Leitsatz (amtlich)
1. Das Gericht kann seine Überzeugung von der Ausgestaltung des - vom Berufsunfähigkeitsversicherer (zulässigerweise, § 138 Abs. 4 ZPO) mit Nichtwissen bestrittenen - früheren Berufes im Einzelfall auch auf die persönlichen Angaben des Versicherten stützen (im Anschluss an Senat, Urteile vom 13. August 2008 - 5 U 27/07-3, VersR 2009, 99 und vom 27. März 2019 - 5 U 44/17, juris = VersR 2020, 151 Ls.)
2. Die Fortsetzung der früheren Tätigkeit als Vorarbeiter in Wechselschicht kann sich als für den Versicherungsnehmer unzumutbar erweisen, wenn dieser zuvor bereits einen Herzinfarkt erlitten hatte und sich dadurch das Risiko, dass es zu einer erneuten Erkrankung bzw. zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt, nach sachverständigen Feststellungen "potenziert".
3. Die den Versicherungsnehmer auf eine andere, konkret ausgeübte Tätigkeit verweisende Einstellungsmitteilung bedarf, um nachvollziehbar zu sein, zwar keiner näheren Angaben zu dieser anderen, ihm bekannten Tätigkeit; der Versicherer muss darin aber erläutern, weshalb er meint, den Versicherungsnehmer auf diesen anderen Beruf verweisen zu können, wozu auch gehört, dass er die nach seiner Meinung vergleichbare Wertschätzung wenigstens ansatzweise begründet.
4. Der im Nachprüfungsverfahren vom Versicherer zu führende Nachweis der Gleichwertigkeit der Verweisungstätigkeit auch hinsichtlich ihrer sozialen Wertschätzung ist nicht geführt, wenn diese im Gegensatz zur bisherigen Tätigkeit als Vorarbeiter in Wechselschicht nicht mit Führungsaufgaben - z.B. Einweisen von Fachkräften, Überwachung deren Arbeiten, Durchführung der Qualitätskontrolle - verbunden ist, sondern sich auf die reine Erfassung, Prüfung und Weitergabe von Aufträgen beschränkt.
Normenkette
BUZBB § 2 Nr. 1, § 7; VVG §§ 172, 174 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 14.04.2022; Aktenzeichen 14 O 83/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 14. April 2022 verkündete, durch Senatsbeschluss vom 22. März 2023 - 5 U 43/22 - gemäß § 319 ZPO berichtigte Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 83/20 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Ziffer 5 des angefochtenen Urteils) in Höhe von 2.085,95 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30. April 2020 erfolgt.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 81.339,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der am 5. Februar 1963 geborene Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Er ist seit 1. November 2016 versicherte Person und Bezugsberechtigter aus einem "Kollektivversicherungsvertrag", den sein Arbeitgeber, die S. AG, unter der Versicherungsausweis-Nr. xxx bei der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der G. unterhält. Als versicherte Leistungen im Falle der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit sind die Zahlung einer monatlichen Rente in Höhe von 1.200,- Euro sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht vereinbart; Versicherungsablauf ist der 1. Januar 2030, der Monatsbeitrag beträgt 155,66 Euro. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Firmenkundenlebensversicherung, die Besonderen Bedingungen für die Direktversicherung nach § 3 Nr. 63 EStG, die Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitstarife, die Besonderen Bedingungen für den Tarif BR01 sowie die Tarifbedingungen für den Tarif PR01 zugrunde. Der Kläger war vormals als Vorarbeiter der technischen Laboratorien der S. AG in V. beruflich tätig. Mit Schreiben vom 18. Januar 2019 machte er Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit ab 1. August 2018 geltend, die er mit orthopädischen, kardiologischen und psychischen Einschränkungen begründete. Nach Rücksendung eines Fragebogens teilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 13. November 2019 mit, dass keine Ansprüche anerkannt würden. Daraufhin beauftragte der Kläger seine späteren Prozessbevollmächtigten, die die Beklagte mit Schreiben vom 7. Januar 2020 aufforderten, ihre Eintrittspflicht anzuerkennen. Die Beklagte kündigte eine Überprüfung an, weitere Mitteilungen erfolgten nicht. Seit 1. Mai 2019 hat der Kläger eine andere Tätigkeit bei seinem ehemaligen Arbeitgeber aufgenommen. Die Beklagte hat daraufhin im Rechtsstreit vorsorglich (hilfsweise) die "Leistungseinstellung unter Bezugnahme auf die Aufnahme einer konkreten Verweisungstätigkeit zum 1. Mai 2019" erklärt (Schriftsatz vom 24. Juni 2020, Bl. 26 GA).
Der Kläger hat zur Begründung seiner am 29. April 2020 zugestellten, zuletzt auf rückständige Leistungen ab dem 1. Deze...