Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Rechtskraft eines Urteils über Schmerzensgeldansprüche
Leitsatz (amtlich)
Nur Verletzungsfolgen, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung eines unfallursächlichen Körperschadens des Verletzten beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind, vom Streit- und Entscheidungsgegenstand eines vorausgegangenen Schmerzensgeldprozesses nicht erfasst, sodass ihrer Geltendmachung die Rechtskraft nicht entgegensteht.
Normenkette
ZPO § 322; BGB § 847
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des LG Lübeck vom 12.12.2000 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung fallen dem Kläger zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 6.000 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Dem Kläger ist durch das Urteil des LG Lübeck vom 8.9.1998 (5 O 27/98) bereits ein „angemessenes” Schmerzensgeld für Unfallfolgen zugesprochen. Die Parteien sind im Streit, ob dessen Rechtskraft der Zulässigkeit seiner Klage auf ein weiteres Schmerzensgeld für bleibende Erektionsstörungen entgegensteht, die der Kläger schon im Vorprozess kannte.
Der Kläger wurde am 3.5.1997 bei einem Verkehrsunfall, den ein Versicherungsnehmer der Beklagten durch eine Vorfahrtsverletzung mit einem Pkw verschuldete, schwer verletzt. Er erlitt bei dem Sturz von seinem Motorrad unter anderem eine Schambeinfraktur mit Zerreißen der Schambeinfuge. Bei seinem Aufenthalt im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg in den Monaten Juni bis September 1997 bemerkte der Kläger Erektionsprobleme, derentwegen er dort dann auch untersucht wurde. In dem im Januar 1998 begonnenen ersten Prozess (5 O 27/98 LG Lübeck) stritten die Parteien über die Höhe des aufgrund des Unfalls geschuldeten materiellen und immateriellen Schadensersatzes. Der Kläger hielt aufgrund der Verletzungen, die in dem von ihm eingereichten Gutachten des Bundeswehrkrankenhauses vom 20.7.1998 genannten sind, der Dauer und Intensität der Therapie sowie des über fünfmonatigen Krankenhausaufenthaltes und der sich anschließenden Rehabilitationstherapie ein Schmerzensgeld von insgesamt 30.000 DM für angemessen, auf das die Beklagte freiwillig 20.000 DM zahlte. Das LG verurteilte sie nach persönlicher Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 11.8.1998 zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 10.000 DM und stellte die Verpflichtung der Beklagten fest, dem Kläger jeden weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch den Unfall entsteht. Das LG führte zur Begründung aus, dass die Verletzungen des Klägers ungewöhnlich schwerwiegend seien und er voraussichtlich nie wieder die volle Gesundheit erlangen werde. Wie in der mündlichen Verhandlung vom 11.8.1998 zusätzlich zu erkennen gewesen sei, leide der Kläger auch psychisch sehr stark unter den Unfallfolgen. Ein Schmerzensgeld von insgesamt 30.000 DM erscheine angemessen. Da mit weiteren Schäden bei dem Kläger mit Sicherheit zu rechnen sei, sei die Verpflichtung der Beklagten zu deren Ersatz festzustellen.
Im Oktober 1998 ließ sich der Kläger von einem Urologen des Bundeswehrkrankenhauses „Viagra” verschreiben. Kosten von 550 DM für dieses Medikament und ein weiteres Schmerzensgeld von 60.000 DM sind Gegenstand dieses zweiten Prozesses.
Der Kläger hat behauptet, er habe die Erektionsfähigkeit durch die Unfallverletzungen verloren. Allein mit Hilfe von „Viagra” könne er den Geschlechtsverkehr durchführen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 550 DM nebst 4 % Zinsen aus 281,70 DM seit dem 5.2.1999 sowie 4 % Zinsen aus 268,30 DM ab Rechtshängigkeit sowie ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 60.000 DM zu bezahlen,
hilfsweise,
anstatt des Einmalbetrages von 550 DM eine monatliche Rente von 60 DM zu zahlen, beginnend mit dem Monat Oktober 1998.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger seine Erektionsfähigkeit durch den Unfall verloren hat.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das LG nach Vernehmung der Ehefrau des Klägers und einem schriftlichen Sachverständigengutachten des Urologen Prof. Dr. med. Porst vom 11.9.2000 der Klage nur bezüglich des materiellen Schadens stattgegeben. Es stehe fest, dass der Kläger seine Erektionsfähigkeit durch die Unfallverletzungen verloren habe und er den Geschlechtsverkehr nur mit Hilfe von „Viagra” durchführen könne. Die Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sei jedoch unzulässig. Mit dem Urt. v. 8.9.1998 seien alle Schadensfolgen abgegolten, die damals bereits eingetreten oder objektiv erkennbar gewesen seien oder deren Eintritt jedenfalls hätte vorhergesehen oder bei der Entscheidung berücksichtigt werden können. Der Verlust der Erektionsfä...