Leitsatz (amtlich)

1. Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) ist eine unzulässige Abschalteinrichtung.

2. Die Verwendung einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) kann einen Anspruch auf Differenzschadensersatz begründen (im Anschluss an BGH, Urteil vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21, juris).

3. Zur Bemessung des Differenzschadens unter Berücksichtigung einer Vorteilsausgleichung.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 2, § 27 Abs. 1; Richtlinie 2007/46/EG Art. 18; Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 17.01.2020; Aktenzeichen 17 O 113/19)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.01.2020, Az. 17 O 113/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 2.976,30 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.08.2023 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung der Klagepartei zurückgewiesen.

III. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 35.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

1. Die Klagepartei kaufte am 08.12.2014 von der Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug Mercedes Benz GLK 220 CDI 4Matic als Gebrauchtfahrzeug mit einer damaligen Laufleistung von 10.279 km zu einem Preis von 39.500,00 EUR. Das Fahrzeug war von der Beklagten unter Verwendung eines Motors mit der Bezeichnung OM 651 hergestellt worden und verfügt über eine EG-Typgenehmigung nach der Schadstoffklasse Euro 5.

In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug unter anderem temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert (sogenanntes "Thermofenster").

Weiter verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug über eine sogenannte "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" (KSR), auch als "geregeltes Kühlmittelthermostat" bezeichnet, bei der die - durch den Einsatz einer Kühlung - verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt.

Über ein SCR-System (selektive katalytische Reduktion) verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug nicht.

Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen erfasst.

Das Fahrzeug wies am 18.09.2023 einen Kilometerstand von 121.180 km auf.

Die Klagepartei erklärte vorgerichtlich mit Anwaltsschreiben vom 03.09.2018 (Anlage K 2 LGA) den Rücktritt vom Kauf, die Anfechtung des Kaufvertrages und machte Schadensersatzansprüche geltend.

Erstinstanzlich hat die Klagepartei beantragt für Recht zu erkennen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 34.441,00 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Daimler Typ Mercedes GLK, FIN: ...

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.564,26 freizustellen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

2. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.01.2020 abgewiesen. Der Klagepartei stünden gegenüber der Beklagten weder vertragliche noch deliktische Ansprüche zu. Der Vortrag der Klagepartei zur Prüfstandserkennung sei als Vortrag "ins Blaue" nicht zu berücksichtigen. Bezüglich des Thermofensters seien kaufrechtliche Ansprüche jedenfalls verjährt. Es liege keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB vor; Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB seien nicht verletzt.

3. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei ihr erstinstanzliches Begehren im Wesentlichen weiter. Nach Erlass der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21) begehrt sie hilfsweise, auf den Differenzschadensersatz zu erkennen.

Die Klagepartei beantragt zuletzt:

I. Die Beklagte wird ver...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge