Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 08.12.2005; Aktenzeichen 10 U 52/05) |
LG Arnsberg (Entscheidung vom 11.03.2005; Aktenzeichen 1 O 541/00) |
Gründe
1. Die Klägerin, die neben vier Schwestern zusammen mit ihrer Mutter, der Beklagten zu 1 (im Folgenden: Beklagten), einer noch nicht endgültig auseinandergesetzten Erbengemeinschaft nach dem 1999 verstorbenen Vater angehört, verlangt u.a. Zahlung eines Betrages von 104.400 DM = 53.378,87 EUR an die Erbengemeinschaft. Denn die Beklagte hat am 25. August 1999 einen Betrag von 46.400 DM und am 9. Mai 2000 einen Betrag von 58.000 DM vom Nachlasskonto zugunsten eines Rechtsanwalts überwiesen, der von ihr persönlich zur Beratung in Erbschaftsangelegenheiten beauftragt worden war. Streitig ist, ob die Miterbinnen ihr Einverständnis zu diesen Verfügungen erteilt haben.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Erbengemeinschaft habe auf Anregung einer Miterbin beschlossen, dass die Aufwendungen für das Beratungshonorar des Rechtsanwalts zu Lasten des Nachlasskontos gehen sollten, weil letztendlich alle Miterben von dessen Tätigkeit profitiert hätten. Für die Richtigkeit dieses Vortrags hat sich die Beklagte auf eine Miterbin als Zeugin bezogen. Nachdem die Beklagte zu 2, eine weitere Miterbin, durch das insoweit rechtskräftig gewordene Teilurteil des Landgerichts aus dem Rechtsstreit ausgeschieden war, hat sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung auch auf sie als weitere Zeugin bezogen. Die Klägerin hat den Vortrag der Beklagten bestritten; die behauptete Anregung zu einer Kostenübernahme und einen entsprechenden Beschluss habe es nie gegeben. Die Beklagte hat erwidert, die Miterbinnen hätten in den Monaten April, Mai, Juni und Juli 1999 zahlreiche Beschlüsse gefasst, aber nicht immer protokolliert; Weiteres könne sie dazu nicht vortragen. Die Vorinstanzen haben die von der Beklagten benannten Zeuginnen nicht vernommen mit der Begründung, der Vortrag der Beklagten sei insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts der Einverständniserklärung nicht hinreichend substantiiert und der Beweisantritt daher auf Ausforschung gerichtet.
Die Beschwerde macht mit Recht geltend, dass die Nichtvernehmung der Zeuginnen im Verfahrensrecht keine Stütze findet und daher das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, vgl. BVerfG NJW 2004, 3551 f.). Ein Sachvortrag ist erheblich, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht zu begründen; die Angabe näherer Einzelheiten ist grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind. Wie konkret die Tatsachenbehauptungen sein müssen, ist unter Berücksichtigung der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) anhand der Umstände des Einzelfalles, insbesondere im Hinblick auf die Einlassung des Gegners, zu beurteilen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 21. Januar 1999 - VII ZR 398/97 - NJW 1999, 1859 unter II 2 a; vom 15. Januar 2004 - I ZR 196/01 - NJW-RR 2004, 1362 unter III 2 c aa; vom 25. Juli 2005 - II ZR 199/03 - WM 2005, 1847 unter II 2 b). Hier ist unstreitig, dass die Beklagte über das Nachlasskonto zur Erfüllung einer nicht die Erbengemeinschaft, sondern die Beklagte persönlich betreffenden Schuld nicht verfügen durfte; die Verfügung konnte nur durch Zustimmung der Miterbinnen gerechtfertigt werden (§ 185 BGB). Die für diesen rechtlichen Gesichtspunkt erforderlichen Tatsachen hat die Beklagte hinreichend vorgetragen; von einem rechtsmissbräuchlichen Vorbringen "ins Blaue hinein" kann hier nicht die Rede sein. Der Vortrag der Beklagten ist durch die Einlassung der Klägerin nicht unschlüssig geworden. Der Umstand, dass die Klägerin mangels genauer Zeit- und Ortsangaben zu einer detaillierten Erwiderung nicht in der Lage ist, ist kein Grund, den Vortrag als unsubstantiiert zurückzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 1999 aaO. unter II 2 b).
Auch die Klägerin hat Beweis für ihre Behauptung angetreten, eine Absprache darüber, das Honorar des Rechtsanwalts vom Nachlasskonto zu Lasten der Erbengemeinschaft zu bezahlen, sei nie getroffen worden. Mithin wird das Berufungsgericht die Beweisaufnahme durchführen müssen. Erst im Rahmen der Beweiswürdigung könnte eine Rolle spielen, ob die von der Beklagten behauptete Zustimmung weiter konkretisiert werden kann.
2. Mit notariellem Vertrag vom 24. Januar 2000 haben die Miterbinnen eine Teilauseinandersetzung über das Immobilienvermögen vorgenommen. Die Klägerin hat kein Grundstück erhalten und nimmt die Beklagte, der das wertvollste Grundstück übertragen worden ist, in Höhe von 290.044,95 EUR in Anspruch. Dem haben die Vorinstanzen im Hinblick auf folgende, unter Nr. 2 des notariellen Vertrages getroffene Vereinbarung stattgegeben:
"Den nachfolgenden Auflassungserklärungen liegen unsere einstimmig gefassten Erbengemeinschaftsversammlungsbeschlüsse zugrunde, die den Erschienenen [allen Mitgliedern der Erbengemeinschaft], ohne Verpflichtung dazu, die Möglichkeit einräumen, den nachfolgenden Grundbesitz zu erwerben, wovon die Erschienenen zu 1), 2), 3), 4) und 6) hiermit gegen Wertausgleich untereinander und gegenüber der Erschienenen zu 5) [der Klägerin] nach Eigentumsumschreibung Gebrauch machen."
a) Unstreitig hatte die Erbengemeinschaft am 26. November 1999 einvernehmlich beschlossen, das Haus, das der Beklagten im notariellen Vertrag vom 24. Januar 2000 übertragen worden ist, der Mutter ohne Anrechnung zu überlassen; die anfallende Schenkungssteuer sollte die Erbengemeinschaft übernehmen. Die Beklagte hat vorgetragen, dieser Beschluss habe auch am 24. Januar 2000 noch gegolten. Der Grund dafür, dass sie als Erschienene zu 1) in Nr. 2 des notariellen Vertrages gleichwohl im Zusammenhang mit dem Wertausgleich erwähnt worden sei, habe darin bestanden, dass auch ihr Ausgleichsansprüche zugestanden hätten, weil das ihr übertragene Grundstück wegen der vereinbarten Unentgeltlichkeit aus dem im Übrigen durchzuführenden Wertausgleich auszuklammern gewesen sei. Dafür hat sich die Beklagte auf zwei Miterbinnen als Zeuginnen bezogen. Diese Darstellung hat die Klägerin unter Beweisantritt bestritten. Das Berufungsgericht meint, aus dem Wortlaut der Nr. 2 des notariellen Vertrages vom 24. Januar 2000 gehe eindeutig hervor, dass auch die Beklagte ausgleichspflichtig habe sein sollen; der Beschluss vom 26. November 1999 sei mithin geändert worden. Soweit die Beklagte anderes behaupte, fehle es an der erforderlichen notariellen Beurkundung. Zeugen sind dazu nicht vernommen worden.
Die Beschwerde macht mit Recht geltend, dass die Nichtberücksichtigung des Vortrags und der Beweisantritte der Beklagten keine Grundlage im materiellen Recht findet und daher auch insoweit eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt. Die Formvorschriften des sachlichen Rechts schränken bei den Rechtsgeschäften, für die sie gelten, den Kreis der für die Auslegung relevanten Tatsachen nicht ein; der danach ermittelte Parteiwille muss sich allerdings, um rechtlich Bestand zu haben, daran messen lassen, ob er auch in der vorgeschriebenen Form zum Ausdruck gekommen ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 1996 - V ZR 202/95 - NJW 1996, 2792 unter III 1; vom 5. Januar 1995 - IX ZR 101/94 - NJW 1995, 959 unter 1; vom 30. März 1995 - IX ZR 98/94 - NJW 1995, 1886 unter I 2 b). Neben dem Wortlaut und der Vorgeschichte ist insbesondere die beiderseitige Interessenlage der Beteiligten von Bedeutung (BGH, Urteile vom 9. Juli 2001 - II ZR 228/99 - NJW 2002, 747 f.; vom 14. Februar 2007 - IV ZR 54/04 - zur Veröffentlichung bestimmt). Das Berufungsgericht wird daher die angetretenen Beweise zu erheben haben. Die Beweislast für außerhalb der Urkunde liegende Umstände trifft diejenige Partei, die sich darauf beruft (BGH, Urteile vom 5. Februar 1999 - V ZR 353/97 - NJW 1999, 1702 unter II 1 b; vom 11. September 2000 - II ZR 34/99 - NJW 2001, 144 unter II 2 a).
b) Die Beschwerde rügt, selbst wenn die Beklagte im Hinblick auf die ihr übertragenen Grundstücke ausgleichspflichtig wäre, schulde sie den der Klägerin zustehenden Ausgleichsbetrag nicht allein, sondern anteilig neben den beiden weiteren, ebenfalls ausgleichspflichtigen Miterbinnen. Der Umstand, dass die Beklagte nicht allein ausgleichspflichtig ist, hat aber nicht notwendig zur Folge, dass sie der Klägerin gegenüber nur anteilig haftet. Es könnte auch eine gesamtschuldnerische Haftung der ausgleichspflichtigen Miterbinnen vereinbart worden sein etwa nach dem Vorbild von § 2058 BGB. Für eine dahin gehende Auslegung könnte von Bedeutung sein, ob der Ausgleichsbetrag letzten Endes aus dem Nachlass oder aus dem Privatvermögen der ausgleichspflichtigen Miterbinnen aufgebracht werden sollte. Ferner könnte von Bedeutung sein, ob der Klägerin, die bei der Aufteilung des Immobiliarvermögens leer ausging, eine Verfolgung ihrer Ausgleichsansprüche gegenüber mehreren Miterbinnen jeweils zu bestimmten Anteilen nach der dem Vertrag vom 24. Januar 2000 zugrunde liegenden Interessenlage zugemutet werden konnte. Das wird vom Berufungsgericht nach Zurückverweisung aufzuklären sein.
3. Der Beklagten sind durch einstimmigen Beschluss der Miterbinnen verschiedene Vollmachten zur Vertretung der Erbengemeinschaft (insbesondere Bankvollmachten sowie eine Vollmacht betreffend eine zum Nachlass gehörende Darlehensforderung) erteilt worden. Die Klägerin und zwei weitere Miterbinnen haben diese Vollmachten durch Anwaltsschreiben vom 6. Juni 2000 widerrufen und gefordert, dass die Erbengemeinschaft nur noch von allen Miterbinnen gemeinschaftlich vertreten werde. Die Beklagte ist in den Vorinstanzen zur Vorlage der Vollmachtsurkunden verurteilt worden, damit der Widerruf darauf vermerkt werden könne. Das Berufungsgericht meint, der Widerruf sei wirksam, weil die Beklagte als Betroffene an der Ausübung ihres Stimmrechts gehindert gewesen sei und daher die Mehrheit der Miterbinnen für den Widerruf gestimmt habe; ein wichtiger Grund für die Kündigung ergebe sich aus der gerichtsbekannten, tief greifenden Zerstörung des Vertrauensverhältnisses unter den Miterbinnen.
a) Insoweit ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht etwa deshalb unzulässig, weil die Beklagte, die auch die Abweisung dieses Klageantrags erstrebt, nach der von beiden Parteien zugrunde gelegten Wertfestsetzung des Berufungsgerichts nur in Höhe von 5.000 EUR beschwert ist. Der Senat hat sich der Auffassung angeschlossen, dass die Werte selbstständiger Streitgegenstände, hinsichtlich derer jeweils Zulassungsgründe dargelegt werden, zusammenzurechnen sind (BGHZ 166, 327, 328; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 - VII ZR 131/05 - BGH-Report 2006, 1118 Tz. 8).
b) In der Sache macht die Beschwerde geltend, für den Widerruf der Vollmachten habe ebenso wie für die Kündigung der ihnen zugrunde liegenden Verwaltungsvereinbarung zu gelten, dass der betroffene Miterbe nur dann nicht mit abstimmen dürfe, wenn die zur Abstimmung stehenden Beschlüsse mit einem Fehlverhalten des Bevollmächtigten begründet würden; denn niemand könne Richter in eigener Sache sein (vgl. §§ 34 BGB, 47 Abs. 4 GmbHG, 136 Abs. 1 AktG, 43 Abs. 6 GenG). Gehe es dagegen nur um die innere Organisation der Miterbengemeinschaft, könne sich auch der Betroffene mangels Interessenwiderstreits an der Abstimmung beteiligen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1990 - II ZR 9/90 - NJW 1991, 172 unter II; Muscheler, ZEV 1997, 169, 175 m.w.N.). Der hier erklärte Widerruf vom 6. Juni 2000 stehe in keinerlei Zusammenhang mit dem Vorwurf eines Fehlverhaltens der Beklagten. Es fehle auch ein wichtiger Grund für die Kündigung der Verwaltungsbefugnisse, auf den in anderen Entscheidungen zum Stimmrechtsausschluss abgehoben werde (vgl. BGHZ 34, 367, 370 f.; 152, 46, 59 f.). Dafür genüge eine tief greifende Zerstörung des Vertrauensverhältnisses nicht. Denn die Verwaltung der Erbengemeinschaft setze anders als gesellschaftsrechtliche oder dienstvertragliche Beziehungen kein persönliches Vertrauensverhältnis der Teilhaber in der Zusammenarbeit voraus; ein wichtiger Grund sei vielmehr erst gegeben, wenn die Verwaltung nicht mehr ordnungsgemäß ausgeübt werde (BGH, Urteile vom 12. Juli 1982 - II ZR 130/81 - NJW 1983, 449 unter IV; vom 5. Dezember 1994 - II ZR 268/93 - NJW-RR 1995, 334 unter 2).
Auf die von der Beschwerde geforderte grundsätzliche Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Miterbe vom Stimmrecht ausgeschlossen sei, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Anders als die Beschwerde meint, stützt sich das Anwaltsschreiben vom 6. Juni 2000 durchaus auf Vorwürfe einer nicht ordnungsmäßigen Verwaltung: Hinsichtlich der Vollmacht bezüglich der Darlehensforderung des Nachlasses wird der Beklagten vorgehalten, sie sei nur zur Geltendmachung und Abwicklung, aber nicht dazu berechtigt gewesen, das Darlehen dem Schuldner gegenüber zu verlängern. Aus diesem Grund wird sie in dem Schreiben zur Auskunft und Rechnungslegung darüber aufgefordert, inwieweit sie von dieser und den anderen Vollmachten Gebrauch gemacht habe. Ferner wird der Beklagten vorgeworfen, sie habe die Miterbinnen arglistig über den Wert einer von ihr treuhänderisch für alle Miterbinnen gehaltenen Gesellschaftsbeteiligung getäuscht. Mit diesen, zur Begründung des Widerrufs und der Kündigung angeführten Gesichtspunkten stand die Ordnungsmäßigkeit der von der Beklagten ausgeübten Verwaltung in Frage. Sie hätte, wenn ihr insoweit ein Stimmrecht zugebilligt würde, in eigener Sache richten können. Die Annahme eines Stimmrechtsausschlusses erweist sich mithin im Ergebnis nicht als rechtsfehlerhaft.
Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der - hier nicht angegriffenen - Verurteilung der Beklagten zur Auskunft und Rechnungslegung feststellt, es stehe der Vorwurf im Raum, dass die Beklagte vom Nachlasskonto private Ausgaben finanziert habe. Dazu hatte die Klägerin in der Berufungsinstanz näher vorgetragen (GA III 569 ff., IV 785 ff.). Außerdem hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich die Beklagte gegenüber der Forderung der Erbengemeinschaft auf Rückzahlung der aus dem Nachlass entnommenen Honorare für den von der Beklagten persönlich beauftragten Rechtsanwalt zu Unrecht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen Forderungen berufen habe, die ihr gegen einzelne Miterbinnen, aber nicht gegen die Erbengemeinschaft zustehen. Das wird von der Beschwerde nicht angegriffen, belegt aber ebenfalls die Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der von der Beklagten ausgeübten Verwaltung. Danach war die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Vorlage der Vollmachtsurkunden richtet, zurückzuweisen, weil ein Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht gegeben ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2962117 |
FamRZ 2007, 1644 |
MittBayNot 2008, 60 |
ZEV 2007, 486 |
ErbR 2007, 164 |
ZFE 2007, 437 |
EE 2008, 19 |