Leitsatz (amtlich)

1. Bietet der Kläger wiederholt die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel an, unterlässt dann jedoch die Einzahlung des angeforderten Kostenvorschusses und teilt mit, es komme auf die Einholung eines Gutachtens nicht an und ihm sei die Klageforderung ohne Beweiserhebung zuzusprechen, ist weder ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines (erneuten) Beweisantrags erforderlich, noch ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zu beauftragen.

2. Es kann keine in der Temperaturabhängigkeit einer Abgasrückführung liegende unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 festgestellt werden, wenn im Rahmen des Typgenehmigungsantrags dem KBA gegenüber die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung angegeben worden ist. Die für das streitgegenständliche Fahrzeug erteilte Typgenehmigung entfaltet dann Tatbestandswirkung dahingehend, dass die Kontrolle der Zulässigkeit des so genannten Thermofensters der zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen ist.

3. Deliktische Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sind gleichwohl denkbar, wenn feststeht, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden ist, wie dies beim Einsatz einer sogenannten "Schummelsoftware" (Prüfstanderkennungssoftware) angenommen werden muss.

4. Das Erschleichen einer objektiv rechtswidrigen Genehmigung durch den Fahrzeughersteller ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn dieser wissentlich ein gänzlich unvertretbares Thermofenster dergestalt programmiert hat, dass eine Abgasrückführung nur innerhalb des NEFZ stattfindet und das KBA über dieses vorsätzlich im Unklaren gelassen hat.

 

Normenkette

BGB § 323 Abs. 1, § 346 Abs. 1, §§ 348, 433, 434 Abs. 1, § 437 Nr. 2 Alt. 1, §§ 440, 826; ZPO § 144 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 01.02.2019; Aktenzeichen 26 O 92/18)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 20.07.2023; Aktenzeichen III ZR 303/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 01.02.2019, Az. 26 O 92/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 25.867,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 25.867,00 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des am 22.12.2015 von der Beklagten als Gebrauchtwagen erworbenen streitgegenständlichen Fahrzeugs Mercedes GLK 250 CDI mit der Abgasnorm Euro 5. Zur Begründung macht er geltend, das Fahrzeug sei von der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen worden.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen,

die Abschalteinrichtung bestehe aus einer Software, die für die Abgaskontrollanlage zuständig sei. Die Software sei so konzipiert, dass sie "Prüfungssituationen" [...] bestehe, da sie "unnatürliches Fahrverhalten" erkenne und in einem solchen Fall den Motor anweise, die Abgasaufbereitung derart zu optimieren, dass möglichst wenig Stickoxide entstünden. Unnatürliches Fahrverhalten erkenne die Software je nach Programmierung dadurch, dass entweder im Stillstand hohe Drehzahlen vom Motor ausgingen oder eine untere Kilometerschwelle festgelegt werde, wobei die Abgasoptimierung erst dann beginne, wenn eine bestimmte Schnelligkeit unterschritten werde. Dies werde unter Sachverständigenbeweis gestellt. Hinzu begünstige diese Abschalteinrichtung auch die von der Beklagten gewünschte zu niedrige Dosierung des Zusatzstoffes AdBlue.

Die Abgasreinigung laufe nur in einem so genannten Thermofenster zwischen 20 °C und 30 °C normal und werde bei Unter- oder Überschreitung dieser Temperaturen abgeschaltet. Das Zusammenspiel der Programmierungen der Funktionen Bit 13, Bit 14, Bit 15 und "Slipguard" und des zugestandenen Thermofensters wirke so, dass das Fahrzeug erkenne, wann es sich auf dem Prüfstand befinde und entsprechend die Emissionen positiv beeinflusse, was im Realbetrieb nicht der Fall sei.

Im Verlauf des Rechtsstreits hat er weiter argumentiert, ein Sachverständigengutachten sei - der 23. Kammer des Landgerichts Stuttgart folgend - vorliegend nicht erforderlich, da die Beklagte selbst eine Abschalteinrichtung eingestanden habe, wenn sie vortrage, die Reduzierung der Abgasmenge bei niedrigen Temperaturen sei mit dem Begriff Thermofenster belegt und die Abgasrückführung [im Folgenden: AGR] bleibe im streitgegenständlichen Fahrzeug bis zu zweistelligen Minusgraden akt...

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