Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylrecht. Inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, Suizidgefahr, faktischer Inländer, Integration Minderjähriger, Zurechnung von Straftaten gem. § 104a Abs. 3 S. A AufenthG, besondere Härte i.S.v. § 104 Abs. 3 S. 2 AufenthG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter bestimmten Vorkehrungen steht auch eine Suizidgefahr eines Ausländers einer Abschiebung nicht entgegen.

2. Bei der Beurteilung der Integration eines ganz oder überwiegend in Deutschland aufgewachsenen, minderjährigen und von seinen Eltern wirtschaftlich abhängigen Ausländers ist auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der unterhaltspflichtigen Eltern abzustellen.

3. Die Regelung des § 104a Abs. 3 S. 1 AufenthG ist nicht verfassungswidrig.

4. Eine psychische Erkrankung stellt in der Regel keine besondere Härte i.S.v. § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG dar.

 

Normenkette

EMRK Art. 8 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 75; BZRG § 46 Abs. 1 Nr. 1a; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2, § 25 Abs. 5, § 60 Abs. 2, 7, § 104 Abs. 3, § 104a Abs. 3 S. 1 Nr. 6, § 104b Nr. 1

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in der Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren vom Beklagten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.

Die aus Blida/Algerien stammenden Kläger zu 1. und 2. sind Eheleute, reisten im November 1992 gemeinsam mit dem 1987 geborenen Sohn Usama A… in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten im Ergebnis erfolglos die Anerkennung als Asylberechtigte. Im Februar 1994 wurden sie mit dem 1993 in Neunkirchen geborenen Kläger zu 3. nach Algerien abgeschoben.

Nach erneuter Einreise im November 1994 gestellte Asylanträge der Kläger zu 1. und 2. und des Sohnes Usama wurden im Juni 1995 ebenfalls abschlägig beschieden. Ein Asylgesuch des Klägers zu 3. wurde ebenfalls abgelehnt. Rechtsbehelfe blieben auch insoweit ohne Erfolg.

1997 wurde die Klägerin zu 4. in Völklingen geboren. Ein Asylantrag wurde für sie zunächst nicht gestellt.

Durch Urteil des AG Neunkirchen vom 08.12.1998 wurde gegen den Kläger zu 2. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen verhängt.

In der Folge bemühten sich die Kläger vergeblich um die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der seinerzeit maßgeblichen Bleiberechtsregelung vom November 1999 für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt (Härtefallregelung). Gesuche um Abschiebungsschutz wurden vom VG des Saarlandes durch Beschlüsse vom 27.11.2000, 2 F 34/00, und 27.02.2001, 2 F 13/01, letztgenannter Beschluss bestätigt durch Beschluss des OVG des Saarlandes vom 28.03.2001, 1 V 13/01, mit der Begründung zurückgewiesen, dass die maßgebliche letzte Einreise nach Deutschland nach dem Stichtag dieser Härtefallregelung (01.07.1993) erfolgt sei. Eine Verfassungsbeschwerde der Kläger wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

Eine in der Folge geplante Abschiebung konnte wegen Nichtvorliegens von Pässen nicht vollzogen werden. Den Klägern von der zuständigen Auslandsvertretung im Jahr 2000 erteilte Reisepässe waren von ihnen nicht vorgelegt worden.

Durch Strafbefehl des AG Saarlouis vom 05.04.2002 wurden die Kläger zu 1. und 2. wegen gemeinschaftlichen Betruges zu Lasten des Sozialamtes und entsprechend unberechtigten Bezugs von Sozialleistungen im Zeitraum Februar 1999 bis Oktober 2001 in Höhe von insgesamt 5.375 DM zu Geldstrafen von je 40 Tagessätzen verurteilt.

Ein im August 2004 unternommener Versuch der erneuten Abschiebung der Kläger scheiterte, da die Klägerin zu 1. sich nach dem Eintreffen der Polizei in der Wohnung über 16 Stunden in der Küche verschanzte und mit Selbstmord durch Messerstiche in die Halsschlagader und Leber drohte. Daraufhin wurde sie vorübergehend in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen.

Durch Urteil des AG Saarlouis vom 01.10.2004 erhielt der Kläger zu 2. erneut eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Beleidigung.

Mit Urteil des AG Saarlouis vom 17.03.2005 wurde der Kläger zu 2. mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen wiederum wegen Betrugs zu Lasten des Sozialamtes belegt.

Ebenfalls im März 2005 wurde dann für die Klägerin zu 4. ein Asylantrag gestellt, der im August 2005 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.

Ein im Januar 2006 unter Hinweis auf ihre psychische Erkrankung gestellter erneuter Abschiebungsschutzantrag der Klägerin zu 1. hatte gemäß Beschlüssen des VG des Saarlandes vom 01.03.2006, 6 F 4/06, und des OVG des Saarlandes vom 31.05.2006, 2 W 6/06, keinen Erfolg.

Im Januar 2007 suchten die Kläger um eine Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der im Dezember 2006 auf der Grundlage eines Beschlusses der Innenministerkonferenz vom November dieses Jahres erlassenen ministeriellen Altfallregelung (Bleiberechtse...

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