Leitsatz (amtlich)

1. In Deckungsschutzprozessen gegen die Rechtsschutzversicherung sind die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Hauptsacheklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beurteilen, wenn der Versicherungsnehmer kein schutzwürdiges Vertrauen in eine frühzeitigere Gewährung von Deckungsschutz in Anspruch nehmen kann.

2. Der Versicherungsnehmer kann gegen seinen Rechtsschutzversicherer einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die Fertigung eines Stichentscheids haben, auch wenn dieser die Anforderungen an einen solchen nicht erfüllt und daher keine Bindungswirkung entfaltet.

 

Normenkette

VVG § 128

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn (Urteil vom 08.04.2022; Aktenzeichen III 4 O 298/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 08.04.2022, Az. III 4 O 298/21, abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger von den Kosten des in Zusammenhang mit der Schadennummer... gefertigten Stichentscheids der K. vom 17.08.2020 in Höhe von Euro 627,13 freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz haben der Kläger 89 % und die Beklagte 11 % zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis 6.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. §§ 313 a Abs. 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet (dazu unter 1) und auch die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg (dazu unter 2). Während dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Deckungsschutz nicht zusteht, hat er einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Stichentscheids.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag i.V.m. §§ 2 ff. ARB auf Deckung der Kosten für die außergerichtliche und erstinstanzliche Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen gegenüber der Mitsubishi AG im Zusammenhang mit dem Kauf eines Kfz Mitsubishi Asx und unterstellter Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs.

Denn die Beklagte dringt mit ihrem Einwand der mangelnden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Hauptsacheklage durch. Weder kann sich der Kläger dabei auf die Verbindlichkeit des Stichentscheids stützen (dazu unter a) noch liegen hinreichende Erfolgsaussichten für seine beabsichtigte Klage gegen die Mitsubishi AG vor (dazu unter b).

a) Der Anspruch auf Deckungsschutz besteht nicht bereits aufgrund eines zwischen den Parteien bindenden Stichentscheids. Zwar ist das so genannte Stichentscheidsverfahren zwischen den Parteien vereinbart (dazu unter aa), jedoch erfüllt das Schreiben vom 17.08.2020 jedenfalls nicht die Voraussetzungen, die an einen solchen zu stellen sind (dazu unter bb), so dass er keine Bindung zu erzeugen vermag (dazu unter cc).

aa) Gemäß § 18 Abs. 2 ARB kann der Versicherungsnehmer für den Fall, dass die Versicherung den Versicherungsschutz wegen mangelnder Erfolgsaussicht ablehnt, den für ihn tätigen oder einen Rechtsanwalt auf Kosten des Versicherers gesondert beauftragen, diesem gegenüber eine begründete Stellungnahme darüber abzugeben, ob die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen nicht mutwillig erscheint und hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Entscheidung des Rechtsanwalts (Stichentscheid) ist für beide Teile bindend, es sei denn, dass sie offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweicht.

bb) Bei einem Stichentscheid handelt es sich um eine anwaltliche Stellungnahme, die von der in dem Mandantenverhältnis begründeten Interessenvertretung losgelöst ist und ihrem Wesen nach eine neutrale und objektive Bewertung der Sach- und Rechtslage sowie der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage darstellt. Inhaltlich muss ein Stichentscheid den Streitstoff darstellen, auf die Beweissituation eingehen, sich im Rahmen der rechtlichen Würdigung auch mit etwaigen Gegenargumenten auseinandersetzen und insbesondere erkennen lassen, in welchen Punkten der Anwalt die Ansicht des Versicherers für unrichtig hält. Er muss sich mit den Argumenten des Versicherers befassen. Im Einzelnen hängt der erforderliche Umfang von der Komplexität des Streitstoffes, von den schon bisher in der Korrespondenz mit dem Versicherer ausgetauschten Argumenten und dem Stadium ab, in dem sich die Interessenwahrnehmung gerade befindet (BGH, Urteil vom 17.01.1990 - IV ZR 214/88 -, NJW-RR 1990, 922, juris Rn. 5 ff.; OLG Bremen, Beschluss vom 20.09.2022 - 3 U 13/22 -, Rn. 34, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.07.2017 - 4 U 40/16 -, Rn. 101, zitiert nach juris; OLG München, Beschluss vom 26.06.2019 - 25 U 4144/18 -, Rn. 3, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 20.03.2019 - 7 U 8/18 -, VersR 2019, 1071, Rn. 64; Piontek in Prölss/Martin, ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge