Leitsatz (amtlich)

1. Gegenüber dem Anspruch aus § 640 RVO ist – im Gegensatz zu § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII – der Einwand eines Mitverschuldens des Versicherungsnehmers unbeachtlich.

2. Grob fahrlässig i.S.d. § 640 RVO handelt der Unternehmer nicht schon dann, wenn er die nicht ordnungsgemäße Verankerung eines Baugerüstes erkennt, hierauf hinweist und die Gefahrenbeseitigung – anstatt einem gelernten Gerüstbauer – einem erfahrenen Bauhelfer überlässt, sofern nach den Umständen mit dem Einsturz des Gerüstes bei Nachholung seiner Verankerung nicht zu rechnen war.

3. Wird der Unternehmer durch § 636 Abs. 1 RVO zugleich von seiner Haftung als Gebäudebesitzer (hier: Eigenbesitz am Baugerüst) gem. § 837 BGB befreit, entfällt auch die ggü. § 837 BGB subsidiäre Haftung des Grundstückseigentümers (Baugrundstück) aus § 836 BGB.

 

Normenkette

RVO §§ 636, 640; SGB X § 116; BGB §§ 836-837

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Aktenzeichen 5 O 512/98)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Stralsund vom 26.6.2001 – 5 O 512/98 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten. Die Klägerin darf die Sicherheit durch Hinterlegung einer selbstschuldnerischen, unwiderruflichen und unbefristeten Bürgschaft der Postbank Hamburg oder der Hamburger Sparkasse erbringen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 121.837,25 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus § 640 RVO und § 116 SGB X i.V.m. §§ 836, 837 BGB wegen eines Arbeitsunfalls in Regreß, bei dem ihr Versicherter B.M. am 13.6.1995 mit einem nicht ordnungsgemäß verankerten Baugerüst zu Boden stürzte und sich hierbei erheblich verletzte.

Das LG hat die zuletzt auf Verurteilung zur Zahlung von 193.653,33 DM und Feststellung eines materiellen Vorbehalts gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Ansprüche aus § 640 RVO nicht bestünden, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Beklagten weder Arbeitgeber noch Entleiher des Versicherten B.M. gewesen seien. Ansprüche aus §§ 836, 837 BGB seien ausgeschlossen, weil den Geschädigten ein erhebliches Eigenverschulden treffe.

Gegen diese Bewertungen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Sie hält an der Arbeitgebereigenschaft der Beklagten fest. Der Versicherte B.M. sei nach eigener Behauptung im Kündigungsschutzprozess gegen Herrn P.M. (ArbG Rostock – 11 Ca 226/95) Mitte Mai 1995 von den Beklagten beschäftigt und bezahlt worden. Am 1.6.1995 habe er mit Herrn P.M. lediglich ein Scheinarbeitsverhältnis geschlossen.

Die gegenteiligen Bekundungen des Versicherten B.M. in diesem Rechtsstreit seien unglaubhaft. Unzutreffend sei insb. seine Aussage, er habe die Kündigung des Herrn P.M. vom 15.6.1995 im Krankenhaus erhalten, als er noch im Koma gelegen habe. Da er im arbeitsrechtlichen Verfahren eine Beschäftigung für den Beklagten zu 2). im Mai 1995 eingeräumt habe, sei offensichtlich auch seine weitere Bekundung unrichtig, der Zweitbeklagte habe ihm die Möglichkeit seiner Beschäftigung im Juni unter Hinweis darauf abgeschlagen, dass er kein Baugewerbe betreibe. Das als Anlage B 9 eingereichte – undatierte – Schreiben des Zeugen B.M., in dem dieser ein Arbeitsrechtsverhältnis zum Beklagten zu 2). nach dem 31.5.1995 in Abrede nehme, sei offensichtlich von anderer Hand vorgefertigt worden und deute auf eine massive Beeinflussung des Zeugen hin.

Die Klägerin rügt weiterhin, dass das LG Ansprüche aus §§ 836, 837 BGB i.V.m. § 116 SGB X wegen eines Mitverschuldens des Zeugen B.M. gänzlich verneint habe. Dessen Verschulden wiege leicht, weil er nicht über die Fachkunde eines Gerüstbauers verfügt habe, und trete hinter dem grob fahrlässigen Handeln des Zweitbeklagten zurück, der um die nicht ordnungsgemäße Verankerung des Gerüstes gewusst, gleichwohl keinen gelernten Gerüstbauer hinzugezogen habe.

Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens nimmt der Senat auf das angefochtene Urteil und die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug (§ 543 Abs. 2 ZPO a.F.).

 

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten keine Ansprüche aus § 640 RVO zu.

1. Das lässt sich allerdings nicht mit einem Mitverschulden des Versicherten B.M. begründen. Dieser Gesichtspunkt ist rechtlich unbeachtlich. Der Anspruch aus § 640 RVO ist kein von dem Geschädigten abgeleitetes Recht, sondern ein durch die RVO originär geschaffener Ersatzanspruch. Diesem kann ein Mitverschulden des Verunglückten weder in unmittelbarer noch in entspr. Anwendung des § 254 BGB entgegengehalten werden (BGH VersR 1973, 923 [925]; Ric...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge