Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 13.09.2019; Aktenzeichen 28 O 102/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 13.09.2019, Az. 28 O 102/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren auf bis 22.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs, da dieses von der Beklagten mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen worden sei.
1. Der Kläger erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug Mercedes Benz E 220 CDI am 07.05.2014 von einem Dritten als Gebrauchtfahrzeug mit einem Kilometerstand von 61.500 km zum Preis von 28.072,99 EUR.
Das im Juli 2011 erstmals zugelassene Fahrzeug wurde von der Beklagten hergestellt, ist mit einem Motor mit der Bezeichnung OM 651 ausgestattet und verfügt über eine EG-Typgenehmigung nach der Schadstoffklasse Euro 5. Einen für das streitgegenständliche Fahrzeug einschlägigen und mit der Feststellung unzulässiger Abschalteinrichtungen begründeten Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) gibt es nicht.
In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug u.a. temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert (sog. "Thermofenster"). Die technischen Details und die rechtliche Bewertung dieser Funktion sind streitig.
Weiter ist die Funktion "geregeltes Kühlmittelthermostat" (auch "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung", daher im Weiteren KSR) implementiert. Die verzögerte Erwärmung des Motors führt bei aktivierter KSR zu niedrigeren NOx-Emissionen. Auch hinsichtlich dieser Funktion ist streitig, wann bzw. unter welchen Umständen sie abgeschaltet wird und wie dies sodann rechtlich zu bewerten ist. Das KBA hat diesbezüglich diverse mit der Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründete Bescheide erlassen; diese sind nicht bestandskräftig und betreffen das streitgegenständliche Fahrzeug nicht.
Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 25.01.2019 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 08.02.2019 auf, ihm einen Betrag in Höhe von insgesamt 22.988,48 EUR als Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Deliktszinsen zu bezahlen.
Am 06.04.2021 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 183.925 km auf.
2. In erster Instanz hatte der Kläger vorgetragen,
die im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Abschalteinrichtung reduziere u.a. zu Beginn der Warmlaufphase und bei kühleren Außentemperaturen die Wirkungsweise des Abgasrückführungssystems (AGR-System) bzw. schalte es gänzlich ab ("Thermofenster"). Dadurch werde bei niedrigen Temperaturen der Grad der Abgasrückführung reduziert, wodurch die Stickoxidemissionen erheblich anstiegen. Zudem werde das AGR-System ab einer bestimmten Drehzahl reduziert oder gar in Gänze abgeschaltet. Dadurch komme es bei höheren Drehzahlen, insbesondere, wenn mit geringerer Last gefahren werde, zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen. Ferner bewirke die KSR, dass auf dem Prüfstand eine niedrigere Kühlmitteltemperatur und eine andere Abgasreinigungsstrategie angewendet werde als im realen Straßenbetrieb. Bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtungen hätte die Klagepartei das Fahrzeug nicht erworben.
Der Vorstand der Beklagten sei in die entsprechenden Vorgänge eingeweiht gewesen. Der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung könne nicht von wenigen Mitarbeitern im Alleingang vorgenommen worden sein.
Die Beklagte komme mit der vorliegenden freiwilligen Kundendienstmaßnahme einem verpflichtenden Rückruf durch das KBA zuvor. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führe - was unstreitig ist - Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitarbeiter der Beklagten wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung. Sie habe im Mai 2017 die Geschäftsräume der Beklagten durchsucht und im Juni 2018 die Ermittlungen gegen die Beklagte ausgeweitet.
3. Die Beklagte hatte in erster Instanz vorgetragen,
im streitgegenständlichen Fahrzeug werde keine Programmierung, insbesondere keine "Betrugssoftware" verwendet, die - manipulativ - so gestaltet wäre, dass auf der Straße unter "normalen Betriebsbedingungen" ein anderes Verhalten des Emissionskontrollsystems angestrebt werde als auf dem Prüfstand. Sofern die Emissionsreduktion bei unterschiedlichen Temperaturen unterschiedliche Ergebnisse erreiche, könne dies entweder physikalisch bedingt sein durch andere Umgebungsbed...