Leitsatz (amtlich)

1. Die Bindungswirkungen eines nach §§ 383 Abs. 1, 385, 391 Abs. 2 ZGB-DDR errichteten gemeinschaftlichen Testaments beziehen sich nach § 390 ZGB-DDR i.V.m. Art. 235 § 2 Abs. 2 EGBGB sowohl auf wechselbezügliche als auch auf einseitige Verfügungen der Testierenden.

2. Haben die testierenden Ehegatten von der nach § 390 Abs. 1 Satz 2 ZGB-DDR begründeten rechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich gegenseitig zu ermächtigen, dass der überlebende Ehegatte vom gemeinschaftlichen Testament abweichende letztwillige Verfügungen treffen darf, bezieht sich diese Ermächtigung auf die Zeit nach dem ersten Erbfall und betrifft nicht die wechselseitige Einsetzung des jeweils anderen Ehegatten als Alleinerbe.

3. Zu den Widerrufsmöglichkeiten eines gemeinschaftlichen Testaments nach dem Erbrecht des ZGB-DDR.

 

Verfahrensgang

AG Dessau-Roßlau (Beschluss vom 08.03.2021; Aktenzeichen 8 VI 524/20)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Dessau-Roßlau vom 8. März 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beteiligte zu 2) zu tragen.

Der Kostenwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 306.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger, hatte seinen Lebensmittelpunkt seit 1945 ununterbrochen in Deutschland und bis zum Beitritt am 03.10.1990 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Er war dreimal verheiratet. Aus der ersten, im Jahre 1970 geschiedenen Ehe ist Marion H. geb. L. hervorgegangen. Die Beteiligte zu 1) ist die im Jahre 1956 geborene Tochter der zweiten Ehefrau des Erblassers; sie wurde im Jahre 1995 als Erwachsene vom Erblasser adoptiert. Die Beteiligte zu 2) war die dritte Ehefrau des Erblassers.

Der Erblasser hinterließ drei letztwillige Verfügungen:

Er errichtete gemeinsam mit seiner zweiten, am 09.09.2011 vorverstorbenen Ehefrau Anna L. geb. D. am 27.01.1980 ein handschriftliches Testament, mit dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben - mit einer Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung an das Kind des Vorversterbenden - einsetzten (Ziffer 1) und den Überlebenden berechtigten, von diesem Testament abweichende Verfügungen zu treffen (Ziffer 4). "Für den Fall des Todes beider Ehepartner" setzten sie die hiesige Beteiligte zu 1) als Alleinerbin ein, ebenfalls mit der Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung an Marion H. (Ziffer 2), welche im Falle des Nachweises der bereits erbrachten Zahlung entfiel (Ziffer 3). Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des am 11.06.2020 vom Nachlassgericht (erneut) eröffneten Testaments (Beiakte 8 IV 527/13 AG Dessau-Roßlau, Hülle Bl. 6) Bezug genommen.

Am 30.01.1992 errichtete der Erblasser handschriftlich ein weiteres Testament, mit dem er seine damalige (zweite) Ehefrau nach Erklärungen über die Eigentumszuordnung einzelner Vermögensgegenstände zu Lebzeiten sodann als Alleinerbin einsetzte und sie berechtigte, über den Nachlass nach eigenem Ermessen zu verfügen. Die Beteiligte zu 1) sollte danach nur den Pflichtteil beanspruchen können. Wegen der Einzelheiten wird auf das am 11.06.2020 vom Nachlassgericht eröffnete Testament (Beiakte 8 IV 527/13 AG Dessau-Roßlau, Hülle Bl. 18) Bezug genommen.

Am 15.10.2009 errichtete der Erblasser zu UR Nr. 1461/2009 des Notars B. G. in N. in Sachsen ein Testament, mit welchem er seine damalige Lebensgefährtin, die Beteiligte zu 2), als alleinige und ausschließliche Erbin einsetzte. Wegen der Einzelheiten wird auf das am 15.09.2020 vom Amtsgericht - Nachlassgericht - Pirna (zum Geschäftszeichen 01 IV 831/09) eröffnete Testament (vgl. Beiakte 8 IV 527/13 AG Dessau-Roßlau, Hülle Bl. 53) Bezug genommen.

Am 28.07.2020 hat die Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, welcher sie als Alleinerbin ausweist. Sie hat sich in Unkenntnis des notariellen Testaments vom 15.10.2009 auf eine testamentarische Erbfolge aufgrund des ersten Testaments vom 27.01.1980 und darauf berufen, dass das zweite Testament vom 30.01.1992 lediglich eine Erbeinsetzung für den Fall des Vorversterbens des Erblassers vor seiner zweiten Ehefrau enthalte, so dass es für den im Jahre 2020 eingetretenen Erbfall nicht anwendbar sei.

Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 08.03.2021 die auf Grund des Antrags der Beteiligten zu 1) erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Gegen diese, ihr am 26.03.2021 zugestellte Entscheidung wendet sich die Beteiligte zu 2) mit ihrer am 26.04.2021 vorab per Fax beim Nachlassgericht eingegangenen Beschwerde.

Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 04.08.2021 dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.

Im Beschwerdeverfahren haben die Beteiligten abschließend zur Sach- und Rechtslage Stellung genommen.

B. I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist nach § 58 Abs. 1 FamFG zulässig, insbesondere ist die nach § 61 Abs. 1 FamFG notwendige Mindestbeschwer überschritten. Die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG ist gewahrt worden.

II. Das R...

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