Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 10.12.2018; Aktenzeichen 7 O 261/18) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 10.12.2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz), Az. 7 O 261/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
2. Den Beklagten wird Gelegenheit gegeben, hierzu bis zum 16.10.2020 Stellung zu nehmen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung liegen vor. Der Vorderrichter ist zutreffend davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche Unfall allein durch ein verkehrsordnungswidriges Verhalten des Beklagten zu 1. verursacht worden ist, hinter das die Betriebsgefahr des von der Zeugin ... geführten Fahrzeugs zurücktritt.
1. Zulasten des Beklagten zu 1. ist davon auszugehen, dass dieser die beim Anfahren vom Straßenrand in den allgemeinen Verkehrsraum hinein nach § 10 StVO erforderliche Rückschau und Sorgfalt nicht vorgenommen bzw. eingehalten hat, damit andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet oder geschädigt werden.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Senats, dass ein Anschein pflichtwidrigen Verhaltens gegen den Anfahrenden besteht, wenn es - wie im Streitfall - im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr kommt (Urteil des Senats vom 15.08.2018, Az. 1 U 21/17; s. auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 10 StVO Rn. 11 m.w.N.). Dabei ist davon auszugehen, dass der Einfahrvorgang erst dann endet, wenn sich das anfahrende Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (OLG Köln, Urteil vom 19.07.2005, Az. 4 U 35/04, Juris). Den dahingehenden Anschein haben die Beklagten nicht zu erschüttern vermocht. Ganz im Gegenteil haben die Darlegungen des Sachverständigen... im Termin der mündlichen Verhandlung vom 22.10.2018 ergeben, dass der Beklagte zu 1. die Zeugin ... in den rechten Seitenspiegeln des von ihm geführten LKW hätte sehen müssen, als diese versuchte, das Müllfahrzeug zu passieren. Hätte er die Zeugin ... bemerkt, wäre es ihm aus Rechtsgründen verwehrt gewesen, anzufahren.
Im Streitfall fehlt es hier nicht an der erforderlichen Typizität des Geschehens. Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (Urteil des Senats vom 15.08.2018, Az. 1 U 21/17; vgl. auch BGH, VersR 2011, 234). Insofern trifft es zwar zu, dass das Beklagtenfahrzeug mit Sonderrechten nach § 35 Abs. 6 StVO am Straßenverkehr teilnahm. Entgegen der Auffassung des Vorderrichters kann wohl auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Müllfahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht "im Einsatz" war; denn auch das Umsetzen des Fahrzeugs von einer zur nächsten Ladestelle gehört zum "Einsatz des Fahrzeugs zur Müllabfuhr". Allerdings befreit § 35 Abs. 6 StVO den Fahrer eines Müllfahrzeugs lediglich zeitunabhängig von spezifischen Pflichten zur Benutzung bestimmter Fahrtrichtungen und zum Halten. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern vor allem auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung; mit ihr soll eine möglichst schnelle und für Mitarbeiter risikolose Müllabfuhr ermöglicht werden. Dementsprechend befreit diese Pflicht nicht von der Einhaltung allgemeiner Verkehrsregeln (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 35 StVO Rn. 10 m.w.N.), namentlich allgemeiner Pflichten beim Anfahren und Einfädeln in den fließenden Verkehr (OLG Düsseldorf, VM 1978, 69; vgl. insoweit auch den Umkehrschluss aus § 20 Abs. 5 StVO).
Das Kerngeschehen - das Anfahren vom Fahrbahnrand - als solches reicht nur dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht mehr aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten im Rahmen des Unfallereignisses der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Solche dem Anscheinsbeweis entgegenstehende Umstände haben die Beklagten indes nicht behauptet.
2. Der Einwand der Beklagten, eine dem Kläger zuzurechnende Mitverantwortlichkeit der Zeugin ... liege schon deshalb vor, weil diese mit zu geringem Seitenabstand das Müllfahrzeug passiert habe, geht für den streitgegenständlichen Geschehensablauf fehl.
Zwar trifft es zu, dass in der Regel davon auszugehen ist, dass am Fahrbahnrand stehende Fahrzeuge nur mit ausreichen...