Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewirkung der Pfändung von Bezügen per Blankettbeschluss
Leitsatz (amtlich)
Die Pfändung von Bezügen i.S.d. § 850b Abs. 1 ZPO kann durch Blankettbeschluss entsprechend § 850b Abs. 3 S. 2 ZPO bewirkt werden.
Normenkette
ZPO § 850b
Verfahrensgang
LG Duisburg (Beschluss vom 21.07.2004; Aktenzeichen 7 T 115/04) |
AG Oberhausen |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubiger wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Duisburg v. 21.7.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Wert: 112.484,21 EUR
Gründe
I.
Die Gläubiger betreiben gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde v. 20.3.1997 wegen einer Hauptforderung i.H.v. 200.000 DM.
Auf ihren bei Gericht am 7.4.1997 eingegangenen Antrag v. 20.3.1997 hat der Rechtspfleger am 10.4.1997 Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen und die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin aus dem Versorgungsverhältnis bezüglich Berufsunfähigkeits-, Alters- und Witwenrente sowie Sterbegeld auf Zahlung der gegenwärtigen und künftig auf Grund dieses Versorgungsverhältnisses dem Schuldner zustehenden Geldleistungen gepfändet. Zur Berechnung des pfändbaren Einkommens verweist der Beschluss auf die Tabelle des § 850c Abs. 3 ZPO.
Die weitere Gläubigerin, die mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss v. 27.6.2003 die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin gepfändet hatte, hat am 28.11.2003 Erinnerung gegen den von den Gläubigern erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss eingelegt. Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Der Richter am AG hat die Erinnerung am 5.2.2004 zurückgewiesen.
Das LG hat auf die sofortige Beschwerde der weiteren Gläubigerin am 10.2.2004 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss v. 10.4.1997 aufgehoben.
Dagegen richtet sich die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubiger.
II.
Die gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hält die Erinnerung der weiteren Gläubigerin für zulässig. Sie werde durch eine im Rang vorgehende Pfändung in ihrer Rechtsstellung beeinträchtigt und habe daher ein berechtigtes Interesse daran, die Rechtmäßigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses überprüfen zu lassen.
Das Beschwerdegericht ist weiter der Ansicht, der angefochtene Beschluss sei als unzulässiger Blankettbeschluss erlassen worden. Bei der Pfändung von Ansprüchen i.S.d. § 850b Abs. 1 ZPO könne anders als bei der Pfändung von Arbeitseinkommen gem. § 850c ZPO grundsätzlich kein Blankettbeschluss ergehen, da der Drittschuldner nicht die Möglichkeit habe, die unpfändbaren Beträge zu ermitteln. Das Gesetz habe das Arbeitsverhältnis "gesehen". Der Drittschuldner könne bei der Pfändung des Arbeitseinkommens das Nettoeinkommen gem. § 850e ZPO ohne weiteres ermitteln. Er könne durch die Lohnsteuerkarte und Befragung des Arbeitnehmers feststellen, welche unterhaltsberechtigten Personen vorhanden seien. Der Versicherer habe diese Möglichkeit nicht. Ein dem Arbeitsverhältnis entsprechender Anspruch des Versicherers ggü. dem Versicherungsnehmer sei in dieser Weise nicht gegeben. Soweit die Gläubiger Auskunftsansprüche gem. §§ 810, 811 BGB geltend machen könnten, seien sie hierzu vorrangig verpflichtet und hätten den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Angabe der Unterhaltsberechtigten entsprechend zu beantragen.
2. Das Beschwerdegericht geht zutreffend davon aus, dass die weitere Gläubigerin, die sich ausschließlich gegen die Pfändung der Berufsunfähigkeitsrente des Schuldners wendet, berechtigt war, gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss Erinnerung einzulegen.
Einem nachrangig pfändenden Gläubiger steht die Erinnerung gem. § 766 ZPO gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu. Er wird durch eine ihm im Rang vorgehende Pfändung in seiner Rechtsstellung beeinträchtigt und hat deshalb ein berechtigtes Interesse daran, die Rechtmäßigkeit der vorrangigen Pfändung überprüfen zu lassen (BGH, Urt. v. 9.2.1989 - IX ZR 17/88, MDR 1989, 633 = NJW-RR 1989, 636 = BGHR ZPO § 766 - Erinnerungsbefugnis 1). Die weitere Gläubigerin wendet sich dagegen, dass hinsichtlich der Berufsunfähigkeitsrente des Schuldners ein unzulässiger Blankettbeschluss ergangen ist, der ihre Rechte aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss v. 27.6.2003 beeinträchtigt. Sie war insofern zur Einlegung der Erinnerung berechtigt.
3. Die Rechtsbeschwerde der Gläubiger beanstandet zu Recht, dass das Beschwerdegericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss v. 10.4.1997 aufgehoben hat.
a) Das Beschwerdegericht folgt bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Pfändung der Berufsunfähigkeitsrente des Schuldners ein Blankettbeschluss ergehen durfte, der überwiegend in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der Literatur vertretenen Ansicht (LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.8.2003 - 25 T 568/03, JurBüro 2003, 655; LG Karlsruhe, Beschl. v. 20.5.2003 - 11 T 131/03, JurBüro 2003, 655, jeweils m.w.N.; Hülsmann, NJW 1995, 1521). Danach soll die Blankettpfändung unzulässig sein. Dies wird maßgeblich damit begründet, dass bei der Pfändung der Berufsunfähigkeitsrente der Drittschuldner anders als der Arbeitgeber bei der Pfändung von Arbeitseinkommen die Feststellung der Vermögensverhältnisse und der Unterhaltsverpflichtungen regelmäßig nicht vornehmen könne. § 850b Abs. 2 ZPO sei entsprechend dem Sinn und Zweck des § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO teleologisch zu reduzieren. Die Einführung des § 850c ZPO sei damit begründet worden, dass sich der Weg der Blankettpfändung als der zweckmäßigste, weil am wenigstens komplizierteste und die Beteiligten am geringsten belastende Eingriff darstelle (BT-Drucks. 3/768, 3v. 15.12.1958, S. 2). Dieser Gedanke trage bei der Pfändung von Ansprüchen nach § 850b ZPO nicht, weil hier dem Drittschuldner die Ermittlung der Vermögensverhältnisse und Unterhaltslasten des Schuldners nicht einfacher als dem Gläubiger oder dem Vollstreckungsgericht möglich sei. Der Gesetzgeber habe mit der Möglichkeit der eidesstattlichen Versicherung dem Gläubiger eine formalisierte Erkenntnisquelle verschafft.
Die Gegenansicht (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 850b Rz. 16; Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl. 2002, Rz. 1381, jeweils m.w.N.) verweist auf den Gesetzeswortlaut des § 850b Abs. 2 ZPO. In vielen Fällen stünden dem Drittschuldner die erforderlichen Angaben aus den Verfahrensunterlagen zur Verfügung. Der Leistungsträger könne zudem durch Anhörung von Gläubiger und Schuldner ebensolche Feststellungen treffen wie der Arbeitgeber. Auch bei einer Leistung nach Abtretung habe der Leistungsträger die Personen, denen der Schuldner tatsächlich Unterhalt gewähre, selbst zu ermitteln und zu berücksichtigen und nach ihrer Zahl den abtretbaren Betrag aus der Tabelle des § 850c ZPO abzulesen.
b) Nach § 850b Abs. 2 ZPO können die unpfändbaren Bezüge des § 850b Abs. 1 ZPO nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden, wenn die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und wenn nach den Umständen des Falles, insb. nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge die Pfändung der Billigkeit entspricht.
Bezüge i.S.d. § 850b Abs. 1 ZPO sind kein Arbeitseinkommen. Sie werden als Renten oder rentenähnliche Bezüge wie Arbeitseinkommen behandelt, weil sie dem Lebensunterhalt des Schuldners zu dienen bestimmt sind (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 850b Rz. 1005). § 850b ZPO weist in Abs. 3 die Besonderheit auf, dass das Vollstreckungsgericht entgegen der allgemeinen Regel des § 834 ZPO vor seiner Entscheidung die Beteiligten, dazu gehört auch der Schuldner, hören soll. Die Gleichstellung mit dem Arbeitseinkommen, die uneingeschränkte Verweisung des § 850b Abs. 2 ZPO auf § 850c ZPO und die vorgeschriebene besondere Verfahrensweise rechtfertigen es, im Pfändungsbeschluss auf die Tabelle des § 850c ZPO zu verweisen, also jedenfalls dann einen Blankettbeschluss zu erlassen, wenn der Schuldner sich im Anhörungsverfahren nicht geäußert hat; denn es ist zuvörderst seine Aufgabe, sich auf die beschränkte Leistungsfähigkeit zu berufen und auf bestehende Unterhaltsverpflichtungen hinzuweisen. Erst wenn der Schuldner sich substantiiert erklärt hat, obliegt es dem Gläubiger, die bei der Feststellung des nach der Tabelle zu § 850c ZPO pfändbaren Betrages zu berücksichtigenden Unterhaltsberechtigten zahlenmäßig bestimmt zu bezeichnen. Dem Gläubiger obliegt es auch, neben den weiteren Voraussetzungen des § 850b Abs. 2 ZPO darzulegen und zu beweisen, dass die vom Schuldner behaupteten Unterhaltsverpflichtungen nicht bestehen.
