Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungseigentumssache: Unterlassung der Nutzung einer Wohnung als Arztpraxis
Leitsatz (amtlich)
1. Nach der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise stört und beeinträchtigt die Nutzung einer Wohnung als Arztpraxis mit erheblichem Patientenverkehr mehr als eine zweckbestimmungsgemäße Nutzung als Wohnung.
2. Wird eine von mehreren Wohnungen einer Wohnanlage über viele Jahre hinweg zweckbestimmungswidrig genutzt, verstößt das Verlangen auf Unterlassung der zweckbestimmungswidrigen Nutzung anderer Wohnungen grundsätzlich nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben.
Normenkette
BGB §§ 242, 1004; WEG § 15 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 02.05.2000; Aktenzeichen 14 T 9706/99) |
AG Fürth (Bayern) (Urteil vom 10.11.1999; Aktenzeichen 7 UR II 79/99) |
Tenor
I. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. Mai 2000 aufgehoben.
II. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Amtsgerichts Fürth vom 10. November 1999 wird zurückgewiesen.
III. Der Antragsgegner hat die Gerichtskosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind in keinem Rechtszug zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert wird für alle Rechtszüge auf 15.000 DM festgesetzt. Die Geschäftswertfestsetzung des Amtsgerichts wird entsprechend abgeändert.
Gründe
I.
Die Antragsteller und der Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die aus einem mehrstöckigen Gebäude besteht. Dem Antragsgegner gehören die Räume im Erdgeschoß, im ersten Obergeschoß und im Dachgeschoß; den Antragstellern gehören die Räume im zweiten und dritten Obergeschoß.
Nach dem Nachtrag vom 28.9.1981 zur Teilungserklärung vom 4.5.1981 handelt es sich bei den Räumen im Erdgeschoß um „gewerbliche Räume” und bei den übrigen Räumen um „Wohnzwecken dienende Räume”. Im Erdgeschoß wird eine Arztpraxis betrieben, die auf die Räume im ersten Obergeschoß erstreckt werden soll.
Die Antragsteller haben beantragt, dem Antragsgegner zu untersagen, die Räume im ersten Obergeschoß Dritten zum Zwecke der Ausübung einer Arztpraxis zu überlassen. Das Amtsgericht hat dem Antrag am 10.11.1999 stattgegeben. Das Landgericht hat ihn durch Beschluß vom 2.5.2000 abgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Wiederherstellung der Entscheidung des Amtsgerichts.
1. Das Landgericht hat ausgeführt: Dem grundsätzlich begründeten Standpunkt der Antragsteller stehe das Gebot von Treu und Glauben entgegen. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die tatsächliche Nutzung des Anwesens von Anfang an nicht mit der Teilungserklärung in Einklang gestanden habe. Im zweiten Obergeschoß sei bis 1982 eine Steuerkanzlei mit verhältnismäßig geringem Publikumsverkehr betrieben worden; danach sei die Wohnung an eine Lehrerin vermietet gewesen und anschließend an eine Unfallhilfsorganisation, die darin ihre Geschäftsstelle mit einem regen Publikumsverkehr betrieben habe. Sodann sei das zweite Obergeschoß als Fotostudio genutzt worden und anschließend als Showroom und Büro mit verhältnismäßig geringem Publikumsverkehr. Es widerspräche den Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn es dem Antragsgegner unter diesen Umständen verboten wäre, das erste Obergeschoß für die Erweiterung der Arztpraxis zu nutzen. Eine solche Nutzung sei den Antragstellern zumutbar, weil sie den Charakter des ansehnlichen Anwesens weder von außen noch von innen verändere. Während der langjährigen Nutzung des zweiten Oberschosses entgegen den Bestimmungen der Teilungserklärung habe es keinerlei Beschwerden durch Mitbewohner gegeben. Da sich die Arztpraxis auf die üblichen Geschäftszeiten außerhalb der Wochenenden beschränke, könne von einer massiven Störung keine Rede sein. Die Praxiserweiterung führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Anlage im Übermaß.
2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Bei der Bezeichnung der Räume im Erdgeschoß in dem Nachtrag zur Teilungserklärung als gewerbliche Räume und der Räume in den übrigen Stockwerken des Hauses als zu Wohnzwecken dienende Räume handelt es sich um eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2, § 15 Abs. 1 WEG. Zulässig ist grundsätzlich auch eine andere Nutzung, als sie sich aufgrund dieser Zweckbestimmung ergibt, sofern sie nicht mehr stört oder beeinträchtigt als eine der Zweckbestimmung entsprechende Nutzung. Ob dies der Fall ist, muß anhand einer typisierenden Betrachtungsweise festgestellt werden. Wird ein Wohnungs- oder Teileigentum nach diesen Grundsätzen zweckbestimmungswidrig genutzt, kann ein anderer Wohnungs- oder Teileigentümer Unterlassung dieser Nutzung gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 15 Abs. 3 WEG verlangen (allgemeine Meinung und ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. BayObLG WuM 1993, 490; ZMR 2000, 234). Der Unterlassungsanspruch kann auch dann gegen den Eigentümer geltend gemacht werden, wenn das zweck...