Leitsatz (amtlich)

1. Der durch den Erwerb eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs geschädigte Käufer kann vom Hersteller gem. §§ 826, 31 analog BGB in Verbindung mit § 249 BGB die Erstattung des an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises und im Falle eines finanzierten Kaufs der an die Darlehensgeberin erbrachten Raten einschließlich der Kosten für einen mit dem Darlehensvertrag abgeschlossenen Kreditschutzbrief sowie Freistellung von der noch bestehenden Darlehensverbindlichkeit verlangen.

2 .Auf seinen Ersatzanspruch hat der Geschädigte sich im Wege des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungsvorteile anrechnen zu lassen. Dabei ist von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km auszugehen.

3. Der Geschädigte hat einen Anspruch auf Deliktszinsen in Höhe von 4% p.a. aus § 849 BGB.

4. Ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (§ 249 BGB) besteht nur in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG), wenn der Prozessvertreter in einer großen Zahl von Verfahren formularmäßig die Schriftsätze fertigt.

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 27.07.2021; Aktenzeichen VI ZR 480/19)

 

Tenor

Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungen - das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 1. Februar 2019 in der Fassung des Beschlusses vom 22. März 2019 - 21 O 134/18 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.074,96 EUR nebst ausgerechneter Zinsen in Höhe von 1.054,68 EUR sowie weiterer Zinsen in Höhe von 4 % p.a. aus 10.803,08 EUR seit 1. November 2018 zu zahlen

und den Kläger von Verbindlichkeiten gegenüber der A. E. Bank aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer ... in Höhe von 4.470,65 EUR freizustellen

Zug um Zug gegen

Übergabe des Fahrzeugs V. V. Touran 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... und Übertragung des dem Kläger gegenüber der E. Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 3.004,33 EUR erledigt ist.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen, nicht anrechenbaren Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten Rechtsanwälte v. R. in Höhe von 562,16 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts - soweit es aufrechterhalten bleibt - sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis 13.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers im Zusammenhang mit dem Kauf eines von dem sog. "Abgasskandal" betroffenen Fahrzeugs.

Die Beklagte stellte unter der Bezeichnung "EA 189" einen Dieselmotor mit der Abgasnorm Euro 5 her, in dessen Motorsteuerung eine zuvor in Kooperation mit der R. B. GmbH entwickelte Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten "Modus 1", der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (nachfolgend: NEFZ) automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte "Modus 0" aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.

Am 12. Dezember 2013 erwarb der Kläger bei dem Automobilhändler A. (im Folgenden: Verkäufer) ein gebrauchtes Fahrzeug der Marke V., Typ Touran, 2,0 l TDI, 103 kW (Rechnung Anlage K 3). In dem Fahrzeug ist auf Veranlassung des Vorstandes der Beklagten ein Dieselmotor des o.g. Typs EA 189 mit 2,0 Liter Hubraum verbaut, dessen Motorsteuerung die o.g. Software zur Abgassteuerung enthielt. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am selben Tag übergeben. Bei Übergabe des Fahrzeugs wies dieses eine Laufleistung von 109.164 km auf.

Zur Finanzierung des ihm von dem Verkäufer in Rechnung gestellten Bruttokaufpreises von 16.700 EUR schloss der Kläger mit der A.E. Bank - Zweigniederlassung der V. Bank GmbH (im Folgenden: Darlehensgeberin) einen Darlehensvertrag inklusive Kreditschutzbrief (im Folgenden: KSB Plus o...

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