Normenkette

BGB §§ 826, 852 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG München (Entscheidung vom 25.11.2021; Aktenzeichen 24 U 373/21)

LG Memmingen (Entscheidung vom 17.12.2020; Aktenzeichen 34 O 1606/20)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 25. November 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Memmingen vom 17. Dezember 2020 wird hinsichtlich des Berufungsantrags zu 5 (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) insgesamt zurückgewiesen.

Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Die Klägerin kaufte aufgrund einer Bestellung vom 26. Mai 2015 vom "Volkswagen Z.       " ein Neufahrzeug des Typs VW Tiguan 2.0 TDI zum Kaufpreis von 33.750 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Im Laufe des Jahres 2016 wurde ein Software-Update zur Beseitigung der genannten, vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandeten Softwarefunktion auf das Fahrzeug der Klägerin aufgespielt.

Rz. 3

Das Landgericht hat die im Jahr 2020 erhobene Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin zuletzt im Wesentlichen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 20.695,11 €, "hilfsweise" für den Fall, dass das Gericht von Verjährung ausgehe, zu Zahlung von 30.375 € beantragt, jeweils nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Ferner hat sie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.373,36 € begehrt (Berufungsantrag zu 5).

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels auf den Hilfsantrag verurteilt, an die Klägerin 22.410,54 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen und die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 € freizustellen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision hat Erfolg.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 7

Die Klägerin habe einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte, da diese durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung begangen habe. Diesem auf Kaufpreiserstattung abzüglich des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichteten Anspruch stehe jedoch die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die dreijährige Verjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen, da die Klägerin spätestens mit dem Software-Update Kenntnis von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom "Dieselskandal" erlangt habe.

Rz. 8

Der Klägerin stehe indes ein sogenannter Restschadensersatzanspruch aus § 852 Satz 1 BGB zu. Die Beklagte habe aus dem Fahrzeugkauf der Klägerin im Sinne der Vorschrift "etwas erlangt", nämlich den um die Händlermarge reduzierten Kaufpreis. Der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB werde der Höhe nach durch den verjährten Kaufpreiserstattungsanspruch der Klägerin aus § 826 BGB begrenzt. Dieser belaufe sich nach Abzug des auf 11.339,46 € zu schätzenden Nutzungsvorteils auf 22.410,54 €. Dieser Betrag bestimme die Höhe des Restschadensersatzanspruchs, da die Händlermarge nach Schätzung des Berufungsgerichts niedriger liege als 11.339,46 €.

II.

Rz. 9

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

Rz. 10

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB auf Erstattung des von ihr für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte allerdings die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 24 ff. mwN, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

Rz. 11

2. Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere steht die normative Prägung des Schadens, den die Klägerin mit dem "ungewollten" Fahrzeugkauf erlitten hat, der Anwendung von § 852 Satz 1 BGB nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12).

Rz. 12

3. Als frei von Rechtsfehlern erweist sich auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf der Klägerin im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" habe, nämlich den um die Händlermarge reduzierten Kaufpreis.

Rz. 13

a) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang (BGH, Urteil vom 21. März 2022, aaO, Rn. 28).

Rz. 14

b) Im Streitfall ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang gegeben. Den Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge tätigte die Klägerin am 26. Mai 2015 bei einem Fahrzeughändler eine Neuwagenbestellung ("Verbindliche Volkswagen-Bestellung"), wobei ein unverbindlicher Liefertermin genannt und eine Überführungspauschale in Höhe von 860 € vereinbart wurde. Demnach hatte der Händler das verkaufte Fahrzeug nicht schon vor der Bestellung der Klägerin auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben. Vielmehr war es noch von der Beklagten zu liefern. Die Beklagte erhielt infolge der Fahrzeugbestellung der Klägerin eine entsprechende Bestellung des Händlers und damit einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises gegen diesen. Nach Erfüllung dieses Anspruchs hat sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem von dem Händler gezahlten Entgelt fortgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 745 Rn. 13 f. mwN).

Rz. 15

4. Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Restschadensersatzanspruchs der Klägerin.

Rz. 16

a) Der Anspruch des geschädigten Fahrzeugkäufers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 83 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16). Dabei erschöpft sich die Bedeutung des ursprünglich geschuldeten Schadensersatzes keineswegs in einer bloßen Vergleichsbetrachtung und einer einfachen Limitierung durch den ursprünglichen Zahlbetrag. Vielmehr hat die Rechtsnatur des in § 852 Satz 1 BGB geregelten Restschadensersatzanspruchs eine dreifache Limitierung zur Folge: Zunächst ist der seitens des Fahrzeughändlers vom Geschädigten vereinnahmte Kaufpreis um die Händlermarge zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten Händlereinkaufspreis der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, aaO).

Rz. 17

b) Abweichend davon hat das Berufungsgericht den Nutzungsvorteil (11.339,46 €) vom Endkaufpreis (33.750 €) abgezogen und den so ermittelten, verjährten Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB in Höhe von 22.410,54 € im Sinne einer Vergleichsbetrachtung dem von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreis (Endkaufpreis abzüglich Händlermarge) gegenübergestellt. Den Händlereinkaufspreis hat es dabei nicht konkret festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, die Händlermarge sei jedenfalls geringer als der Nutzungsvorteil. Nach dem Gesagten sind zur Ermittlung des Restschadensersatzanspruchs indes sowohl der Nutzungsvorteil als auch die Händlermarge vom Endkaufpreis abzuziehen und folglich konkret festzustellen.

Rz. 18

c) Entgegen der Ansicht der Revision ist der Restschadensersatzanspruch der Klägerin hingegen nicht auf den von der Beklagten mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs erzielten Gewinn beschränkt. Die Aufwendungen der Beklagten für die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung des Fahrzeugs bestimmen das nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB Erlangte nicht mit. Sie sind auch nicht nach § 818 Abs. 3 BGB berücksichtigungsfähig, weil der Beklagten die Berufung auf eine mögliche Minderung ihrer Bereicherung nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 86 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 17). An diesen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmenden Grundsätzen hält der Senat fest.

Rz. 19

5. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht verlangen. Die Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB erfasst auch diese Schadensposition. Ein Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB besteht insoweit nicht, da die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit zu keiner Mehrung des Vermögens der Beklagten führte. Die Voraussetzungen eines Anspruchs unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB sind ebenfalls nicht erfüllt (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 19 ff. mwN).

III.

Rz. 20

Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Sache - im Sinne einer Zurückweisung der Berufung der Klägerin - zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im übrigen Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Entscheidungsreife besteht insoweit nicht, da die erforderliche Feststellung der Händlermarge Sache des Tatrichters ist.

Menges     

Krüger     

Rensen

Wille     

Vogt-Beheim     

 

Fundstellen

Haufe-Index 15547260

VRS 2022, 84

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