Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerdegegner im Richterablehnungsverfahren. Erstattungsfähige anwaltliche Beschwerdegebühr § 61 Abs. 1 BRAGO
Leitsatz (amtlich)
a) Bei der Richterablehnung hat der Gegner der ablehnenden Partei die Stellung eines Verfahrensbeteiligten. Die Entstehung und die Erstattung seiner Anwaltsgebühren im Beschwerdeverfahren richten sich deshalb nach allgemeinen Grundsätzen. Sie sind insb. nicht davon abhängig, dass der Anwalt einen Schriftsatz eingereicht hat.
b) Der im Hauptsacheverfahren tätige Anwalt ist i.d.R. als beauftragt anzusehen, die Partei auch im Beschwerdeverfahren einer Richterablehnung zu vertreten.
Normenkette
ZPO § 46 Abs. 2, § 91 Abs. 1-2; BRAGO § 61 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 20.04.2004; Aktenzeichen 8 W 634/04) |
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 30.01.2004) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Verfügungskläger wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Nürnberg v. 20.4.2004 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Nürnberg-Fürth v. 30.1.2004 betreffend die Kosten des Beschwerdeverfahrens - 8 W 1358/03, wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsbeklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 602,85 EUR.
Gründe
I.
In einem landgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung lehnten die Verfügungsbeklagten den zur Entscheidung berufenen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das LG wies das Gesuch zurück. Die von den Verfügungsbeklagten eingelegte sofortige Beschwerde wurde den Verfahrensbevollmächtigten der Gegenseite durch das Gericht übersandt, die Verfügungskläger äußerten sich im Beschwerdeverfahren jedoch nicht. Durch Beschluss v. 13.5.2003 wies das OLG die sofortige Beschwerde zurück und erlegte den Verfügungsbeklagten die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf.
Auf Antrag der Verfügungskläger hat das LG mit Beschluss v. 30.1.2004 die ihnen von den Verfügungsbeklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens auf 602,85 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten hat das OLG mit Beschluss v. 20.4.2004 die Kostenfestsetzung aufgehoben und den Festsetzungsantrag der Verfügungskläger zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem OLG zugelassene Rechtsbeschwerde der Verfügungskläger.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die von den Verfügungsklägern zur Festsetzung angemeldeten Kosten seien nicht entstanden. Zwar falle die Gebühr nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO grundsätzlich bereits durch die Mitteilung der Beschwerdeschrift an, weil anzunehmen sei, dass der Anwalt anschließend geprüft habe, ob für seinen Auftraggeber im Beschwerdeverfahren etwas zu veranlassen sei. Dieser Grundsatz gelte jedoch nur in kontradiktorischen Verfahren und damit nicht bei der Richterablehnung. Der Prozessgegner der ablehnenden Partei könne sich an diesem Verfahren zwar beteiligen, infolge des fakultativen Charakters der Beteiligung müsse sie jedoch durch Einreichung eines Schriftsatzes ggü. dem Beschwerdegericht zum Ausdruck kommen.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO). Ihr steht nicht entgegen, dass dem angefochtenen Beschluss ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Grunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch die §§ 574 Abs. 1 S. 2, 542 Abs. 2 S. 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist (BGH v. 27.2.2003 - I ZB 22/02, BGHZ 154, 102 = MDR 2003, 529 = BGHReport 2003, 628). Diese Begrenzung gilt nicht für das Kostenfestsetzungsverfahren, da es als selbstständige Folgesache mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestattet ist (BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - I ZB 27/03, BGHReport 2004, 1325 = MDR 2004, 1136; Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 542 Rz. 9).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach der Anwalt eines Beschwerdegegners die Gebühr nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO (entspricht Nr. 3500 VV-RVG) verdient, wenn er auftragsgemäß im Beschwerdeverfahren tätig geworden ist. Hierzu genügt grundsätzlich die Entgegennahme der von dem Gericht mitgeteilten Beschwerdeschrift, weil als glaubhaft gemacht angesehen wird, dass der Anwalt anschließend pflichtgemäß geprüft hat, ob etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist; die Einreichung eines Schriftsatzes ist nicht erforderlich (OLG Köln JurBüro 1986, 1663; OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 687; OLG Hamburg v. 1.11.1993 - 8 W 188/93, MDR 1994, 522; OLG Stuttgart JurBüro 1998, 190; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 61 Rz. 8.).
b) Die Ansicht des Berufungsgerichts, abweichend von diesem Grundsatz entstünde für den Anwalt des Beschwerdegegners bei einer Richterablehnung die Gebühr gem. § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO nur, soweit er im Beschwerdeverfahren schriftsätzlich hervortrete, hält demgegenüber rechtlicher Prüfung nicht stand.
In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, unter welchen Voraussetzungen in diesem Fall eine erstattungsfähige anwaltliche Beschwerdegebühr entsteht.
aa) Nach einer verbreiteten Auffassung stellt sich das Richterablehnungsverfahren als Streit einer Partei mit dem Gericht dar, an dem die andere Partei des Rechtsstreits formell nicht beteiligt ist. Für deren Prozessbevollmächtigten bestünde deshalb in aller Regel keine Notwendigkeit zu prüfen, ob die sofortige Beschwerde der ablehnenden Partei Anlass zu einer Gegenäußerung gebe. Die Folgerungen, die aus der Einordnung der Richterablehnung als eines nicht-kontradiktorischen Verfahrens gezogen werden, sind unterschiedlich. Teilweise wird angenommen, dass eine Beschwerdegebühr nur anfällt, wenn die nicht ablehnende Partei sich, etwa durch eine schriftsätzliche Äußerung, an dem Beschwerdeverfahren beteiligt (OLG Stuttgart JurBüro 1984, 566; OLG Schleswig SchlHA 1989, 131; VGH Mannheim JurBüro 1999, 362; KG v. 27.3.2001 - 1 W 6/01, KGReport Berlin 2002, 227; Hansens, BRAGOreport 2001, 120 [121]). Andere verneinen die Anwendbarkeit der §§ 91 ff. ZPO auf das Richterablehnungsverfahren und damit die Erstattungsfähigkeit etwaiger auf Seiten des Beschwerdegegners entstandener Gebühren (BayObLG DAVorm 1992, 229; KG Rpfleger 1962, 156; OLG Hamm MDR 1975, 235; OLG Düsseldorf JurBüro 1975, 1216; OLG Celle, Rpfleger 1983, 173; OLG Frankfurt v. 15.8.1991 - 14 W 48/91, NJW-RR 1992, 510; OLG Düsseldorf OLGReport Düsseldorf 1993, 63; OLG München v. 16.2.1994 - 11 W 698/94, MDR 1994, 627 = OLGReport München 1994, 120; OLG Köln OLGReport Köln 1996, 256; OLG Brandenburg v. 30.4.2002 - 12 W 7/02, OLGReport Brandenburg 2002, 370 = MDR 2002, 1092; LG Göttingen v. 29.2.2000 - 10 T 8/00, Rpfleger 2000, 428; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 97 Rz. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 91 Rz. 70; E. Schneider, JurBüro 1977, 1179 [1183]) oder machen die Erstattungsfähigkeit davon abhängig, dass sich die Partei an dem Beschwerdeverfahren beteiligt hat (OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 1996, 261; OLG Schleswig SchlHA 1989, 131; OLG Nürnberg v. 3.8.2001 - 4 W 2481/01, OLGReport Nürnberg 2002, 35 = NJW-RR 2002, 720) oder ausdrücklich zu einer Stellungnahme aufgefordert worden ist (OLG Hamm v. 6.3.1989 - 23 W 611/88, MDR 1989, 917) oder davon, dass das Beschwerdegericht ausnahmsweise eine Kostenentscheidung getroffen hat (KG v. 22.8.1995 - 1 W 3878/95, KGReport Berlin 1995, 252; OLG Düsseldorf v. 17.1.1985 - 10 W 328/84, MDR 1985, 589, für die Kosten des Beschwerdeführers; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 91 Rz. 13 - Richterablehnung; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 91 Rz. 70).
bb) Die Gegenauffassung hält die Erwägungen über den nicht-kontradiktorischen Charakter des Ablehnungsverfahrens für unbehelflich. Sie stellt darauf ab, dass dem Prozessgegner im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör zu gewähren ist, weil die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch auch seine Belange berührt. Einige Vertreter dieser Auffassung machen die Entstehung der Beschwerdegebühr oder ihre Erstattungsfähigkeit ebenfalls von einer Beteiligung des Beschwerdegegners an dem Beschwerdeverfahren (OLG Frankfurt v. 21.1.1986 - 6 W 303/85, NJW-RR 1986, 740; Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 46 Rz. 6) oder von der Notwendigkeit dieser Kosten (Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 46 Rz. 9) abhängig. Überwiegend wird aus dem Erfordernis, dem Beschwerdegegner rechtliches Gehör zu gewähren, allerdings der Schluss gezogen, dass eine Beschwerdegebühr nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO bereits anfällt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdegegners nach Erhalt der Beschwerdeschrift pflichtgemäß geprüft hat, ob im Beschwerdeverfahren etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist (N. Schneider, KostRsp., BRAGO § 61 Nr. 57), und dass die Anwaltskosten nach den §§ 91 ff. ZPO erstattungsfähig sind (OLG Stuttgart DJ 1979, 17; OLG Nürnberg v. 19.5.1980 - 8 W 913/80, MDR 1980, 1026; OLG Frankfurt v. 29.7.1981 - 20 W 404/81, MDR 1981, 1024 = Rpfleger 1981, 408; OLG Köln v. 26.6.1989 - 17 W 153/89, Rpfleger 1989, 427; OLG Koblenz v. 31.5.1991 - 14 W 250/91, MDR 1992, 310; OLG Saarbrücken JurBüro 1992, 742; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 46 Rz. 10; Lappe, KostRsp., BRAGO § 61 Nr. 43; OLG Hamburg v. 1.11.1993 - 8 W 188/93, MDR 1994, 522).
