Entscheidungsstichwort (Thema)

Wettbewerbsverstoß: Zuzahlungsverzicht eines Internetversandhändlers für medizinische Hilfsmittel

 

Leitsatz (amtlich)

Gegen die Entscheidung wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das Aktenzeichen des Bundesgerichtshofs lautet: ZR 143/15.

 

Verfahrensgang

LG Ulm (Urteil vom 23.06.2014)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 01.12.2016; Aktenzeichen I ZR 143/15)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Ulm vom 23.06.2014 geändert.

2. a) Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, letztere zu vollziehen an einem ihrer Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr

(1) gegenüber gesetzlich krankenversicherten Personen damit zu werben, die von den Versicherten zu entrichtende Zuzahlung für Hilfsmittel nicht einzuziehen,

und/oder

(2) ankündigungsgemäß die bei Hilfsmitteln zu entrichtende Zuzahlung bei gesetzlich krankenversicherten Personen nicht einzuziehen,

es sei denn, die Ankündigung und/oder die Nichteinziehung beziehen sich auf einen kenntlich gemachten geringfügigen Betrag, der nicht höher als 1,00 EUR liegt.

b) Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger 219,35 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.01.2014 zu bezahlen.

c) Im Übrigen wird die Klage unter gleichzeitiger Zurückweisung der weiter gehenden Berufung abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Unterlassungsaussprüche durch Sicherheitsleistung von jeweils 25.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.

Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers wegen der Kosten und des Zahlungsbetrages durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 50.000,00 EUR

 

Gründe

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, sie hat der Sache nach auch überwiegend Erfolg.

Zum einen wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Zusammenfassend und ergänzend:

Der Kläger ist ein Wettbewerbsverband. Die Beklagte betreibt u.a. im Internet einen Versandhandel für Hilfsmittel, insbesondere zur Behandlung von Diabetes.

Dabei wirbt sie auf ihrer Webseite u.a. mit den Aussagen (K 1):

"Zuzahlung bezahlen Sie übrigens bei uns nicht, das übernehmen wir für Sie!"

In der dortigen Rubrik "Wir über uns" findet sich rot hervorgehoben:

"Die gesetzliche Zuzahlung müssen Sie bei uns nicht bezahlen"

In dem Abschnitt "News" führt die Beklagte an:

"Vorab dürfen wir Ihnen natürlich die erfreuliche Nachricht unterbreiten, dass Sie bei uns keinerlei Zuzahlung zu bezahlen haben. Wir bezahlen diese komplett für Sie"

Die am 08.10.2013 ausgesprochene Abmahnung durch den Kläger blieb erfolglos.

Der Kläger sieht in dem werblichen Versprechen der Beklagten, die auf den gesetzlich krankenversicherten Patienten gemäß §§ 61 Abs. 1, 31 Abs. 8 SGB V entfallende Zuzahlung zu übernehmen, einen Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 43b Abs. 1 SGB V, außerdem i.V.m. § 7 HWG. Dass die Beklagte sich über die aus §§ 33 Abs. 8, 43b Abs. 1 SGB V ergebende Pflicht, die Zuzahlung letztlich zu erheben, hinwegsetze, sei unstreitig. Entgegen den von der Beklagten ins Feld geführten Entscheidungen des OLG Hamm oder des OLG Düsseldorf sei sehr wohl davon auszugehen, dass § 43b Abs. 1 S. 1 SGB V eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG darstelle. Zwar mag er hauptsächlich darauf ausgerichtet sein, durch Kostenbeteiligung des Patienten diesen zu einem kostenbewussten Verhalten zu veranlassen und so als Instrument der Verhaltenssteuerung zu einer Begrenzung des Mengenaufwandes der gesetzlichen Krankenkassen zu führen. Damit solle aber zugleich im Interesse der Volksgesundheit die Versorgungssicherheit des gesetzlichen Krankenversicherungssystems gewährleistet werden. Durch eine verpflichtende Einbindung der Leistungserbringer in dieses Lenkungsmittel solle zugleich sichergestellt werden, dass dieser Steuerungsbetrag auch erhoben und nicht der freien Disposition der Leistungserbringer überantwortet wird, womit die Gefahr einherginge, dass marktstarke Wettbewerber darauf verzichteten, damit einen Verdrängungswettbewerb herbeiführten und so letztlich den anderen Normzweck, die Sicherung einer flächendeckenden gesundheitlichen Versorgung, leerlaufen lassen könnten. In gleicher Weise liege ein Verstoß gegen § 7 HWG vor, da die Gewährung solcher Vergünstigungen, nämlich den Verzicht auf die verpflichtende Erhebung einer Zuzahlung, unter diese Vorschrift fiele und ein Ausnahme...

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