Voraussetzungen für eine Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen, und damit auch für die Bewilligung von Beratungshilfe vor, so ist bei vorgerichtlicher Tätigkeit in derselben Sache von der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV nicht die allgemeine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV, sondern lediglich die im Rahmen der Beratungshilfe entstehende Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 RVG-VV anteilig abzuziehen.
Normenkette
RVG-VV Nrn. 3100, 2300, 2503; RVG § 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Aurich (Beschluss vom 14.04.2008; Aktenzeichen 2 O 215/07) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem LG Aurich wird der Beschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Aurich vom 14.4.2008 abgeändert und die dem der Klägerin beigeordneten Rechtsanwalt auszuzahlende Vergütung auf 1.610,67 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
A. Das LG hat der Klägerin mit Beschluss vom 11.5.2007 für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlungen bewilligt, soweit diese mit der Klage die Leistung eines Betrages von 50.988 EUR begehrt. Im Verhandlungstermin vom 11.10.2007 ist der Rechtsstreit durch Abschluss eines Vergleichs beendet worden. Mit Verfügung vom 15.10.2007 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die an den Antragsteller auszuzahlende PKH-Vergütung auf 1.349,88 EUR festgesetzt (Bl. 7 PKH-Heft). Dabei hat sie einen Betrag von 254,15 EUR abgezogen, weil der Antragsteller bereits vorgerichtlich für die Klägerin tätig geworden sei und ihm deshalb ein Anspruch gegen seine Mandantin auf Zahlung einer 1,3 fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV i.H.v. 508,03 EUR zustehe. Die Hälfte der Geschäftsgebühr - hier 0,65 - sei auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Auf die "Beschwerde" des Antragstellers hat der Einzelrichter der 2. Zivilkammer des LG Aurich mit Beschluss vom 14.4.2008 (Bl. 23 PKH-Heft) die Entscheidung der Kostenbeamtin aufgehoben und die an den Antragsteller auszuzahlende PKH-Vergütung auf 1.652,32 EUR festgesetzt. Hiergegen wendet sich die Beteiligte mit der Beschwerde. Sie meint, die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle habe zu Recht bei der Festsetzung der Vergütung die vom Antragsteller verdiente Geschäftsgebühr in Abzug gebracht.
B. Die Beschwerde der Beteiligten ist gemäß den §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig, hat aber in der Sache nur zu einem geringen Teil Erfolg.
I. Nach der Rechtsprechung des BGH vermindert sich gemäß Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren nach Nr. 3100 RVG-VV anfallende Verfahrensgebühr durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV. Dabei ist es bereits nach dem Wortlaut der Anrechnungsbestimmung ohne Bedeutung, ob die ggf. vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist (BGH NJW 2008, 1323 [1324]). Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gem. § 55 RVG übertragen.
1. Grundsätzlich ist der Rechtsanwalt allerdings nicht gehindert, für seine außergerichtliche Tätigkeit gegenüber seinem Mandanten eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV abzurechnen, auch wenn letzterer für das sich anschließende gerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe erhält. Dem steht insbesondere § 122 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO nicht entgegen, wonach der beigeordnete Rechtsanwalt Ansprüche auf Vergütung gegen die Partei nicht geltend machen kann. Denn diese Vorschrift bezieht sich regelmäßig nicht auf solche Gebühren, die dem Rechtsanwalt bereits vor der Prozesskostenhilfe-Bewilligung erwachsen sind (Stein/Jonas-Bork, ZPO, 22. A., § 121 Rz. 32; Zöller/Philippi, ZPO, 26. A., § 122 Rz. 11; das übersieht AG Bad Iburg, AGS 2008, S. 58, 58 f.).
2. Gleichwohl kommt eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der Partei Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung gewährt worden ist. Denn in diesem Fall sind regelmäßig gem. § 1 Abs. 2 BerHG die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe ebenfalls erfüllt. Die Regelungen des BerHG greifen auch dann ein, wenn der Rechtsanwalt im Hinblick auf ein zukünftiges gerichtliches Verfahren notwendige materiell-rechtliche Schritte einleitet, etwa indem er ein Mahnschreiben verfasst (Schoreit/Groß, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, 9. A., § 1 BerHG Rz. 14). Liegen aber Anhaltspunkte dafür vor, dass der Rechtssuchende zu dem Kreis der nach dem BerHG Berechtigten gehört, ist der Rechtsanwalt gehalte...