Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertbarkeit eines gerichtlichen Abstammungsgutachtens, das nicht hätte eingeholt werden dürfen, weil die Anfechtung der Vaterschaft auf eine heimlich eingeholte DNA -Analyse gestützt war. Anwendung der „fruit of the poisonous tree”-Doktrin im Zivilrecht. Beginn der Frist des § 1600b Abs. 1 BGB bei heimlich eingeholten DNA-Gutachten. Möglichkeit des Kindes, die Rechtmäßigkeit einer Beweisanordnung auf Einholung eines gerichtlichen Abstammungsgutachtens durch Zwischenurteil klären zu lassen
Leitsatz (amtlich)
1) Zur Verwertbarkeit eines gerichtlichen Abstammungsgutachtens, das nicht hätte eingeholt werden dürfen, weil die Anfechtung der Vaterschaft auf eine heimlich eingeholte DNA-Analyse gestützt war (Fortführung der BGH, Urt. v. 12.1.2005 BGHZ 162, 1 = BGHReport 2005, 503 = MDR 2005, 632 = FamRZ 2005, 340 ff.; Urt. v. 12.1.2005 - XII ZR 60/03, FamRZ 2005, 342 ff.).
2) Zu den prozessualen Möglichkeiten des Kindes, die Rechtmäßigkeit einer solchen Beweisanordnung durch Zwischenurteil klären zu lassen.
Normenkette
ZPO § 355 Abs. 2, §§ 372a, 387 analog, § 640 Abs. 2 Nr. 2; BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 1, § 1600b Abs. 1 S. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 21. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Dresden vom 30.9.2004 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Mit Urkunde vom 11.1.1996 erkannte der Kläger an, Vater des am 25.1.1995 geborenen Beklagten zu sein. Er schloss mit dessen Mutter am 18.1.1996 die Ehe, deren Scheidung er inzwischen begehrt und aus der zwei weitere Kinder hervorgegangen sind.
Mit der vorliegenden, am 3.7.2003 bei Gericht eingegangenen und am 25.8.2003 zugestellten Vaterschaftsanfechtungsklage begehrt der Kläger festzustellen, dass er nicht der Vater des Beklagten sei.
Das AG wies die Klage mit der Begründung ab, der Vortrag des Klägers, es bestehe keine Ähnlichkeit des Beklagten mit seiner Familie, sei bei sachgerechter Beurteilung nicht geeignet, Zweifel an seiner Vaterschaft zu wecken; er genüge daher nicht den Anforderungen an die Schlüssigkeit einer Vaterschaftsanfechtungsklage. Gleiches gelte für das von ihm vorgelegte DANN-Vaterschaftsgutachten vom 29.7.2002, auch wenn er danach als biologischer Vater auszuschließen sei. Dieses Gutachten sei nämlich vor Gericht nicht verwertbar, weil es ohne Kenntnis und Zustimmung des Beklagten und damit unter Verstoß gegen dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingeholt worden sei.
Auf die Berufung des Klägers holte das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2005, 1491 f. veröffentlicht ist, ein Blutgruppengutachten eines öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen für Blutgruppengutachten ein. Dieses gelangte zu dem Ergebnis, die Vaterschaft des Klägers sei offenbar unmöglich. Das Berufungsgericht gab sodann der Klage statt.
Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Beklagten, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die am 25.8.2003 rechtshängig gewordene Klage die zweijährige Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 BGB gewahrt. Der Beklagte sei für seine Behauptung beweisfällig geblieben, "schon bald nach seiner Geburt" (25.1.1995) habe seine im Vergleich zu seinen beiden (1996 und 1999 geborenen) Schwestern deutlich dunklere Hautfarbe den Kläger veranlasst, mehr als nur vage Zweifel an der zuvor anerkannten Vaterschaft zu äußern. Zudem habe die Mutter des Beklagten anfängliche Zweifel des Klägers durch ihren Hinweis zu zerstreuen versucht, es handele sich um ein in ihrer (dem Kläger nicht bekannten) Familie auch sonst vorkommendes Merkmal, und damit eine Erklärung geliefert, die dem als Arzt mit den Vererbungsgesetzen vertrauten Kläger habe einleuchten dürfen. Somit sei die Anfechtungsfrist nicht vor Kenntnis des Klägers vom Ergebnis des 2002 eingeholten privaten Abstammungsgutachtens in Lauf gesetzt worden.
Das wird von der Revision nicht angegriffen und ist auch sonst revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Allerdings rügt die Revision zu Recht, das Berufungsgericht hätte die Klage - anders als das AG - nicht schon aufgrund des vom Kläger vorgelegten privaten Abstammungsgutachtens als schlüssig ansehen und deshalb auch nicht allein daraufhin Beweis erheben dürfen.
Wie der Senat - nach Verkündung des hier angefochtenen Urteils - entschieden hat, kann nämlich ein heimlich eingeholtes DNA-Gutachten vor Gericht nicht verwertet werden. Es ist daher auch als Parteivortrag ungeeignet, die Schlüssigkeit einer Vaterschaftsanfechtungsklage herbeizuführen (BGH, Urt. v. 12.1.2005 BGHZ 162, 1 = BGHReport 2005, 503 = MDR 2005, 632 = FamRZ 2005, 340 ff.; Urt. v. 12.1.2005 - XII ZR 60/03, FamRZ 2005, 342 ff.). Daran hält der Senat uneingeschränkt fest.
Um ein solches "heimlich" eingeholtes DNA-Gutachten handelt es sich hier, da es an der erforderlichen Einwilligung des Kindes in die Untersuchung seiner DNA fehlte. Der Kläger konnte als nur gemeinsam mit der Mutter zur Vertretung des Kindes Berechtigter (§§ 1626a Abs. 1 Nr. 2, 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB) diese Einwilligung nicht anstelle des Kindes erteilen.
3. Der Senat hat in diesen Entscheidungen zu erkennen gegeben, dass die bisherigen hohen Anforderungen der Rechtsprechung an die Umstände, mit denen ein Anfangsverdacht im Vaterschaftsanfechtungsverfahren zu begründen ist, zu überdenken sein werden (BGH, Urt. v. 12.1.2005 BGHZ 162, 1 = BGHReport 2005, 503 = MDR 2005, 632 = FamRZ 2005, 340 ff.; Urt. v. 12.1.2005 - XII ZR 60/03, FamRZ 2005, 342 ff., jeweils unter 2). Ob die vom Kläger hier vorgebrachten Verdachtsmomente (dunklere Hautfarbe, fehlende Ähnlichkeit) einen ausreichenden Anfangsverdacht zu begründen vermochten, kann hier jedoch dahinstehen.
Denn es kommt nicht darauf an, ob das Berufungsgericht die Klage bereits wegen des vorgelegten Privatgutachtens für schlüssig gehalten hat, wovon angesichts der Begründung der Revisionszulassung auszugehen sein dürfte. Auch wenn das Berufungsgericht den weiteren Vortrag des Klägers in Verbindung mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 27.11.2003 überreichten Lichtbild des Beklagten und seiner Schwestern als schlüssig angesehen und deswegen Beweis erhoben hat, wie die Revisionserwiderung dem vor Einholung des gerichtlichen Gutachtens erteilten Hinweis des Vorsitzenden vom 4.3.2004 entnimmt, ergäbe sich nichts anderes. Ferner bedarf es keiner Entscheidung, in welchem Umfang eine solche Beurteilung der revisionsrechtlichen Prüfung unterliegt. Denn auch dann, wenn das Berufungsgericht mangels Schlüssigkeit der Klage die Einholung eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen für Blutgruppengutachten nicht hätte anordnen dürfen, führt dieser Verfahrensfehler nicht zur Aufhebung des auf dieses Gutachten gestützten Urteils.
Es ist davon auszugehen, dass der Kläger sich das für ihn günstige und seinen Vortrag bestätigende Ergebnis des gerichtlichen Gutachtens stillschweigend zu eigen gemacht hat, und zwar zugleich mit der Verlesung seines Berufungsantrages in der mündlichen Verhandlung vom 15.7.2004. Spätestens damit erwies sich seine Klage, mag sie zuvor auch unschlüssig gewesen sein, nunmehr als schlüssig (Erman/Holzhauer, BGB, 11. Aufl., § 1600b Rz. 4) und auch als begründet. Denn auch die Revision zieht die Richtigkeit dieses Gutachtens nicht in Zweifel.
Dies gilt hier auch dann, wenn der Auffassung des OLG Celle (OLG Celle v. 4.7.2005 - 15 UF 34/05, OLGReport Celle 2005, 730 = FamRZ 2006, 54 [55], a.E.) zu folgen wäre, nicht schon die Zustellung einer unschlüssigen Vaterschaftsanfechtungsklage wahre die Frist des § 1600b Abs. 1 BGB, sondern erst die Erklärung des Klägers in diesem Verfahren, sich auf das Ergebnis eines vom Gericht gleichwohl eingeholten Gutachtens zu berufen. Denn auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 15.7.2004 war die zweijährige Anfechtungsfrist selbst dann noch nicht abgelaufen, wenn sie mit Kenntnis des Klägers vom Ergebnis des Privatgutachtens vom 29.7.2002 zu laufen begonnen hätte, wie das Berufungsgericht meint.
Im Übrigen vermag der Senat dieser Auffassung des Berufungsgerichts ohnehin nicht zu folgen. Die Ausschlussfrist des § 1600b Abs. 1 BGB soll den Anfechtungsberechtigten, der von Umständen erfährt, die gegen seine Vaterschaft sprechen, im Interesse der Rechtssicherheit in den Familienbeziehungen und im Interesse des Kindes zwingen, innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, ob er von der Möglichkeit, Anfechtungsklage zu erheben, Gebrauch machen will oder nicht (EuGHMR v. 24.11.2005 - Beschwerde Nr. 74826/01, FamRZ 2006, 181 Rz. 39). Verwehrt ihm die Rechtsprechung des Senats aber, eine solche Klage auf eine heimlich eingeholte DNA-Analyse zu stützen, kann auch die Kenntnis von deren Ergebnis die Frist des § 1600b Abs. 1 BGB nicht auslösen. Denn nach dieser Vorschrift beginnt die Frist erst mit der Kenntnis von Umständen zu laufen, auf die die Klage zulässigerweise und mit Aussicht auf Erfolg gestützt werden kann.
4. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, auch das gerichtliche Gutachten unterliege als ein in prozessordnungswidriger Weise gewonnenes Beweisergebnis einem Verwertungsverbot: Da seine Einholung auf einem Verstoß gegen das Verbot der Berücksichtigung des "heimlich" eingeholten DNA-Gutachtens beruhe, setze sich das Verwertungsverbot, dem dieses Privatgutachten unterliege, an dem vom Gericht eingeholten Gutachten fort.
Damit postuliert die Revision eine "Fernwirkung", die vor allem im Strafprozessrecht (BGHSt 35, 32 ff.) auch als "fruit-of-the poisonous-tree" - Doktrin (Justice Frankfurter in Nardone v. United States, U.S. Supreme Court 308 U.S. 338 [1939]) nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Sie betrifft die Frage, ob ein an sich zulässiges Beweismittel dann einem Verwertungsverbot unterliegt, wenn es ohne eine zuvor in rechtswidriger Weise gewonnene Information nicht hätte erlangt werden können.
Ob und in welchem Umfang die hierzu für den strafrechtlichen Bereich vorgeschlagenen Lösungsansätze auch auf den Zivilprozess zu übertragen sind, kann und braucht im Rahmen der vorliegenden Entscheidung nicht generell geklärt zu werden. Jedenfalls ist die in der Zivilprozessordnung nicht geregelte Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise und Beweismittel im Zivilprozess in Rechtsprechung und Literatur noch nicht dogmatisch befriedigend geklärt und erscheint nach wie vor eher konturenlos (Kiethe, MDR 2005, 965). Auch der Senat kann daher nicht umhin, sich auf eine einzelfallbezogene Lösung zu beschränken.
a) Bei dem hier vom Berufungsgericht von Amts wegen eingeholten Abstammungsgutachten handelt es sich nicht um ein Beweismittel, das sich die vom Beweisergebnis begünstigte Partei auf rechtswidrige oder gar strafbare Weise selbst verschafft hat. Die Lehre, die der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel mit dem Arglisteinwand der gegnerischen Partei begegnen will (Peters, ZZP 76, 145 [150 f.], m.w.N.; Kaissis, Die Verwertbarkeit materiell-rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozess, Diss. Heidelberg 1978, S. 46 ff.), bietet deshalb hier keinen geeigneten Lösungsansatz. Denn der Kläger handelt nicht arglistig, wenn er sich ein Beweisergebnis zu eigen macht, das er der Amtsermittlung des Gerichts verdankt, gleichgültig, ob diese prozessordnungswidrig war oder nicht.
