Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwalt. Zweifelsfreie Unterschrift auf beglaubigter Abschrift als Ersatz für unterschriftslose Urschrift
Leitsatz (amtlich)
Eine beglaubigte Abschrift der Berufungsbegründung, die der Rechtsanwalt unterzeichnet hat, kann die fehlende Unterschrift auf der gleichzeitig bei Gericht eingereichten Urschrift nur ersetzen, wenn zum Zeitpunkt des Fristablaufs kein Zweifel möglich ist, dass der Schriftsatz von dem Unterschriftleistenden herrührt.
Normenkette
ZPO § 519
Verfahrensgang
OLG Dresden (Beschluss vom 16.01.2004; Aktenzeichen 1 U 2057/03) |
LG Chemnitz |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Dresden v. 16.1.2004 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 8.968,63 EUR
Gründe
I.
Das LG hat mit Urteil v. 27.10.2003, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 30.10.2003, die Klage abgewiesen. Mit Schriftsatz v. 26.11.2003, eingegangen beim OLG am 28.11.2003, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers dagegen Berufung eingelegt. In einem von ihm nicht unterzeichneten Schriftsatz v. 15.12.2003 hat er die Berufung begründet. Auf entsprechenden richterlichen Hinweis v. 6.1.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 9.1.2004 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Beifügung einer nunmehr unterschriebenen Berufungsbegründungsschrift beantragt. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig mit der Begründung verworfen, dass der Schriftsatz v. 15.12.2003 nicht von einem beim OLG zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben worden sei und die Berufung deshalb nicht innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des Urteils formgerecht begründet worden sei. Der Kläger sei nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen. Er müsse sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Trotz des richterlichen Hinweises v. 6.1.2004 habe er nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass und in welcher Form Vorsorge dafür getroffen sei, dass sämtliche ausgehende Rechtsmittelschriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift überprüft werden.
Gegen diesen Beschluss, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 23.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 16.2.2004 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Begründungsfrist am 2.4.2004 begründet.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist gem. §§ 522 Abs. 1 S. 2, 238, 574 Abs. 1 S. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Eine Entscheidung des BGH ist entgegen der Ansicht des Klägers zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich (zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung vgl. BGH, Beschl. v. 13.5.2003 - VI ZB 76/02, MDR 2003, 1131 = NJW-RR 2003, 1366 [1367]; v. 4.11.2003 - VI ZB 50/03, MDR 2004, 478 = BGHReport 2004, 263 = BB 2003, 2711; v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [225] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207).
1. Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Rechtsmittelbegründungsschriften als bestimmende Schriftsätze im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein müssen (§§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO), da mit der Unterschrift der Nachweis geführt wird, dass der Berufungs- oder Revisionsanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernimmt (vgl. BGH, Beschl. v. 9.12.2003 - VI ZB 46/03, BGHReport 2004, 406 f.; BGHZ 37, 156 ff.; v. 20.3.1986 - VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251 ff. = MDR 1986, 667; v. 8.2.2001 - VII ZR 477/00, BGHZ 146, 372 ff. = MDR 2001, 766 = BGHReport 2001, 482; Urt. v. 31.3.2003 - II ZR 192/02, MDR 2003, 896 = BGHReport 2003, 827 = NJW 2003, 2028 f.). Nur ausnahmsweise kann trotz fehlender Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift durch den Berufungsanwalt der Nachweis erbracht sein, wenn zweifelsfrei feststeht, dass dieser die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernommen hat.
a) Dass das Berufungsgericht im vorliegenden Fall den Nachweis nicht für geführt erachtet hat, weil der vom Prozessbevollmächtigten unterschriebene Beglaubigungsvermerk in der oberen Mitte der Deckblätter der Abschriften, die der Begründungsschrift beigefügt waren, angebracht ist, ist nicht zu beanstanden. Zwar ist anerkannt, dass eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift, die der Rechtsanwalt unterzeichnet hat, die fehlende Unterschrift auf der Urschrift ersetzen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 5.3.1954 - VI ZB 21/53, LM ZPO § 519 Nr. 14; Urt. v. 25.9.1979 - VI ZR 79/79, MDR 1980, 220 = VersR 1980, 186 [187]; v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83, BGHZ 92, 251 [255] = MDR 1985, 222; Urt. v. 22.9.1992 - XI ZR 335/92, VersR 1993, 459; v. 25.9.1979 - XI ZR 79/79, NJW 1980, 291, jeweils m.w.N.). Auch in diesem Fall darf jedoch zum Zeitpunkt des Fristablaufs kein Zweifel mehr möglich sein, dass der bestimmende Schriftsatz von dem Unterschriftleistenden herrührt, so dass die Rechtssicherheit nicht infrage gestellt ist.
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt der unterschriebene Beglaubigungsvermerk auf der ersten Seite der Abschrift nicht nur den Schluss zu, dass die Unterschrift auf der Urschrift versehentlich unterbleiben sei. Das Berufungsgericht hält mit Recht für möglich, dass eine Unterschrift auf der ersten Seite eines mehrseitigen Schriftsatzes bereits vor der Endkorrektur geleistet wird und deshalb die Kontrolle durch den unterzeichnenden Rechtsanwalt nicht mehr gewährleistet ist. Für Gericht und Gegner führt dies zu einer Unklarheit und Unsicherheit der Rechtslage, die dem Rechtsmittelbeklagten nicht zugemutet werden kann. Im Interesse der Rechtssicherheit ist deshalb in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht zu fordern, dass eine Unterzeichnung den Inhalt der Erklärung räumlich decken, d.h. hinter oder unter dem Text stehen muss (BGH v. 20.11.1990 - XI ZR 107/89, BGHZ 113, 48 ff. = MDR 1991, 335; Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 129, Rz. 12; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 130 Rz. 13, jeweils m.w.N.).
Im Streitfall kommt hinzu, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst vorträgt, ihm sei der Berufungsbegründungsschriftsatz nach Durchführung der von ihm angeordneten Korrekturen von seinem Büropersonal nicht mehr vorgelegt und er sei deshalb von ihm auch nicht unterzeichnet worden. Damit steht nach seinem eigenen Vortrag fest, dass er die Verantwortung für die vollständige korrigierte Rechtsmittelbegründungsschrift durch Leistung seiner Unterschrift nicht übernommen hat. Vielmehr muss - worauf die Beschwerdeerwiderung hinweist - nach dieser Darstellung davon ausgegangen werden, dass der Beglaubigungsvermerk blanko unterzeichnet worden ist. Schon aus diesem Grund ist die Berufung durch Einreichung der beglaubigten Abschriften nicht fristgerecht begründet worden. Zudem lassen sich entgegen der Behauptung der Rechtsbeschwerde die Gründe, mit denen das angefochtene Urteil bekämpft werden soll, keineswegs aus der ersten Seite des Berufungsbegründungsschriftsatzes hinreichend deutlich entnehmen.
2. Das Berufungsgericht hat dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Recht verweigert. Es hat weder den Umfang seiner rechtlichen Hinweispflicht verkannt, noch die Wiedereinsetzung auf Grund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen der Kläger auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des Berufungsgerichts nicht rechnen musste (BVerfG v. 28.2.1989 - 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 [376 f.]; Beschl. v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004).
a) Das Berufungsgericht war - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht verpflichtet, vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zu prüfen, ob die Berufungsbegründungsschrift ordnungsgemäß unterzeichnet ist, um erforderlichenfalls durch entsprechende Hinweise auf eine Vervollständigung durch den Prozessbevollmächtigten hinzuwirken. Im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz sind der gerichtlichen Fürsorgepflicht enge Grenzen gesetzt. Nur unter besonderen Umständen kann ein Gericht gehalten sein, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. So darf es nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (vgl. BVerfG v. 20.6.1995 - 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 f.; Urt. v. 1.12.1997 - II ZR 85/97, MDR 1998, 363 = NJW 1998, 908; Beschl. v. 11.2.1998 - VIII ZB 50/97, MDR 1998, 982 = NJW 1998, 2291). Im vorliegenden Fall hatte das Berufungsgericht das Fehlen der Unterschrift vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist jedoch noch nicht bemerkt. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, dass die Prüfung der Formvorschriften zeitnah mit dem Eingang der Berufungsbegründung zu erfolgen hat. Im Hinblick auf den übrigen Geschäftsanfall ist es nicht zu beanstanden, wenn der Richter erst bei der Bearbeitung des Falles und damit nach Ablauf der Fristen die Zulässigkeit der Berufung und damit auch die Einhaltung der Form überprüft.
b) Trotz richterlichen Hinweises hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass in seinem Büro durch Anweisungen an das Büropersonal die Kontrolle sämtlicher ausgehender Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der anwaltlichen Unterschrift sichergestellt ist. Das Berufungsgericht war nicht gehalten, ihn durch weitere Hinweise zur Ergänzung seines unzureichenden tatsächlichen Vortrags zu veranlassen, zumal die mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingereichte eidesstattliche Versicherung seiner Büroangestellten den Schluss nahe legt, dass die Ausgangskontrolle den nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen kaum genügte. Denn obwohl lediglich die Berufungsbegründungsschrift nicht unterzeichnet bei Gericht eingereicht worden ist, versicherte die Büroangestellte eidesstattlich, dass sie die Berufungsschrift v. 26.11.2003 nach Korrektur postfertig gemacht habe, ohne nochmals zu prüfen, ob auch die Unterschriften angebracht sind, und dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu diesem Zeitpunkt keinerlei Kenntnis von der fehlenden Unterzeichnung dieser Schriftsätze gehabt habe. Dies betreffe auch die Berufungsbegründung v. 15.12.2002 (richtig: 2003). Auf Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, dass es nicht um die Berufungsschrift v. 26.11.2003, sondern um die Berufungsbegründungsschrift v. 15.12.2003 gehe, erklärte der Prozessbevollmächtigte, bislang sei nicht klar gewesen, welche Unterschriften auf welchen Schriftstücken fehlten. Nunmehr bezögen sich seine Ausführungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf die Berufungsbegründung. Bei dieser Sachlage bedurfte es weiterer richterlicher Hinweise nicht.
c) Schließlich ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Wiedereinsetzungsverfahren eine Ergänzung des Vortrags in Betracht kommt, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht weiter durch den BGH klärungsbedürftig. Diese Frage ist bereits geklärt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.2.2002 - IX ZA 10/01, BGHReport 2002, 570 = MDR 2002, 774 = NJW 2002, 2180 [2181]; von Pentz, NJW 2003, 858 [861] m.w.N.).
Ob nach der zusätzlichen Begründung in der Rechtsbeschwerde von einer hinreichenden Fristenkontrolle des Prozessbevollmächtigten auszugehen wäre, muss ebenfalls nicht entschieden werden. Bei dem Vorbringen handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der im Rechtsbeschwerdeverfahren, das - im Gegensatz zum Verfahren der weiteren Beschwerde nach altem Recht - keine neue Tatsacheninstanz ist (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., vor § 574 Rz. 5; Lipp in MünchKomm/ZPO, Aktualisierungsbd., 2. Aufl., § 577 Rz. 12), nicht mehr zu berücksichtigen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1193372 |
HFR 2004, 1147 |
Inf 2004, 733 |
BGHR 2004, 1447 |
FamRZ 2004, 1553 |
NJW-RR 2004, 1364 |
ZAP 2004, 1210 |
MDR 2004, 1252 |
VersR 2005, 136 |
r+s 2005, 178 |