Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.05.2007; Aktenzeichen 21 S 59/07) |
AG Düsseldorf (Entscheidung vom 25.01.2007; Aktenzeichen 235 C 12123/06) |
Gründe
I. Mit notariellem Vertrag vom 6. Mai 2005 kauften die Kläger von der Eigentümerin eine Wohnung in einem Gebäude in D., zu der nach der notariellen Teilungserklärung vom 18. Januar 2005 auch der im Aufteilungsplan mit der Nummer 23 bezeichnete Abstellraum im Dachgeschoss gehörte.
Dieser wurde von dem Beklagten genutzt, der auf Grund eines mit dem früheren Eigentümer des Gebäudes im Jahre 1978 abgeschlossenen Mietvertrages im Erdgeschoss Räume für die von ihm betriebene Zahnarztpraxis angemietet hatte. Der Beklagte verweigerte die Herausgabe des Abstellraumes an die Kläger mit dem Hinweis, dass dieser zu den an ihn vermieteten Räumen gehöre und die Kläger daher mit dem Erwerb der Wohnung in das Mietverhältnis über den Abstellraum eingetreten seien.
Das Amtsgericht hat der Herausgabeklage stattgegeben. Die Kläger haben nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung die Erledigung der Hauptsache angezeigt, weil der Beklagte den Abstellraum räumte, nachdem ihm die Hausverwaltung einen anderen Abstellraum in dem Gebäude zur Verfügung gestellt hatte. Die von dem Beklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde, mit der er eine seinem Antrag auf Klageabweisung entsprechende Sachentscheidung erreichen will.
II. Das Berufungsgericht meint, dass die Berufung gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht zulässig sei, da der Wert des Beschwerdegegenstands 600 EUR nicht übersteige. Zwar sei § 41 Abs. 2 GKG für die Bestimmung des Streitwerts nicht direkt anwendbar, da es sich um eine Herausgabeklage, und nicht um eine mietrechtliche Räumungsklage handele. Der Wert des Herausgabeanspruchs schätze die Kammer gem. § 3 ZPO aber auf das 12 fache des von den Klägern errechneten (monatlichen) Mietwerts des Abstellraumes.
III. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), form- und fristgerecht eingelegt (§ 575 ZPO) und begründet.
Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, der es verbietet, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 1991, 3140).
So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat in Abweichung von einer ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die für die Bestimmung des Streitwerts und der Beschwer einschlägigen Vorschriften der §§ 8, 9 ZPO nicht berücksichtigt. Der Wert der Beschwer bestimmt sich, wenn der Beklagte gegenüber dem mit der Klage verfolgten Herausgabeanspruch ein streitiges vertragliches Recht zum Besitz aus Miete oder Pacht einwendet, nach § 8 ZPO (BGH, Beschl. v. 7. November 2002, LwZR 9/02, BGH-Report 2003, 757, 758; Beschl. v. 27. Okt. 2004, XII ZB 106/04, MDR 2005, 204). Lässt sich die streitige Zeit, in der das von dem Beklagten in Anspruch genommene vertragliche Besitzrecht noch bestehen würde, nicht bestimmen, ist § 9 ZPO entsprechend anzuwenden und der 3,5 fache Jahresbetrag einer Miete oder Pacht in Ansatz zu bringen (BGH, Beschl. v. 17. März 2005, III ZR 342/04, NJW-RR 2005, 867, 869; BVerfG NZM 2006, 578).
Die Abweichung von dieser Rechtsprechung, auf die der Beklagte im Übrigen hingewiesen hatte, ist vom Beschwerdegericht bei seiner Festsetzung des Werts der Beschwer nicht begründet worden. Nachvollziehbare Sachgründe dafür lassen sich auch nicht finden.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Der Beklagte kann - auch wenn der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt hat - seinen Klageabweisungsantrag mit der Begründung aufrechterhalten, dass die Klage von Anfang an unbegründet gewesen sei (vgl. BGH, Urt. v. 23. November 1966, VIII ZR 160/64, NJW 1967, 564, 565; Urt. v. 3. Februar 1976, VI ZR 23/72, WM 1976, 481, 482) und zu diesem Zweck auch ein Rechtsmittel einlegen (BGH, Urt. v. 7. November 1974, III ZR 115/72, NJW 1975, 539; OLG Hamburg NJW-RR 1989, 570).
b) Die Beschwer des Beklagten übersteigt den in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bezeichneten Mindestwert von 600 EUR. Die Beschwer ist allerdings - anders als die Rechtsbeschwerde meint - nicht nach dem Wert der Hauptsache, sondern nach den im ersten Rechtszug entstandenen Kosten zu bestimmen.
aa) Nach einer einseitigen Erledigungserklärung reduziert sich der Streitwert auf die bis dahin entstandenen Kosten (BGHZ 57, 301, 303; 106, 359, 366). Diese bestimmen auch die Beschwer des Beklagten, der der Erledigung widerspricht und eine Klageabweisung erreichen will (BGH, Urt. v. 11. Juli 1990, XII ZR 10/90, NJW-RR 1990, 1474; Urt. v. 9. März 1993, VI ZR 249/92, NJW-RR 1993, 765, 766).
bb) Die Reduktion auf das Kosteninteresse tritt auch dann ein, wenn der Kläger - wie hier - nach einem ihm günstigen Urteil zwischen den Instanzen die Erledigung der Hauptsache gegenüber dem Gericht und dem Beklagten schriftsätzlich erklärt. Zwar bleibt die Erledigungserklärung des Klägers, wenn sie einseitig bleibt, zunächst wirkungslos, weil das erstinstanzliche Gericht nach § 318 ZPO an seine Entscheidung gebunden ist und daher nicht mehr dem geänderten Antrag entsprechend die Erledigung der Hauptsache feststellen kann (Schwab, Festschrift Schnorr von Carolsfeld, 445, 453; Wieczorek/Schütze/Steiner, ZPO, 3. Aufl., § 91a Rdn. 50; MünchKomm-ZPO/Lindacher, 2. Aufl., § 91a Rdn. 113; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 91a Rdn. 38). Die Erledigungserklärung des Klägers ist jedoch als Prozesshandlung, die auch zwischen den Instanzen gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht wirksam vorgenommen werden kann (Schwab, aaO., S. 447 ff.), nicht unwirksam. Das zeigt sich daran, dass - solange das erstinstanzliche Urteil noch nicht rechtskräftig geworden ist - die Erledigungserklärung des Klägers die in § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO bestimmten Rechtsfolgen herbeiführt, wenn der Beklagte sich der Erledigungserklärung anschließt oder nach einem richterlichen Hinweis auf diese Folgen nicht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen nach § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO der Erledigungserklärung des Klägers widerspricht (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Februar 1995, VIII ZB 53/94, NJW 1995, 1095, 1096).
cc) Der Wert der Beschwer des Beklagten übersteigt hier auch dann den für eine zulässige Berufung erforderlichen Mindestwert von 600 EUR, wenn man diesen nach dem Kosteninteresse bestimmt. Der Gegenstandswert ist zwar nicht - wie die Rechtsbeschwerde meint - nach dem Mietzins für die Praxisräume, sondern nach dem Mietwert des streitigen Abstellraumes zu bestimmen. Der Streitwert ist auf dieser Grundlage vom Amtsgericht nach §§ 8, 9 ZPO mit 2.016,00 EUR richtig berechnet worden. Maßgebend für die Beschwer sind hier die in erster Instanz entstandenen Gebühren, also die gerichtliche Verfahrensgebühr und die auf beiden Seiten entstandenen Gebühren (Verfahrens- und Terminsgebühr) und die Auslagen der Rechtsanwälte, die zusammengerechnet deutlich über 600 EUR liegen.
3. Der die Berufung der Klägerin als unzulässig verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über das Rechtsmittel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen