Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld als anzurechnendes Einkommen bei der Prozesskostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
Kindergeld, das die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei bezieht, ist als deren Einkommen i.S.d. § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO zu berücksichtigen, soweit es nicht zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts eines minderjährigen Kindes zu verwenden ist.
Normenkette
ZPO § 115 Abs. 1 S. 2; SGB XII § 82 Abs. 1; EStG § 62
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG München v. 14.10.2003 wird zurückgewiesen, allerdings mit der Maßgabe, dass der vorgenannte Beschluss wie folgt gefasst wird:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG Rosenheim v. 4.9.2003 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des AG Rosenheim v. 24.4.2003 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit Beschluss des AG - FamG - v. 24.4.2003 wurde der Antragstellerin für den ersten Rechtszug des Scheidungsverfahrens Prozesskostenhilfe mit einer monatlichen Ratenzahlung von 45 EUR bewilligt. Das FamG ging dabei von dem vom Antragsgegner gezahlten Barunterhalt i.H.v. insgesamt 1.554 EUR für die Antragstellerin und die beiden 1994 und 1997 geborenen, bei ihr lebenden Kinder aus sowie als weiterem Einkommen von dem monatlichen Kindergeld i.H.v. 308 EUR. Von dem Gesamteinkommen von 1.862 EUR zog das FamG Beträge i.H.v. 157 EUR (halber Eckregelsatz als Mehrbedarf für Erwerbstätige), 360 EUR (Parteifreibetrag), 750 EUR (Kosten für Unterkunft und Heizung) sowie von 462 EUR (sonstiger Unterhaltsfreibetrag) ab, so dass ein einzusetzendes Einkommen von 133 EUR verblieb.
Auf Antrag der Antragstellerin, die Ratenzahlungsverpflichtung aufzuheben, weil sie selbst lediglich über einen Trennungsunterhalt i.H.v. 1.035 EUR verfüge, erließ der Rechtspfleger des AG am 4.9.2003 einen Beschluss, mit dem er die von der Antragstellerin zu leistenden Ratenzahlungen von 45 EUR auf 75 EUR erhöhte, obwohl sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert hatten.
Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie weiterhin Gewährung ratenfreier Prozesskostenhilfe erstrebt hat. Das OLG hat den angefochtenen Beschluss mit der Maßgabe aufgehoben, dass die Antragstellerin auf die Kosten der Prozessführung monatliche Raten von 45 EUR an Stelle der im Beschluss v. 4.9.2003 festgesetzten Raten von 75 EUR zu entrichten hat. Mit der hiergegen gerichteten - zugelassenen - Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr bisheriges Begehren weiter.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil das Beschwerdegericht sie gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 S. 2 ZPO).
Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (BGH, Beschl. v. 4.8.2004 - XII ZA 6/04, BGHReport 2005, 26 = MDR 2005, 94 = FamRZ 2004, 1633 [1634]; Beschl. v. 21.11.2002 - V ZB 40/02, MDR 2003, 477 = BGHReport 2003, 407 = FamRZ 2003, 671). Das ist hier indessen der Fall, da die Antragstellerin geltend macht, die Voraussetzungen ratenfreier Prozesskostenhilfe lägen vor.
2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache aber keinen Erfolg. Der Antragstellerin ist keine zu hohe Ratenzahlungsverpflichtung auferlegt worden. Es verbleibt vielmehr bei den nach dem Beschluss v. 24.4.2003 aufzubringenden Zahlungen.
a) Das OLG, dessen Entscheidung in FamRZ 2004, 382 veröffentlicht ist, hat der Ermittlung des nach § 115 ZPO einzusetzenden Einkommens der Antragstellerin die Berechnung des AG im Beschluss v. 24.4.2003 zu Grunde gelegt, da der Beschluss des Rechtspflegers gem. § 120 Abs. 4 ZPO nicht habe ergehen dürfen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Das AG habe der Antragstellerin zwar zu Unrecht den vom Antragsgegner gezahlten Kindesunterhalt als Einkommen zugerechnet. Ferner habe es fehlerhaft den halben Eckregelsatz mit 157 EUR in Abzug gebracht, obwohl die Antragstellerin nicht erwerbstätig sei. Darüber hinaus habe es einen sonstigen Unterhaltsfreibetrag von 462 EUR als abzugsfähig anerkannt, ohne diesen zu erläutern. Zu Recht habe es allerdings das staatliche Kindergeld von insgesamt 308 EUR dem Einkommen der Antragstellerin hinzugerechnet. Das Kindergeld sei grundsätzlich Einkommen desjenigen Elternteils, der es erhalte. Es stehe nicht den Kindern, sondern im vorliegenden Fall der Antragstellerin zu. Dementsprechend erhöhe es ihr Einkommen, und zwar in vollem Umfang der Zahlung, da unterhaltsrechtliche Verrechnungsgesichtspunkte bei der Ermittlung des nach § 115 ZPO einzusetzenden Einkommens nicht zu berücksichtigen seien.
Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
b) Die Frage, ob und ggf. inwieweit Kindergeld bei einem Prozesskostenhilfeantrag eines Elternteils als dessen Einkommen zu berücksichtigen ist, wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum nicht einheitlich beantwortet. Zum einen wird vertreten, das Kindergeld habe außer Betracht zu bleiben, weil es sich um eine zweckbestimmte Sozialleistung handele, die dazu bestimmt sei, Familien oder Einzelpersonen mit Kindern zu entlasten und deshalb nicht dazu dienen könne, einen Prozess der Eltern zu finanzieren. Demgegenüber hält die wohl herrschende Meinung das Kindergeld für sozialhilferechtlich anrechenbares und deshalb auch bei der Prozesskostenhilfe einsetzbares Einkommen desjenigen Elternteils, an den es gezahlt wird. Schließlich wird die Auffassung vertreten, das Kindergeld sei bei jedem Elternteil zur Hälfte zu berücksichtigen bzw. den Eltern jeweils nach dem Umfang ihrer Unterhaltsleistung als Einkommen zuzurechnen (vgl. zum Meinungsstand etwa die Nachweise bei Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Aufl., Rz. 231; Zimmermann, Prozesskostenhilfe in Familiensachen, 2. Aufl., Rz. 55; Wohlgemuth, FPR 2003, 60).
c) Ausgangspunkt der Beurteilung, welche Behandlung das Kindergeld im Rahmen der wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe zu erfahren hat, muss die Bestimmung des § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO sein. Danach gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Diese Definition stimmt wörtlich mit derjenigen des § 76 Abs. 1 BSHG bzw. der entsprechenden Bestimmung des § 82 Abs. 1 des seit dem 1.1.2005 geltenden Sozialgesetzbuches XII überein. Auch hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge wird in § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf § 76 Abs. 2 und 2a BSHG bzw. § 82 Abs. 2 und 3 SGB XII verwiesen. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO an denjenigen des Sozialhilferechts anknüpft. Dies erklärt sich auch daraus, dass Prozesskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist Kindergeld grundsätzlich sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen. Das gilt auch nach der steuerrechtlichen Regelung des Kindergeldes in §§ 61, 62 ff. EStG und nach dem Bundeskindergeldgesetz i.d.F. des Art. 2 Jahressteuergesetz 1996v. 11.10.1995 - BGBl. I 1250, 1378 - (BVerwGE 114, 339 [340], m.w.N.). Diese Beurteilung ist durch die seit dem 1.1.2000 vorgeschriebene Absetzung des Kinderfreibetrages vom Einkommen (§ 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG) bestätigt worden, durch die der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht hat, dass das Kindergeld grundsätzlich zum Einkommen gehören soll (Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl., § 77 Rz. 47).
Die gesetzgeberische Bewertung hat inzwischen in eingeschränktem Umfang eine Änderung erfahren. Nach § 82 Abs. 1 S. 2 SGB XII ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt wird. Nur in Höhe des darüber hinausgehenden Betrages ist Kindergeld demzufolge Einkommen der Eltern, und zwar aus sozialhilferechtlicher Sicht, die mit der unterhaltsrechtlichen nicht deckungsgleich ist, desjenigen Anspruchsberechtigten, dem es gem. §§ 64 EStG, 3 BKGG zufließt. Diese Zurechnung des Kindergeldes beim minderjährigen Kind, das typischerweise in einem gemeinsam wirtschaftenden Familienhaushalt lebt, hat zum Ziel, die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen (BT-Drucks. 15/1514, 65).
d) Der vorgenannten gesetzlichen Änderung kommt wegen der Bezogenheit des Einkommensbegriffs des § 115 Abs. 1 ZPO auf denjenigen des Sozialhilferechts auch für die Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe Bedeutung zu. Kindergeld ist danach lediglich insoweit zum Einkommen eines Elternteils zu rechnen, als es nicht zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts eines minderjährigen Kindes zu verwenden ist. Der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts (außerhalb von Einrichtungen) mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie Sonderbedarf nach den §§ 30 bis 34 SGB XII wird nach Regelsätzen erbracht (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Die Landesregierungen setzen durch Rechtsverordnung zum 1.7.eines jeden Jahres die Höhe der monatlichen Regelsätze im Rahmen der Rechtsverordnung nach § 40 SGB XII fest (§ 28 Abs. 2 S. 1 SGB XII). Da entsprechende auf dem neuen Recht basierende Verordnungen derzeit noch nicht verfügbar sind, jedenfalls aber keine Wirksamkeit zu entfalten vermögen, kann zur Ermittlung des notwendigen Lebensunterhalts nur auf die in § 115 Abs. 1 Nr. 2 ZPO für weitere Unterhaltsberechtigte vorgesehenen Freibeträge i.H.v. 45 % des - im Zeitpunkt der Bewilligung von Prozesskostenhilfe geltenden - Grundbetrages nach § 79 Abs. 1 Nr. 1, § 82 BSHG abgestellt werden. Mit Rücksicht darauf, dass der Ermittlung des Freibetrages der höchste Regelsatz der Länder sowie - bei Unterhaltsberechtigten - ein Zuschlag für einmalige Leistungen bei laufender Hilfe zum Lebensunterhalt von 18,5 % zu Grunde liegen, kann davon ausgegangen werden, dass damit das Existenzminimum eines Kindes (ohne die Kosten der Unterkunft und Heizung, die ohnehin vom Einkommen des Antragstellers abzusetzen sind) zumindest bis zum vollendeten 14. Lebensjahr gewährleistet ist (Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 115 Rz. 34; sowie zur Berechnung: RegE zum Prozesskostenhilfeänderungsgesetz, BT-Drucks. 12/6963, 9, 23). Denn die Regelung wird den Anforderungen gerecht, die das BVerfG an eine Typisierung des Existenzminimums gestellt hat (BVerfG v. 25.9.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153 [172] = FR 1992, 810). Mit der Wahrung des Existenzminimums im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zugleich sichergestellt, dass auch der bedürftigen Partei die Prozessführung nicht unmöglich gemacht wird, selbst wenn sie sich an den Kosten zu beteiligen hat (BVerfG v. 26.4.1988 - 1 BvL 84/86, BVerfGE 78, 104 [117 f.]).
e) Danach begegnet es im vorliegenden Fall keinen Bedenken, dass das volle Kindergeld dem Einkommen der Antragstellerin hinzugerechnet worden ist. Der notwendige Lebensunterhalt der Kinder, der mit dem im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe geltenden Freibetrag von jeweils 253 EUR (§ 115 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) zu bemessen ist, wird durch die Unterhaltsleistungen des Antragsgegners von jeweils 259,50 EUR gewährleistet. Die Kosten der Unterkunft und Heizung, durch die auch der Wohnbedarf der Kinder gedeckt wird, sind von dem Einkommen der Antragstellerin in Abzug gebracht worden.
Ein für diese günstigeres Ergebnis würde sich im Übrigen auch dann nicht ergeben, wenn als Existenzminimum der Kinder 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung (BGH, Urt. v. 22.1.2003 - XII ZR 2/00, MDR 2003, 573 = BGHReport 2003, 379 = FamRZ 2003, 363 [365 f.]) zu Grunde gelegt würden. Diese würden sich (in der zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle) auf jeweils 308 EUR monatlich belaufen, die bis auf 48,50 EUR (308 EUR abzgl. 259,50 EUR) durch die Unterhaltsleistungen des Antragsgegners bestritten werden könnten. Dieser restliche Betrag liegt jedenfalls unter den anteiligen Wohnkosten der Kinder, die ohnehin als abzugsfähig anerkannt worden sind.
f) Nach alledem ist die der Antragstellerin auferlegte Ratenzahlung nicht zu beanstanden. Ihr Einkommen beläuft sich auf insgesamt 1.343 EUR (Unterhalt: 1.035 EUR; Kindergeld: 308 EUR). Davon sind abzusetzen: Der Parteifreibetrag von 360 EUR, die Kosten der Unterkunft von 750 EUR sowie - zu Gunsten der Antragstellerin - vom AG zu Unrecht in Abzug gebrachte weitere 100 EUR (157 EUR + 462 EUR = 619 EUR abzgl. zu Unrecht angesetztes Einkommen von 519 EUR). Von dem verbleibenden Einkommen von 133 EUR sind nach der Tabelle in § 115 Abs. 1 S. 4 ZPO monatliche Raten von 45 EUR zu zahlen.
Fundstellen
Haufe-Index 1329127 |
BFH/NV Beilage 2005, 407 |
HFR 2005, 708 |
NJW 2005, 2393 |
BGHR 2005, 737 |
EBE/BGH 2005, 90 |
FamRZ 2005, 605 |
ZAP 2005, 600 |
MDR 2005, 767 |
Rpfleger 2005, 444 |
AGS 2005, 160 |
FamRB 2005, 202 |
PA 2005, 79 |
RENOpraxis 2005, 139 |
ZFE 2005, 168 |
BFH/NV-Beilage 2005, 407 |
JAmt 2005, 323 |
KammerForum 2005, 136 |
ProzRB 2005, 203 |
info-also 2006, 48 |