Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Auslagenerstattung. Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 17.08.2006; Aktenzeichen 6 S 23166/05)

LG München I (Beschluss vom 20.06.2006; Aktenzeichen 6 S 23166/05)

AG München (Urteil vom 21.11.2005; Aktenzeichen 281 C 31678/02)

 

Tenor

Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die Hälfte der durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 4.000 EUR (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin hat die Verfassungsbeschwerde vollständig für erledigt erklärt, nachdem der Bayerische Verfassungsgerichtshof ihrer dort parallel eingelegten Landesverfassungsbeschwerde teilweise stattgegeben hatte. Sie beantragt nun nur noch, der Staatskasse ihre notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

I.

Die dem Antrag zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde betraf ein zivilgerichtliches Verfahren, in dem die Beschwerdeführerin gegen eine Versicherungsgesellschaft Ansprüche aus einer Familien-Rechtsschutzversicherung geltend gemacht hatte.

Im Ausgangsverfahren begehrte die Beschwerdeführerin nicht nur für ein selbst geführtes Gerichtsverfahren Rechtsschutz, sondern auch für Rechtsstreitigkeiten ihres Ehemanns, zu denen es im Zusammenhang mit der Beendigung seiner Tätigkeit als Notar im Freistaat Thüringen gekommen war. Unter anderem hatte er gegen seinen Amtsnachfolger auf Zahlung einer Entschädigung für die Überlassung der von ihm angeschafften Dokumentensammler geklagt. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, der beklagte Versicherer habe auch für die Streitigkeiten ihres Ehemanns Rechtsschutz zu gewähren, weil die Tätigkeit als Notar einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis vergleichbar und damit vom Versicherungsschutz umfasst sei.

Hinsichtlich des begehrten Rechtsschutzes für Rechtsstreitigkeiten des Ehemanns wies das Amtsgericht die Klage ab. Die geltend gemachten Ansprüche seien nicht vom Familien-Rechtsschutz nach § 25 Abs. 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (im Folgenden: ARB) erfasst, weil nach § 25 Abs. 1 Satz 2 ARB die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit einer selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit ausgeschlossen sei. Die Notarstätigkeit sei als freiberuflich zu qualifizieren.

Gegen das am 30. November 2005 zugestellte erstinstanzliche Urteil legte die Beschwerdeführerin am 2. Dezember 2006 per Telefax beim Landgericht Berufung ein. Das Landgericht wies die Berufung im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

Noch vor Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses hatte die Beschwerdeführerin beim Landgericht Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist und Verweisung des Berufungsrechtsstreits an das – wegen ihres allgemeinen Gerichtsstandes im Ausland – gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b Gerichtsverfassungsgesetz sachlich zuständige Oberlandesgericht beantragt und davon das Oberlandesgericht in Kenntnis gesetzt.

Nach Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses erhob sie beim Landgericht Anhörungsrüge nach § 321a ZPO, die das Landgericht zurückwies. Die Einlegung der Berufung beim unzuständigen Gericht stelle lediglich einen weiteren Grund für den fehlenden Erfolg der Berufung dar. Im Hinblick auf die Weihnachtsfeiertage sei eine Weiterleitung der Berufung an das Oberlandesgericht ohnehin nicht rechtzeitig möglich gewesen. Überdies hätte auch das Oberlandesgericht aus den zutreffenden Gründen der landgerichtlichen Entscheidung die Berufung abgewiesen.

Hierauf erhob die Beschwerdeführerin parallel beim Bundesverfassungsgericht und beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof Verfassungsbeschwerde.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hob in seiner Entscheidung vom 22. März 2007 die Entscheidung des Landgerichts über die Berufung wegen Verstoßes gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter auf und stellte fest, dass damit die Entscheidung des Landgerichts über die Anhörungsrüge gegenstandslos sei. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde auch gegen die Entscheidung des Amtsgerichts richte, sei sie unbegründet. Die allein gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs sei nicht festzustellen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG durch die Entscheidungen des Landgerichts über Berufung und Anhörungsrüge sowie des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts.

Nach Erlass der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs hat die Beschwerdeführerin die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt. Sie beantragt, der Staatskasse ihre notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

III.

Die Bayerische Staatsregierung sowie die Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

IV.

1. Der Beschwerdeführerin ist die Hälfte ihrer durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen Auslagen zu erstatten.

a) Über die Erstattung der Auslagen ist, nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt hat, nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (§ 34a Abs. 3 BVerfGG).

Dabei kommt insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu. Maßgeblich kann etwa sein, ob die öffentliche Gewalt von sich aus den angegriffenen Akt beseitigt und damit zu erkennen gegeben hat, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers für berechtigt erachtet, oder ob eine Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde beispielsweise deshalb ohne weiteres unterstellt werden kann, weil die verfassungsrechtliche Lage – etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleich liegenden Fall – bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 ≪115 f.≫). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Verfassungsbeschwerde von Anfang an offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hatte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. März 2002 – 1 BvR 229/02 –, NJW 2002, S. 3387).

Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin neben der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerde beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingelegt hat und dadurch zweimal Kosten entstanden sind, führt nicht zur Unbilligkeit der Auslagenerstattung (grundlegend: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 1122/90 –, juris ≪Rn. 9 f.≫; dem folgend: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. August 2002 – 1 BvR 1118/01 –; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2007 – 1 BvR 1648/04 –; Kunze, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 34a Rn. 46; a.A. Jutzi, NJW 2003, S. 492).

b) Im vorliegenden Fall entspricht es der Billigkeit, der Beschwerdeführerin die Hälfte ihrer Auslagen zu erstatten.

aa) Der Beschwerdeführerin sind die Auslagen in dem Umfang zu erstatten, in dem der Bayerische Verfassungsgerichtshof der Landesverfassungsbeschwerde stattgegeben hat, ohne dass es insoweit einer eigenständigen Prüfung der Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht bedarf. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat der Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen das durch Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter stattgegeben. Dieses auch in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte grundrechtsgleiche Recht hätte auch das Bundesverfassungsgericht seiner Prüfung zugrunde legen müssen, wenn sich die Verfassungsbeschwerde nicht erledigt hätte. Besondere Anhaltspunkte, die trotz der stattgebenden Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gegen die Billigkeit der Auslagenerstattung sprechen, sind nicht ersichtlich.

bb) Soweit sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde auch gegen die Entscheidung des Amtsgerichts gewendet hat, scheidet eine Erstattung ihrer Auslagen aus Billigkeitsgesichtspunkten jedoch aus. Insoweit hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Landesverfassungsbeschwerde abgewiesen. Auch nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin vor dem Bundesverfassungsgericht ist davon auszugehen, dass die Verfassungsbeschwerde insoweit von Anfang an unbegründet war. Die Beschwerdeführerin rügt lediglich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Das Amtsgericht habe hinsichtlich der Zurückweisung des Deckungsanspruchs für die Schadensersatzklage ihres Ehemanns nicht berücksichtigt, dass die Urkundensammler bereits vor Schadenseintritt in das Privatvermögen ihres Ehemanns übergegangen seien und dass deshalb der Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 1 Satz 2 ARB auch dann nicht einschlägig sei, wenn man die Tätigkeit eines Notars als selbständige Tätigkeit qualifiziere. Diese Rüge ging offensichtlich fehl.

Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles ergibt (vgl. BVerfGE 96, 205 ≪217≫, stRspr).

Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Aus dem Kontext der Entscheidung ergibt sich vielmehr, dass das Amtsgericht das Vorbringen der Beschwerdeführerin berücksichtigt hat. Es legt zunächst ausführlich dar, weshalb die Tätigkeit eines Notars unter § 25 Abs. 1 Satz 2 ARB zu subsumieren ist. Im Anschluss hieran weist es ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Klagen, auch die Schadensersatzklage wegen der Urkundensammler, sich „letztlich aus der Tätigkeit des Ehemanns” der Beschwerdeführerin „als Notar ergeben”. Damit stellt es erkennbar darauf ab, dass die Schadensersatzklage ihren Ursprung in der Tätigkeit des Ehemanns als Notar hatte und damit keine private Schadensersatzklage war.

cc) Weil die Verfassungsbeschwerde von Beginn an nur Aussicht auf Erfolg hatte, soweit die Beschwerdeführerin sich gegen die landgerichtlichen Entscheidungen gewendet hat, erscheint eine hälftige Auslagenerstattung angemessen.

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 357 ≪361 ff.≫; 79, 365 ≪366 ff.≫).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Bryde, Schluckebier

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2148979

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