cc) Die zuletzt genannte Auffassung verdient den Vorzug. Das Richterablehnungsverfahren ist kein auf das Verhältnis zwischen der ablehnenden Partei und dem Gericht beschränktes Verfahren. In ihm wird darüber befunden, ob der zuständige Richter zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen bleibt. Das berührt nicht nur die Interessen der ablehnenden Partei. Ihrem Recht auf Bereitstellung eines unparteiischen Richters steht der Anspruch des Gegners auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) gegenüber, der bei Ersetzung eines tatsächlich nicht befangenen Richters verletzt wird (BVerfG v. 8.6.1993 - 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28 [37]). Demgemäß ist heute anerkannt, dass die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, die prozessuale Rechtsstellung beider Parteien berührt und deshalb im Ablehnungsverfahren beiden Parteien rechtliches Gehör zu gewähren ist (BVerfG v. 8.6.1993 - 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28 [36]; BGH, Urt. v. 15.12.1994 - I ZR 121/92, MDR 1995, 816 = NJW 1995, 1677 [1679]). Aus dem Anhörungsgebot folgt zugleich, dass auch der Gegner der ablehnenden Partei Beteiligter des Ablehnungsverfahrens ist (so zutreffend Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 46 Rz. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 46 Rz. 3).
Damit steht der nicht ablehnenden Partei hinsichtlich ihrer Anwaltskosten ebenfalls die Stellung eines Verfahrensbeteiligten zu. Das ist auch sachgerecht. Ihr Recht, vor einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde angehört zu werden, verpflichtet den mit ihrer Interessenwahrnehmung beauftragten Prozessbevollmächtigten zu prüfen, ob die Beschwerdeschrift eine Gegenäußerung erfordert. Das gilt unabhängig davon, ob das Gericht ihm die Beschwerdeschrift lediglich mitteilt oder darüber hinaus zu einer Stellungnahme auffordert. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör das Recht zur Äußerung umfasst (BVerfG v. 8.6.1993 - 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28 [35]) und der Anwalt gehalten ist, dieses Recht seiner Partei zu verwirklichen, muss er in jedem Fall prüfen, ob die Beschwerdeschrift eine Stellungnahme erfordert. Damit wird er auftragsgemäß im Beschwerdeverfahren tätig und verdient die Beschwerdegebühr des § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO.
Allerdings setzt die Entstehung dieser Gebühr voraus, dass der Anwalt mit der Vertretung im Beschwerdeverfahren beauftragt worden ist. Hiervon kann jedoch i.d.R. ausgegangen werden, wenn der Anwalt die Partei im Hauptsacheverfahren vertritt (a.A. N. Schneider, MDR 2001, 130 [132]). Ergibt sich aus dem Auftragsverhältnis ausnahmsweise etwas Anderes, beschränkt sich die Tätigkeit des Anwalts auf die Entgegennahme und Weiterleitung der Beschwerdeschrift an die Partei, wodurch eine Gebühr nicht ausgelöst wird (OLG Köln JurBüro 1986, 1663 [1664]; VGH Mannheim JurBüro 1999, 362; Mümmler, JurBüro 1991, 688; KG v. 22.8.1995 - 1 W 3878/95, KGReport Berlin 1995, 252). Ist hingegen von einer Beauftragung des Anwalts auszugehen, sind weder die Entstehung noch die Erstattung der Beschwerdegebühr von dem Nachweis eines besonderen Interesses oder einer erkennbar gewordenen Beteiligung am Ablehnungsverfahren abhängig. Entsprechendes gilt für die Notwendigkeit der Anwaltskosten; sie wird durch § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO fingiert.
IV.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO), da weitere Feststellungen zur Entstehung der Beschwerdegebühr nicht erforderlich sind. Dass die Prozessbevollmächtigten der Verfügungskläger mit deren Einverständnis im Beschwerdeverfahren tätig waren, ergibt sich aus der Erhebung der Rechtsbeschwerde. Eine Kostengrundentscheidung zu Lasten der Verfügungsbeklagten ist in dem Beschluss über die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs v. 13.5.2003 enthalten. Das führt zur Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des LG.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1373052 |
NJW 2005, 2233 |
BGHR 2005, 1150 |
FamRZ 2005, 1563 |
JurBüro 2005, 482 |
ZAP 2005, 942 |
MDR 2005, 1016 |
Rpfleger 2005, 481 |
AGS 2005, 413 |
RENOpraxis 2005, 157 |
RVG-B 2005, 136 |
RVGreport 2005, 275 |
Mitt. 2005, 327 |
RVG-Letter 2005, 86 |