Verfahrensgang

VG Dresden (Aktenzeichen 3 K 742/97)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 7. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen als Gesamtschuldnerinnen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 440 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Klägerinnen beanspruchen die Feststellung ihrer Berechtigung im Sinne des Vermögensgesetzes – VermG – hinsichtlich eines Grundstücks in D. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil die seinerzeitige nachträgliche Enteignung nach dem Aufbaugesetz keine Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 VermG gewesen sei.

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg; denn es beruht nicht auf dem von ihnen nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensfehler.

Die Klägerinnen beanstanden, das Verwaltungsgericht habe, ohne sie dazu vorher zu hören, festgestellt, daß die umliegenden Flurstücke vor ihrer Bebauung nach dem Aufbaugesetz in Anspruch genommen worden seien, obwohl diese Flächen in Wahrheit nicht enteignet, sondern käuflich erworben worden seien; das hätten ihre erst aufgrund dieser überraschenden Feststellung veranlaßten Nachforschungen ergeben. Da das Verwaltungsgericht aus seiner fehlerhaften Feststellung geschlossen habe, daß eine Enteignung des umstrittenen Grundstücks versehentlich unterblieben sei, beruhe das angegriffene Urteil auf der gerügten Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Verwaltungsgericht der gerügte Verfahrensmangel unterlaufen ist. Immerhin wird bereits in dem mit der Klage angegriffenen Bescheid der Beklagten ausgeführt, es sei „versäumt worden, das Grundstück wie einige der Nachbargrundstücke in Anspruch zu nehmen”, so daß es zweifelhaft ist, ob die beanstandete gerichtliche Feststellung für die Klägerinnen überraschend sein mußte. Es ist aber auch nicht zu verkennen, daß die in dem Bescheid der Beklagten enthaltene Feststellung doppeldeutig ist. Mit ihr kann zum einen gemeint sein, daß die Nachbargrundstücke anders als das umstrittene in Anspruch genommen worden seien, zum anderen aber auch, daß auf einige der Nachbargrundstücke ebenso wie auf das umstrittene Grundstück nicht zugegriffen worden sei. Für diese zweite, nach dem üblichen Sprachgebrauch zunächst fernerliegende Deutung spricht, daß es in dem Entwurf des Bescheides noch hieß, es sei „versäumt worden, die Grundstücke sowie einige Nachbargrundstücke in Anspruch zu nehmen”, und dies später in die oben zitierte Formulierung geändert worden ist (vgl. Blatt 96 und 116 der vom angegriffenen Urteil in Bezug genommenen Verwaltungsvorgänge).

Selbst wenn man den Klägerinnen darin folgt, daß die von ihnen gerügte Feststellung verfahrensfehlerhaft getroffen worden ist – sei es unter Verstoß gegen ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO, sei es unter Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO –, beruht die Entscheidung nicht auf diesem Mangel. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, daß aus der Sicht des Verwaltungsgerichts allein maßgeblich war, daß der Erwerb des umstrittenen Grundstücks für das Bauvorhaben seinerzeit versäumt worden ist, gleichgültig ob im Wege einer auf das Aufbaugesetz gestützten Enteignung oder durch Kauf. Für die Annahme einer solchen Säumnis kam es jedoch nicht auf den möglicherweise verfahrensfehlerhaft festgestellten Umstand an, daß die Nachbargrundstücke seinerzeit enteignet worden sind, sondern nur darauf, daß sie – wenn auch möglicherweise durch Kauf – überhaupt Volkseigentum geworden sind; denn das legt den durch den Inhalt der Verwaltungsvorgänge untermauerten und durch die Beklagte gezogenen Schluß nahe, daß der durch die Baumaßnahme gerechtfertigte Erwerb des umstrittenen Grundstücks damals vergessen worden ist.

Dem Rechtsstreit kommt auch nicht die von den Klägerinnen geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Klägerinnen wollen in einem Revisionsverfahren die Frage geklärt wissen, ob die Legalisierung einer Enteignung, die erst 13 Jahre nach dem faktischen Zugriff vorgenommen wurde, eine unlautere Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG darstellt. Diese Fragestellung verkennt jedoch, daß der bloße Zeitablauf als solcher keine Rückschlüsse darauf zuläßt, ob ein Machtmißbrauch im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG gegeben ist; mindestens muß in ein durch diesen Zeitablauf inzwischen geschaffenes Vertrauen in einer Weise eingegriffen worden sein, die dessen nachträgliche Entwertung als „willkürlich” erscheinen läßt. Hierzu tragen die Klägerinnen in ihrer Beschwerdebegründung nichts vor; sie lassen im Gegenteil in diesem Punkte wesentliche Feststellungen des angefochtenen Urteil außer acht. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, daß im vorliegenden Fall eine an sich nach DDR-Recht mögliche Inanspruchnahme des in Rede stehenden Flurstücks versehentlich unterblieben ist und damit nicht davon ausgegangen werden könne, daß durch die nicht vom Aufbaugesetz gedeckte Inanspruchnahme des Anwesens ein bereits begangenes Unrecht fortgesetzt und vertieft wurde. Mit diesem Gesichtspunkt setzt sich die Beschwerde nicht näher auseinander. Es liegt jedoch auf der Hand, daß die Durchführung einer Enteignung, die der nachträglichen Fehlerkorrektur dient, also eine entstandene „formelle” Gesetzwidrigkeit nachträglich beseitigen soll, unter dem Blickwinkel der Willkür offenkundig anders zu beurteilen ist als die mit einer Enteignung beabsichtigte Verfestigung einer „materiellen” Gesetzwidrigkeit.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Kley, Herbert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566598

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