Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen und dem Umfang eines Schadensersatzanspruchs gem. § 826 BGB des Käufers, der ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Motor EA 189) erworben hat, gegen den Hersteller.
2. Im Rahmen des Schadensersatzanspruchs muss sich der Geschädigte (Käufer) gezogene Nutzungen anrechnen lassen.
3. Ein Zinsanspruch aus § 849 BGB besteht nicht, wenn der Geschädigte (Käufer) im Gegenzug für die Hingabe des Geldes eine als gleichwertig anzusehende Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes erhalten hat.
4. Bei einer vorgerichtlichen Zuvielforderung fehlt es an dem für den Schuldnerverzug erforderlichen Verschulden, wenn der Schuldner die wirklich geschuldete Forderung nicht berechnen kann, weil sie von ihm unbekannten internen Daten des Gläubigers (hier: aktueller km-Stand) abhängt.
Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 20.05.2019; Aktenzeichen 2 O 452/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 20.05.2019 - Az. 2 O 452/18 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.416,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.02.2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKWs VW Tiguan 2.0 I mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 Euro freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 60 % und die Beklagte 40 %. Von den Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen der Kläger 64 % und die Beklagte 36 %.
III. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert in beiden Rechtszügen: 23.400,00 Euro
Gründe
A Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz nach dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs.
Der Kläger erwarb am 12.07.2013 ein Fahrzeug des Typs VW Tiguan 2.0 mit einer Laufleistung von 38.900 km zum Preis von 23.400,00 Euro. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 156.033 km.
In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der herstellereigenen Typenbezeichnung EA 189 verbaut, der die in der VO (EG) Nr. 715/2007 angeordneten Emissionsgrenzwerte bezüglich der Masse der Stickstoffoxide zwar auf dem Prüfstand unter Laborbedingungen im sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) einhält, jedoch im realen Straßenverkehr weit überschreitet, was darauf zurückzuführen ist, dass die Beklagte diesen Motor per Softwaresteuerung mit zwei Betriebsmodi versehen hat.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts verwiesen. Das Landgericht hat die auf Ersatz des Schadens gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger beantragt,
das landgerichtliche Urteil wie folgt abzuändern:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.400,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 % p.a. seit dem 21.07.2013 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKWs VW Tiguan 2.0 I mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 Euro freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKW VW Tiguan 2.0 I mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... in Annahmeverzug befindet.
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht den Antrag zu Ziffer 1 auf Rückzahlung des Kaufpreises abweist:
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die dadurch entstanden sind bzw. entstehen, dass die Beklagte den Pkw VW Tiguan 2.0 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... in den Verkehr gebracht hat, obwohl dieser mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und daher keinem genehmigten Fahrzeugtyp entspricht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Wegen des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2019 Bezug genommen.
B I. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens gemäß § 826 BGB. Demnach ist, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise dem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zu...