Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Entkräftung des gegen den hinten auffahrenden Unfallgegner sprechenden Anscheinbeweises
Leitsatz (amtlich)
Trägt ein Verkehrsunfall das typische Gepräge eines Auffahrunfalls, so kann sich der Auffahrende nicht bereits mit dem Aufzeigen der lediglich theoretischen Möglichkeit entlasten, dass sich der Unfall nur deshalb ereignet habe, weil der Vorausfahrende unvorhergesehen seine Fahrspur gewechselt habe. Vielmehr obliegt es dem Auffahrenden, Tatsachen zu beweisen, die den plötzlichen Wechsel der Fahrspur zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit belegen.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 15.04.2004; Aktenzeichen 10 O 239/03) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Saarbrücken vom 15.4.2004 - 10 O 239/03 - unter entsprechender Klageabweisung abgeändert, soweit die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, an die Klägerin mehr als 4.303,57 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2001 zu zahlen.
II. Die Kosten des ersten Rechtszugs werden gegeneinander aufgehoben. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.434,51 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin, eine französische Versicherungsgesellschaft, aus übergegangenem Recht ihres Versicherungsnehmers, des Zeugen W. (im Folgenden: W.), die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Am 30.7.2000 befuhr der Versicherungsnehmer gegen 9 Uhr 30 mit seinem Pkw die Autobahn in Richtung. Der Beklagte zu 1) war mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw in der gleichen Fahrtrichtung auf der Überholspur unterwegs. Nachdem der Versicherungsnehmer von der rechten Fahrspur auf die Überholspur gewechselt war, fuhr der Beklagte zu 1) von hinten mit seinem Pkw auf das vor ihm fahrende Fahrzeug auf. Das Fahrzeug des Versicherungsnehmers wurde schwer beschädigt.
Die Klägerin hat behauptet, der Versicherungsnehmer habe sich vor dem Überholmanöver durch Rückschau in die Spiegel vergewissert, dass die Überholspur frei sei. Anschließend habe er ein entsprechendes Blinkzeichen zum Überholen gesetzt und erst danach das Überholmanöver begonnen. Nachdem der Versicherungsnehmer den Überholvorgang bereits zur Hälfte beendet gehabt habe, sei der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw von hinten mit einer Geschwindigkeit von ca. 200 km/h aufgefahren.
Die Klägerin begehrt Ausgleich der an ihren Versicherungsnehmer gezahlten Versicherungsleistung i.H.v. 8.607,13 EUR.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 8.607,13 EUR nebst 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2001 zu zahlen.
Dem sind die Beklagten entgegengetreten. Die Beklagten haben behauptet, der Versicherungsnehmer sei ohne Vorankündigung auf die linke Fahrspur gewechselt, als sich der Beklagte zu 1) bereits so weit angenähert gehabt habe, dass ein gefahrloser Fahrstreifenwechsel nicht mehr möglich gewesen sei. Trotz der sofort eingeleiteten Bremsung habe der Beklagte zu 1) eine Kollision nicht mehr vermeiden können. Der Fahrstreifenwechsel sei nicht rechtzeitig zu erkennen gewesen, so dass der Unfall auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht vermeidbar gewesen wäre.
Das LG hat der Klage in Höhe eines Betrages von 5.738,08 EUR auf der Basis einer Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zum Nachteil der Beklagten stattgegeben. Es hat hierzu ausgeführt: Der vorliegende Unfall zeige das typische Schadensbild eines Auffahrunfalls: Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass der Versicherungsnehmer auf der Überholspur in derselben Richtung unterwegs gewesen sei wie der Beklagte zu 1) und dass dieser in der Weise von hinten aufgefahren sei, dass er, wie er bei seiner Anhörung angegeben habe, "sofort in seinem Kofferraum" gewesen sei, mit der vom Versicherungsnehmer beschriebenen Folge, dass "das komplette Hinterteil" des Fahrzeugs um ein Drittel kürzer geworden sei. In dieser Situation spreche der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Auffahrenden, weil dieser zu schnell oder mit zu geringem Abstand oder unaufmerksam gefahren sei. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG sei der sehr hohen Geschwindigkeit des auffahrenden Fahrzeugs des Beklagten zu 1), der zwischen 150 und 200 km/h schnell gefahren sei, ein höherer Verursacherbeitrag anzulasten, weshalb es gerechtfertigt sei, dass die Beklagten zwei Drittel des Schadens zu ersetzen hätten. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 ZPO Bezug genommen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung wenden sich die Beklagten gegen die landgerichtliche Entscheidung, soweit das LG der Klage in höherem Umfang als auf der Grundlage einer hälftigen Haftungsverteilung stattgegeben hat.
Entgegen der Auffassung des LG trage der Unfall nicht das typische Erscheinungsbild ei...