Verfahrensgang

LG Meiningen (Urteil vom 06.02.2004; Aktenzeichen 2 O 726/03)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Meiningen vom 6.2.2004, Az. 2 O 726/03 (321), wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung hat Erfolg, die Anschlussberufung nicht.

Die Berufung ist zulässig, insb. form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511 Abs. 1, 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO).

Die Anschlussberufung ist ebenfalls form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 524 ZPO).

Nur die Berufung ist in der Sache begründet.

Denn die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen.

Der Beklagte kann sich entgegen der Ansicht des LG auf die Haftungsprivilegierung der §§ 106 Abs. 3, 104 Abs. 1 SGB VII berufen, wonach Arbeiter verschiedener Firmen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte einen Personenschaden nur dann zu ersetzen haben, wenn der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Ein vorsätzliches Handeln lässt sich hier nicht feststellen.

Zwar setzt die Anwendung des § 106 Abs. 3 SGB VII voraus, dass der inanspruchgenommene Arbeiter zur Unfallzeit selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte zugegen war (BGH v. 3.7.2001 - VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209 [214 ff.] = MDR 2001, 1239 = BGHReport 2001, 680; Schmitt, SGB VII, 2. Aufl. 2004, § 106 Rz. 10). Im vorliegenden Fall war der Beklagte zur Unfallzeit aber nicht auf der Baustelle anwesend. Jedoch kann sich der Verrichtungsgehilfe des Beklagten, der Zeuge A., auf das Haftungsprivileg berufen. Dies kommt dem Beklagten nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses zugute, so dass auch der Beklagte von der Haftung für Personenschäden freigestellt ist (BGH v. 11.11.2003 - VI ZR 13/03, BGHZ 157, 9 ff. = BGHReport 2004, 441 = MDR 2004, 395; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 30. Aufl. 2004, Rz. 26).

Im vorliegenden Fall lag eine gemeinsame Betriebsstätte vor, als der Kläger und der Zeuge A. die Betonplatten auf dem Firmengelände der Fa. B. vom Lkw abgeladen haben. Dass diese Betriebsstätte nur vorübergehender Art war, hindert die Anwendung des Haftungsprivilegs nicht, wie der Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB VII zeigt. Danach fallen auch vorübergehende Tätigkeiten unter das Haftungsprivileg. Der Zeuge A. bediente den Lkw-Entladekran, während der Kläger die Betonplatten am Haken des Krans an- und abhängte. Es lag daher ein koordinierter Abladevorgang vor, der eine gemeinsame Betriebsstätte i.S.v. § 106 Abs. 3 SGB VII darstellt (OLG Karlsruhe v. 24.5.2002 - 10 U 253/01, VersR 2003, 506 ff.; Schmitt, SGB VII, 2. Aufl. 2004, § 106 Rz. 9).

§ 106 Abs. 3 SGB VII setzt weiter voraus, dass die Arbeiter verschiedenen Unternehmen angehörten. Das war hier der Fall, da der Kläger bei der Fa. B. beschäftigt war, während der Zeuge A. bei der Firma des Beklagten tätig war.

Auch die weitere Voraussetzung ist gegeben, wonach der Zeuge A. nicht vorsätzlich gehandelt haben darf, um sich auf das Haftungsprivileg der §§ 106 Abs. 3, 104 Abs. 1 SGB VII berufen zu können. Ein vorsätzliches Handeln des Zeugen A. ist hier nicht gegeben. Der Zeuge A., der der einzige unmittelbare Unfallzeuge ist, hat ausgesagt, dass er im Augenblick des Unfalls, als er - A. - den Kran bewegt habe, nicht auf den Kläger, sondern auf die Betonplatte geschaut habe, und er den Unfall selbst nicht gesehen habe, sondern den Kläger nur schreien gehört habe (s. Zeugenaussage im Sitzungsprotokoll v. 21.11.2003). Darin liegt kein vorsätzliches Handeln, sondern ein Handeln aus Unachtsamkeit, das lediglich den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründet. Ein vorsätzliches Handeln würde voraussetzen, dass der Zeuge A. den Unfall bewusst und gewollt herbeigeführt hat. Ein solcher direkter Vorsatz lässt sich hier keinesfalls bejahen. Zwar würde für eine Haftung auch ein bedingter Vorsatz genügen (Schmitt, SGB VII, 2. Aufl. 2004, § 104 Rz. 17). Ein bedingter Vorsatz würde vorliegen, wenn der Zeuge A. einen Unfall billigend in Kauf genommen hätte. Billigende Inkaufnahme bedeutet zustimmende, bewusste Inkaufnahme (Staudinger/Löwisch, BGB, Neubearb. 2004, § 276 Rz. 21, 22).

Wer darauf aber vertraut, dass ein Unfall trotz der Gefahr schon nicht eintreten werde, der handelt nur fahrlässig, wenn auch bewusst fahrlässig (Staudinger/Löwisch, BGB, Neubearb. 2004, § 276 Rz. 22). Dies reicht für eine Personenschadenshaftung bei Arbeitsunfällen nicht aus.

Im vorliegenden Fall lässt sich nicht nachweisen, dass der Zeuge A. zustimmend in Kauf genommen hat, dass der Kläger verletzt werden würde. Vielmehr muss angenommen werden, dass er darauf vertraut hat, dass schon nichts passieren werde. Zumindest lässt sich letzteres - eine bewusste Fahrlässigkeit - nicht ausschließen. Wenn sich aber eine Fahrlässigkeit nicht ausschließen lässt, lässt sich ein Vorsa...

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