Die Entstehungsgeschichte von §§ 850b und 850c ZPO rechtfertigt keine andere Beurteilung. § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO, wonach bei der Pfändung eine Bezugnahme auf die Tabelle ausreicht, wurde zwar erst bei der Novellierung der ZPO durch das Gesetz zur Einbringung der Pfändungsfreigrenzen v. 26.2.1959 (BGBl. I 1959, 49) eingeführt. Dass die Verweisung in § 850b Abs. 2 ZPO schon lange vorher im Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung v. 20.8.1953 (BGBl. I 1953, 952) in die ZPO aufgenommen worden war, rechtfertigt nicht die Annahme, eine Blankettpfändung sei unzulässig. Denn der Gesetzgeber hat die Verweisung in § 850b Abs. 2 ZPO in Kenntnis der Neufassung des § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO aufrechterhalten. Durch die in § 850b Abs. 3 ZPO vorgesehene Anhörung des Schuldners, die bei der Pfändung des Arbeitseinkommens nicht vorgesehen ist, ist der Schuldner hinreichend geschützt. Eine weitere teleologische Reduktion bei der Anwendung des § 850b ZPO ist daher nicht veranlasst.
4. Die bisherigen Feststellungen des Beschwerdegerichts ermöglichen dem Senat nicht, zu beurteilen, ob bei Beachtung dieser Grundsätze der Erlass eines Blankettbeschlusses zulässig war.
Da das Beschwerdegericht den Blankettbeschluss allgemein für unzulässig hält, hat es nicht geprüft, ob die weiteren Voraussetzungen des § 850b Abs. 2 ZPO beachtet sind. Danach können die nach Abs. 1 des § 850b ZPO grundsätzlich unpfändbaren Bezüge nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften nur dann gepfändet werden, wenn die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und wenn die Pfändung nach den Umständen des Falles, insb. nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge der Billigkeit entspricht. Nur wenn positiv feststeht, dass auch diese besonderen Voraussetzungen für die Pfändung vorliegen, darf die Pfändung der nach § 850b Abs. 1 ZPO grundsätzlich unpfändbaren Bezüge zugelassen werden (BGH, Beschl. v. 19.3.2004 - IXa ZB 57/03, BGHReport 2004, 1393 = MDR 2004, 1144 = NJW 2004, 2450).
Die angefochtene Entscheidung verhält sich aus diesem Grund auch nicht zur Billigkeit der Pfändung, bei deren Beurteilung ein tatrichterlicher Spielraum besteht und bei der eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist, welche eine umfassende und nachvollziehbare Würdigung aller in Betracht kommender Umstände erfordert. In die Beurteilung einzufließen haben die Umstände des Falles, insb. die Art des beizutreibenden Anspruchs.
Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht auch die Möglichkeit, sich mit der Rüge der weiteren Gläubigerin auseinander zu setzen, bei Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses sei gegen § 798 ZPO verstoßen worden. Ggf. wird zu prüfen sein, ob wegen eines solchen Verstoßes von einer Rangverbesserung der von der weiteren Gläubigerin ausgebrachten Pfändung ggü. der Pfändung der Gläubiger, bei denen es sich wohl um Kinder des Schuldners handelt, auszugehen ist (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 798 Rz. 3; vor § 704 Rz. 35).
Fundstellen
Haufe-Index 1343816 |
BGHR 2005, 940 |
FamRZ 2005, 1083 |
NJW-RR 2005, 869 |
JurBüro 2005, 381 |
WM 2005, 1185 |
ZAP 2005, 761 |
InVo 2005, 324 |
MDR 2005, 1015 |
MDR 2006, 968 |
Rpfleger 2005, 446 |
RENOpraxis 2005, 141 |
ProzRB 2005, 205 |