Leitsatz (amtlich)
Der Beklagte, gegen den ein Versäumnisurteil (in gesetzlicher Weise) ergangen ist, trägt die durch die Versäumnis veranlassten Kosten auch dann, wenn der Kläger die Klage zurücknimmt.
Normenkette
ZPO § 269 Abs. 3, § 344
Verfahrensgang
LG Augsburg (Beschluss vom 10.11.2003) |
AG Augsburg (Beschluss vom 21.11.2002) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden der Beschluss der 10. Zivilkammer des LG Augsburg v. 10.11.2003 aufgehoben und der Beschluss des AG Augsburg v. 21.11.2002 abgeändert.
Nach Rücknahme der Klage trägt die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der durch die Versäumnis des Beklagten veranlassten Kosten.
Die Klägerin trägt zudem die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 300 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin erwarb ein von dem Beklagten bewohntes Anwesen und forderte ihn erfolglos zur Räumung bis 31.5.2002 auf. Die Räumungsklage ist dem Beklagten, zusammen mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens, der Aufforderung, die Absicht der Rechtsverteidigung binnen zwei Wochen anzuzeigen, und der Belehrung über die Folgen der Nichtanzeige am 16.8.2002 durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden. Am 5.9.2002 ist ohne mündliche Verhandlung ein Versäumnisurteil gegen ihn erlassen worden. Der Beklagte hat mit der Behauptung, dass er sich v. 15.8. bis 15.9.2002 in Urlaub in der Türkei befunden habe, Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gestellt. Im Einspruchstermin hat die Klägerin die Klage zurückgenommen. Das AG hat die durch die Säumnis entstandenen Kosten dem Beklagten, die übrigen Kosten der Klägerin auferlegt. Das LG hat die sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte seinen Antrag, der Klägerin auch die durch die Säumnis entstandenen Kosten aufzuerlegen, weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Das Beschwerdegericht meint, der Beklagte habe so, als ob das gegen ihn ergangene Versäumnisurteil auf Einspruch abgeändert worden wäre, die durch die Versäumnis veranlassten Kosten zu tragen. Die Voraussetzung hierfür, der Erlass des Versäumnisurteils in gesetzlicher Weise, sei erfüllt. Ersteres hält der rechtlichen Überprüfung stand, Letzteres nicht.
1. Die Frage, ob bei einer Klagerücknahme nach einem Versäumnisurteil gegen den Beklagten der Kläger die gesamten Kosten des Rechtsstreits trägt (§ 269 Abs. 3 S. 2 ZPO) oder ob dem Beklagten die durch seine Versäumnis veranlassten Kosten (§ 344 ZPO) aufzuerlegen sind, ist seit langem in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
a) Die in der Rechtsprechung der OLGe bisher überwiegende Auffassung spricht sich für einen Vorrang des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO (§ 271 Abs. 3 S. 2 ZPO a. F., § 234 Abs. 3 S. 1 CPO) aus, der eine Kostentrennung in direkter oder analoger Anwendung des § 344 ZPO (§ 309 CPO) verbiete (OLG Dresden, SächsArch 3 (1893), 636 [640]; OLG Hamburg SeuffArch 52 (1897), 217 [219 f.]; OLGRspr 35, 66 f.; OLG Frankfurt HRR 1931, 1966; MDR 1979, 1029 f.; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 1955, 209; OLGZ 89, 250 f.; KG NJW 1970, 1799; OLG Stuttgart MDR 1976, 51; OLG Bremen NJW 1976, 632; OLG Hamm MDR 1977, 233; Beschl. v. 17.10.1989 - 4 U 82/89, GRUR 1990, 642; OLG Oldenburg NdsRpfleger 1977, 276; OLG München v. 1.7.1981 - 25 W 1365/81, MDR 1981, 940; OLG Nürnberg JurBüro 1984, 1586; OLG Karlsruhe v. 28.4.1994 - 6 W 13/94, MDR 1994, 1245 = NJW-RR 1995, 955; OLG Rostock v. 16.4.1996 - 1 W 233/95, OLGReport Rostock 1996, 155 = NJW-RR 1996, 832; OLG Schleswig v. 12.1.1998 - 6 W 32/97, OLGReport Schleswig 1998, 75 = NJW-RR 1998, 1151 f.; OLG Naumburg v. 9.11.1998 - 4 W 376/98, OLGReport Naumburg 1999, 62; OLG Brandenburg v. 4.1.1999 - 8 W 422/98, OLGReport Brandenburg 1999, 164 = NJW-RR 1999, 871; aus der Literatur: Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 271 Anm. C I c 1; AltKomm-ZPO/Wassermann, 1987, § 269 Rz. 8; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 269 Rz. 63; Prütting in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 344 Rz. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., § 130 III 2a; Anders/Gehle, Antrag und Entscheidung im Zivilprozess, 3. Aufl., Teil B, Rz. 514; Schneider, MDR 1961, 545 [549 f.]). Diese Ansicht wurde zum Teil auf die bis zum In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes v. 6.4.1998 (BGBl. I, 666) geltende Gesetzesfassung gestützt, wonach eine Abweichung von der vollen Kostentragungspflicht nach Klagerücknahme nur zugelassen wurde, soweit über die Kosten bereits rechtskräftig erkannt war. Bei einer Klagerücknahme fehle es jedoch an einer Entscheidung über die Säumniskosten. Im Übrigen liege keine abändernde Entscheidung in der Sache vor, die § 344 ZPO voraussetze. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO stelle einen selbstständigen und von den anderen Kostenregelungen unabhängigen Tatbestand der Kostenpflicht des Klägers dar, die als zwingende Folge der Klagerücknahme von Gesetzes wegen eintrete. Die auf Antrag des Beklagten ergehende Kostenentscheidung habe daher lediglich feststellenden Charakter, während § 344 rechtsgestaltende Wirkung entfalte. Für eine analoge Anwendung des § 344 ZPO fehle es an einer Regelungslücke, weil es kein zwingendes Gebot materieller Kostengerechtigkeit sei, dass der Beklagte die von ihm verursachten Säumniskosten auch im Falle der Klagerücknahme tragen müsse. Diese Kosten habe der Kläger durch seine Klageerhebung mittelbar verursacht.
b) Die Gegenmeinung (RG JW 1887, 311 f.; KG Berlin OLGRspr 17, 320 f.; KGBl. 1920, 40 [41]; KG v. 10.7.2000 - -23 W 3248/00, KGReport Berlin 2001, 371; OLG Dresden SächsAnn 30 (1909), 494 [495]; OLG Düsseldorf MDR 1972, 1043; NJW 1975, 1569 [1570]; OLG Hamm OLGZ 89, 464 f.; OLG Köln v. 6.5.1992 - 2 W 40/92, OLGReport Köln 1992, 251 = AnwBl. 1992, 332 f.; v. 13.1.1993 - 20 W 45/92, OLGReport Köln 1993, 111 = MDR 1993, 1023 = VersR 1993, 722 f.; v. 29.11.1989 - 2 U 36/89, MDR 1990, 256; OLG München v. 5.10.1992 - 30 W 217/92, OLGReport München 1993, 15; JurBüro 1997, 95; OLG Karlsruhe v. 23.8.1995 - 6 W 71/95, MDR 1996, 319 = NJW-RR 1996, 383; OLG Bremen v. 18.10.2000 - 4 WF 98/00, OLGReport Bremen 2001, 33 [34]; Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 269 Rz. 41 u. 42; Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 269 Rz. 13a; Schneider, Die Kostenentscheidung im Zivilurteil, 2. Aufl., S. 181 f.; Coester-Waltjen, DRiZ 1976, 240 ff.; Brammsen/Leible, JuS 1997, 54 [58]; Habel, NJW 1997, 2357 [2359 f.]; Schneider, abl. Anm. zu OLG Hamm, MDR 1977, 233 ff.) sieht weder im Wortlaut noch in der Systematik des Gesetzes einen Hinderungsgrund für eine entsprechende Anwendung des § 344 ZPO. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO a. F. habe die Aussonderung anderer Kosten nicht ausgeschlossen. § 91 ZPO ordne ausnahmslos die Kostentragungspflicht des Unterliegenden an, gleichwohl werde die Anordnung durch andere Kostenvorschriften, wie z. B. auch § 344 ZPO, durchbrochen. Sowohl § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO als auch § 344 ZPO seien Ausprägungen des Veranlassungsprinzips, die nebeneinander anwendbar seien. Seit der Neufassung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO durch das am 1.7.1998 in Kraft getretene Kindesunterhaltsgesetz habe die entsprechende Anwendung des § 344 ZPO im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage (OLG München v. 8.3.2001 - 28 W 870/01, MDR 2001, 533 = OLGReport München 2001, 136 = NJW-RR 2001, 1150 [1151]; OLG München v. 26.9.2001 - 28 W 2423/01, NJW-RR 2002, 142 f.; Musielak/Stadler, ZPO, 3. Aufl., § 344 Rz. 1; Habel, NJW 1997, 2357 [2360]). Eine endgültige Klarstellung habe die seit dem 1.1.2002 geltende Ergänzung durch das Zivilprozessreformgesetz v. 27.7.2001 (BGBl. I, 1887) bewirkt, wonach die Kostentragungspflicht des Klägers ausscheidet, wenn die Kosten dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind (OLG Schleswig v. 10.6.2002 - 5 W 24/02, OLGReport Schleswig 2002, 308 = MDR 2002, 1274 [1275]; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl, § 269 Rz. 34; Hannich/Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform 2002, § 269 Rz. 8; Musielak/Foerster, ZPO, 3. Aufl., § 269 Rz. 12; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 269 Rz. 15; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 269 Rz. 18a; Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 91 Rz. 13 "Klagerücknahme" u. § 344 Rz. 2; Bonifacio, MDR 2002, 499; Schneider, JurBüro 2002, 509).
2. Der Senat schließt sich der unter 1. b) dargestellten Ansicht an. Danach sind der beklagten Partei im Rahmen der Kostenentscheidung nach Klagerücknahme (§ 269 Abs. 3 S. 2 ZPO) die durch ihre Säumnis veranlassten Kosten in entsprechender Anwendung des § 344 ZPO aufzuerlegen.
a) Diese Auslegung, die bereits während der bis zum 30.6.1998 geltenden Fassung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO gerechtfertigt war (nachstehend b-d), hat nunmehr in dem seit 1.1.2002 geltenden Gesetzestext, wonach von der Kostentragungspflicht des Klägers auch Kosten ausgenommen werden, die dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind, eine gesicherte Grundlage. Durch das Kindesunterhaltsgesetz war bereits dokumentiert worden, dass über den Fall der rechtskräftigen (Teil-)Kostenentscheidung hinaus eine Kostenbelastung des Beklagten möglich ist. Wenn auch die Gesetzesbegründung als einzigen Anwendungsfall den neu eingeführten § 93d ZPO nannte (BT-Drucks. 7338, 33), der eine Kostentragungspflicht des Beklagten wegen Verletzung der unterhaltsrechtlichen Auskunftspflicht vorsieht, schloss die gewählte Formulierung auch andere gesetzlich vorgesehene Kostenaussonderungen nicht aus. Durch den Zusatz "aus einem anderen Grund", der durch das Zivilprozessreformgesetz eingefügt worden ist, wird die generelle Öffnung für gesetzlich geregelte Ausnahmen von der Kostentragungspflicht des Klägers zum Ausdruck gebracht. Hierzu zählt auch die Berücksichtigung des § 344 ZPO im Rahmen des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO (Bonifacio, MDR 2002, 499; Schneider, JurBüro 2002, 509). Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/4772, 80) nimmt auf die durch das Kindesunterhaltsgesetz geschaffene Öffnung für eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten Bezug. Die mit dem Zivilprozessreformgesetz vorgenommene Ergänzung "aus einem anderen Grund" stelle klar, dass den Kläger die Kostenlast nicht treffe, wenn einer der schon bisher von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle vorliege. Zwar nennt die Gesetzesbegründung bei der Aufzählung der Beispiele den Fall der Klagerücknahme nach Versäumnisurteil nicht eigens, sie verweist aber auf die Literatur, die ihrerseits als Ausnahme von der generellen Kostentragungspflicht des Klägers ein vorausgegangenes Versäumnisurteil gegen den Beklagten mit entsprechender Belastung des Säumigen gem. § 344 ZPO anführt (Hinweis auf Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 269 Rz. 18a). Dies zeigt, dass dem Gesetzgeber die Fallkonstellation bekannt war und er sie in seinen Willen aufgenommen hat (zutr. OLG Schleswig v. 10.6.2002 - 5 W 24/02, OLGReport Schleswig 2002, 308 = MDR 2002, 1274 [1275]).
b) Die gesonderte Belastung des Beklagten nach Klagerücknahme mit den von ihm zuvor verursachten Säumniskosten ordnet sich in die Systematik des Gesetzes ein.
Es trifft zwar zu, dass § 344 ZPO als Ausnahme zu den allgemeinen Kostenregelungen nach §§ 91 ff. ZPO einen Prozessabschluss durch gerichtliche Entscheidung voraussetzt, während die Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO an eine Prozessbeendigung durch Parteierklärung anknüpft. Daraus kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, der in § 344 ZPO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Kostentrennung sei nicht analogiefähig. Denn abgesehen davon, dass auch die allgemeinen kostenrechtlichen Regelungen der §§ 91a und 98 ZPO Fälle der Prozessbeendigung durch Parteierklärung behandeln, setzt § 344 ZPO nur deshalb eine gerichtliche Entscheidung als Abschluss des Verfahrens voraus, weil sich die Frage der gesonderten Auferlegung der Säumniskosten dann stellen kann, wenn das Versäumnisurteil abgeändert wird. § 344 kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass nur in diesem Fall eine Kostenentscheidung zu Lasten eines säumigen Beklagten zulässig ist (zutr. OLG München v. 8.3.2001 - 28 W 870/01, MDR 2001, 533 = OLGReport München 2001, 136 = NJW-RR 2001, 1150 f.; OLG Schleswig v. 10.6.2002 - 5 W 24/02, OLGReport Schleswig 2002, 308 = MDR 2002, 1274 [1275]).
Durch die Fiktion des § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO, wonach der Rechtsstreit bei Klagerücknahme als nicht anhängig geworden anzusehen ist, und demzufolge ein bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wirkungslos wird, entfallen zwar rückwirkend die Rechtshängigkeit und grundsätzlich auch die materiell-rechtliche Wirkung der Verjährungshemmung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Aber, wie die Einräumung der sofortigen Beschwerde in § 269 Abs 5 S. 1 ZPO zeigt, bleibt der Rechtsstreit wegen der Kosten anhängig, so dass die kostenverursachenden Kriterien so zu berücksichtigen sind, wie sie im Verlauf des Rechtsstreits auch tatsächlich eingetreten sind (OLG München v. 8.3.2001 - 28 W 870/01, MDR 2001, 533 = OLGReport München 2001, 136 = NJW-RR 2001, 1150 f.) In Bezug auf die Kostenentscheidung entfaltet die gesetzliche Fiktion daher keine Wirkung. Andernfalls gäbe es weder eine prozessrechtliche Kostenpflicht noch Kostenentstehungstatbestände bei der Klagerücknahme (Coester-Waltjen, DRiZ 1976, 240).
c) Dem Beklagten die Säumniskosten auch bei Klagerücknahme aufzuerlegen, entspricht dem Leitgedanken des prozessualen Kostenrechts, dem Veranlassungsprinzip. Danach soll derjenige, dessen Verhalten zur Entstehung von Kosten Anlass gegeben hat, diese auch tragen. Dies gilt ohne weiteres in den gesetzlich geregelten Grundfällen, dass jemand einen nicht bestehenden Anspruch behauptet oder sich unberechtigt gegen seine Inanspruchnahme wehrt (§ 91 ZPO), dass er das Verfahren unnötig verzögert (§§ 95, 96, 344, 380, 409 ZPO) oder die Durchführung eines von ihm eingeleiteten Verfahrens abbricht (§§ 269, 494a, 516, 565 ZPO). Die vorliegende Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass zwei Folgen des Veranlassungsprinzips aufeinander treffen. Für die Klagerücknahme gilt, dass derjenige, der zurücknimmt, zahlen soll und wegen des vorangegangenen Versäumnisurteils gilt der Grundsatz, dass der Säumige die Kosten der Säumnis trägt. Beide Postulate schließen sich aber nicht gegenseitig aus, haben vielmehr nebeneinander Geltung und sind in ein und derselben Kostenentscheidung sachgerecht zu verwirklichen. Denn die Säumnis ist nicht durch die Klageerhebung veranlasst.
d) Schließlich sprechen angesichts des geltenden Kostenrechts auch prozessökonomische Gesichtspunkte für eine i. S. d. § 344 ZPO differenzierte Kostenverteilung bei der Klagerücknahme. Seit In-Kraft-Treten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994v. 24.6.1994 (BGBl. I, 1325) wäre die Klagerücknahme ohne Aussonderung der Säumniskosten teurer als ein klageabweisendes Urteil, so dass der gebührenrechtliche Anreiz zur freiwilligen Prozessbeendigung mit Entlastungswirkung für das Gericht ausbliebe.
Bis zum In-Kraft-Treten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 am 1.7.1994 fiel bei Klagerücknahme nach mündlicher Verhandlung lediglich eine Gerichtsgebühr an, und für das echte Versäumnisurteil entstand keine zusätzliche Gebühr. Daher war die Klagerücknahme auch dann der kostengünstigere Weg der Erledigung gegenüber dem streitigen Endurteil, wenn dem Kläger gem. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO - unter Außerachtlassung der Säumnis des Beklagten - sämtliche Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden, weil er zwei Urteilsgebühren sparte.
Seit der Geltung des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 gibt es für den Fall eines vorangegangenen Versäumnisurteils keine gebührenrechtliche Privilegierung der Klagerücknahme gegenüber der streitigen Entscheidung mehr, weil die zu Beginn nach Nr. 1210 KV GKG (Nr. 1201 KV GKG a. F.) angefallene dreifache Verfahrensgebühr wegen des vorausgegangenen (Versäumnis)Urteils trotz Klagerücknahme nicht gemäß Nr. 1211a) KV GKG (Nr. 1202a) KV GKG a. F.) reduziert wird (LG Berlin JurBüro 1995, 430 f.; OLG Hamburg JurBüro 1996, 488; OLG Hamm, Beschl. v. 14.8.1995 - 23 W 143/95, OLGReport Hamm 1996, 72; OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 - 10 W 101/96, OLGReport Düsseldorf 1997, 151 = MDR 1997, 301 = NJW-RR 1997, 638 f.; OLG München v. 27.6.1996 - 11 W 1610/96, MDR 1996, 968 = OLGReport München 1997, 12 = MDR 1996, 968; JurBüro 1997, 95 f.; OLG Bremen v. 18.10.2000 - 4 WF 98/00, OLGReport Bremen 2001, 33 [34]). Würden den Kläger auch noch die Säumniskosten treffen, wie etwa die halbe Verhandlungsgebühr seines Rechtsanwalts für die Beantragung des Versäumnisurteils (§§ 11, 33 Abs. 1 Satz 1 BRAGO), die gem. § 38 Abs. 2 BRAGO nicht auf die im Einspruchstermin angefallene Verhandlungs- oder Erörterungsgebühr angerechnet wird, zzgl. Mehrwertsteuer (§ 25 Abs. 2 BRAGO), evtl. Reisekosten zur Wahrnehmung des Einspruchstermins, Kosten für eine zusätzliche oder nochmalige Ladung von Zeugen sowie deren Verdienstausfall, würde die kostenmäßige Begünstigung der Klagerücknahme vollständig entfallen und der Klagerücknahme in der Praxis eine Grundlage entzogen (OLG Bremen v. 18.10.2000 - 4 WF 98/00, OLGReport Bremen 2001, 33 [34]).
3. Eine Aussonderung der durch den Beklagten verursachten Säumniskosten scheidet indessen im Streitfalle aus, weil die Voraussetzungen des § 344 ZPO entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht erfüllt sind.
a) § 344 ZPO greift nur ein, wenn das Versäumnisurteil nach §§ 330 ff. ZPO in gesetzlicher Weise ergangen ist. Der Beklagte ist vom Gericht zwar mit der vorgesehenen Belehrung aufgefordert worden, seine Verteidigungsabsicht anzuzeigen (§ 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO). Die Klägerin hat auch einen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren nach § 331 Abs. 3 ZPO gestellt. Aber der Erlass des Versäumnisurteils verstößt gegen die Vorschrift des § 337 S. 1 ZPO, die auf die beklagte Partei, die im schriftlichen Vorverfahren keine Verteidigungsanzeige macht, entsprechend anzuwenden ist (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl. 2003, § 337 Rz. 4). Denn die Säumnis des Beklagten ist unverschuldet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das fehlende Verschulden des Beklagten am Erscheinen für das Gericht, woran es hier fehlte, erkennbar war. Maßgeblich ist allein die objektive Rechtslage (BGH NJW 1961, 2207; statt aller: Musielak/Stadler, ZPO, 3. Aufl., § 344 Rz. 2).
b) Für den Begriff des Verschuldens i. S. d. § 337 S. 1 ZPO ist die Rechtsprechung zum Wiedereinsetzungsgrund nach § 233 ZPO heranzuziehen (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 337 Rz. 3; Musielak/Stadler, ZPO, 3. Aufl., § 337 Rz. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl, § 344 Rz. 4). Danach muss eine Partei, die nicht bereits in einen Prozess verwickelt ist und auch nicht mit dem Beginn eines Verfahrens rechnen muss, keine allgemeinen Vorkehrungen für eine mögliche Fristwahrung treffen (RGZ 78, 121 [125]; BGH, Beschl. v. 7.5.1986 - VIII ZB 16/86, MDR 1987, 136 = NJW 1986, 2958; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 233 Rz. 64 "Abwesenheit" a); Musielak/Grandel, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rz. 6). Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 34, 154 [156 f.]; NJW 1976, 1537; BVerfG v. 30.3.1992 - 2 BvR 1269/91, NJW 1993, 847 m. w. N.) bei einer Urlaubsabwesenheit von "längstens etwa sechs Wochen" die Zumutbarkeit besonderer Vorkehrungen wegen der möglichen, aber zeitlich ungewissen Zustellung - in jenen Fällen eines Bußgeldbescheids oder Strafbefehls - sogar dann verneint, wenn der Betroffene vorher zu der Beschuldigung polizeilich vernommen worden war (BVerfGE 34, 156). Hier handelt es sich um eine Urlaubsabwesenheit von einem Monat. Der Beklagte hatte auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass ihm während seiner Abwesenheit eine Räumungsklage zugestellt würde. Es war im Gegenteil ungewiss, ob die Klägerin ihren Anspruch weiterverfolgen und wenn ja, ob und wann sie ein gerichtliches Verfahren gegen den Beklagten einleiten würde. Denn die von der Klägerin bis zum 31.5.2002 gesetzte Räumungsfrist lag zum Zeitpunkt des Urlaubsreiseantritts des Beklagten bereits zweieinhalb Monate zurück und die Klägerin hatte weder bei der Fristsetzung noch nach deren fruchtlosem Ablauf gerichtliche Schritte angekündigt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren folgt aus §§ 25 Abs. 2 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 1167220 |
BGHZ 2005, 153 |
BB 2004, 1470 |
NJW 2004, 2309 |
BGHR 2004, 1126 |
FamRZ 2004, 1366 |
JR 2005, 70 |
JurBüro 2004, 544 |
WM 2004, 1501 |
ZAP 2004, 922 |
JA 2004, 785 |
JuS 2004, 922 |
MDR 2004, 1082 |
WuM 2004, 414 |
AGS 2004, 243 |
RENOpraxis 2004, 135 |
RVG-B 2005, 42 |
KammerForum 2004, 235 |
MK 2004, 159 |
ProzRB 2004, 292 |