b) Daran schließt sich die weitere Frage an, wie sich ein solches prozessordnungswidrig vom Gericht gewonnenes Beweisergebnis auswirkt.
aa) Ein Beweisergebnis ist im Zivilprozess nicht schon deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil es unter Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts gewonnen wurde (BGH, Urt. v. 2.11.1988 - IVb ZR 109/89, FamRZ 1989, 373, zu § 294 Abs. 2 ZPO a.F.). Denn nicht aus jedem Beweisgewinnungsverbot folgt auch ein Beweisverwertungsverbot (Fahl, JuS 1996, 1013 [1014]). Dem entspricht, dass das Rechtsmittelgericht den Tatsachenvortrag einer Partei auch dann zu berücksichtigen hat, wenn die Vorinstanz ihn nach § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet hätte zurückweisen müssen (BVerfG v. 30.1.1985 - 1 BvR 876/84, NJW 1985, 1150). Soweit es sich hierbei um Vorschriften handelt, die der Verfahrensbeschleunigung dienen, leuchtet dies unmittelbar ein, weil der einmal verfehlte Regelungszweck auch durch Nichtberücksichtigung eines solchen Vortrags nicht mehr erreicht werden könnte (Roth, JZ 2005, 174 [176]).
Es kommt auch sonst immer wieder vor, dass ein Instanzgericht rechtsirrig von der Schlüssigkeit eines Parteivortrages ausgeht und deshalb Beweise erhebt, deren Ergebnis sich die darlegungspflichtige Partei zu eigen und damit ihren Vortrag erst schlüssig macht. Ein typischer Unterfall ist der Ausforschungsbeweis. Auch in diesem Fall handelt es sich um ein prozessordnungswidrig gewonnenes Beweisergebnis. Soweit ersichtlich, bestehen in der eher spärlichen Rechtsprechung und Literatur hierzu aber allein deswegen keine Bedenken gegen die Verwertung dieses Ergebnisses (Peters, ZZP 76, 145 [157], m.w.N.; OLG Brandenburg v. 15.3.2001 - 11 W 12/01, OLGReport Brandenburg 2001, 332 = NJW-RR 2001, 1727 f.).
bb) Etwas anderes mag gelten, wenn der Verstoß gegen verfahrensrechtliche Vorschriften (etwa gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit und Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme) geeignet ist, die Güte des Beweisergebnisses zu beeinträchtigen (Peters, ZZP 76, 145 [158], m.w.N.). Ein derartiger Verstoß liegt hier aber nicht vor. Der gerügte Verfahrensfehler betrifft allein die Anordnung der Beweisaufnahme, nicht aber die Art und Weise ihrer Durchführung.
cc) Aus dem Gebot der Berücksichtigung des gesamten Inhalts einer durchgeführten Beweisaufnahme (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) folgt, dass mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung ein Verbot der Verwertung eines vom Gericht erhobenen Beweises nur in Betracht kommt, wenn die Beweiserhebung ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht einer Partei verletzt, ohne dass dies zur Gewährleistung eines im Rahmen der Güterabwägung als höherwertig einzuschätzenden Interesses der anderen Partei oder eines anderen Rechtsträgers nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt erscheint (OLG Celle v. 4.7.2005 - 15 UF 34/05, OLGReport Celle 2005, 730 = FamRZ 2006, 54 [55], a.E.).
c) Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.
aa) Zwar darf das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten nicht verwertet werden, weil es sich um ein Beweismittel handelt, das der Kläger sich widerrechtlich, nämlich unter Verstoß gegen das Grundrecht des Beklagten auf informationelle Selbstbestimmung, verschafft hat (BGH, Urt. v. 12.1.2005 BGHZ 162, 1 = BGHReport 2005, 503 = MDR 2005, 632 = FamRZ 2005, 340 ff.; Urt. v. 12.1.2005 - XII ZR 60/03, FamRZ 2005, 342 ff.).
bb) Hingegen verstößt die Verwertung des vom Gericht in einem rechtsförmigen Verfahren eingeholten Gutachtens weder gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Beklagten, noch verstieß die vom Gericht angeordnete Blutentnahme gegen dessen Grundrecht auf körperliche Integrität (Art. 2 GG). § 372a ZPO sieht insoweit für den Fall einer nach § 355 Abs. 2 ZPO grundsätzlich unanfechtbaren Beweisanordnung die Pflicht vor, eine Blutentnahme und deren Untersuchung auch gegen den eigenen Willen zu dulden. Diese Verpflichtung wäre im Übrigen sinnlos, wenn das auf diese Weise gewonnene Beweisergebnis anschließend nicht verwertbar wäre.
Zwar setzt auch § 372a ZPO voraus, dass die Feststellung der Abstammung entscheidungserheblich und beweisbedürftig ist (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 372a Rz. 3), was im Falle der Unschlüssigkeit einer Vaterschaftsanfechtungsklage nicht der Fall ist. Um in einem solchen Fall einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Grundrechte abwehren zu können, steht der Testperson aber ein Weigerungsrecht analog §§ 386 - 389 ZPO zu, das entgegen § 355 Abs. 2 ZPO auch mit dem Fehlen der Erforderlichkeit der Abstammungsfeststellung begründet und im Rahmen eines Zwischenstreits nach § 387 ZPO geltend gemacht werden kann, über den durch Zwischenurteil zu entscheiden ist (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 372a Rz. 13). Gegen ein solches Zwischenurteil hätte das Berufungsgericht hier die Revision aus den gleichen Gründen zulassen müssen, aus denen es die Revision gegen das hier angefochtene Endurteil zugelassen hat.
Von diesem Weigerungsrecht des seinerzeit 9 Jahre alten und deshalb der erforderlichen Verstandesreife für eine eigene Entscheidung ermangelnden Beklagten hat der für ihn nach § 1909 Abs. 1 BGB bestellte Ergänzungspfleger, der hierzu berufen gewesen wäre (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.8.1997 - 2 W 3/97, FamRZ 1998, 563 [564]), keinen Gebrauch gemacht. Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten haben der Einholung eines Abstammungsgutachtens mit Schriftsatz vom 29.3.2004 zudem lediglich mit der Begründung widersprochen, sie sei aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zumutbar, weil die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen sei. Gegen den die Begutachtung anordnenden Beweisbeschluss vom 1.4.2004 haben sie keine Gegenvorstellungen mehr erhoben.
cc) Es kann dahinstehen, ob deshalb bereits davon ausgegangen werden kann, der Beklagte habe sich, in seiner Willensbildung durch den Ergänzungspfleger vertreten, der Begutachtung freiwillig unterzogen oder den damit verbundenen Eingriff in seine Grundrechte gebilligt. Der Umstand, dass er der Beweisanordnung unter Hinweis auf die seiner Ansicht nach abgelaufene Anfechtungsfrist widersprochen hatte, steht dem jedenfalls nicht zwingend entgegen, da ihm dieser Einwand auch nach Einholung des Abstammungsgutachtens erhalten blieb.
Jedenfalls wiegt ein etwa gleichwohl anzunehmender, allein auf der vom Revisionsgericht später nicht gebilligten Auffassung des OLG in einer höchst umstrittenen Rechtsfrage beruhender erneuter Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Integrität einer Partei dann nicht so schwer, dass er im Statusverfahren zur Unverwertbarkeit des eingeholten Abstammungsgutachtens führen müsste. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Verfahren - wie hier - dem Grundrechtsträger Verfahrensgarantien einräumt, die es ihm ermöglichen, sich gegen eine prozessordnungswidrig angeordnete Blutgruppenuntersuchung zur Wehr zu setzen. In diesem Fall ist nämlich nicht nur das dem Interesse des Kindes entgegenstehende, aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitende Recht des Klägers auf Kenntnis seiner Vaterschaft oder Nichtvaterschaft in die Güterabwägung einzubeziehen, sondern auch dessen Recht, die ihm vom Gericht in einem rechtsförmigen Verfahren bereits verschaffte Kenntnis im Vaterschaftsanfechtungsverfahren zu verwerten.
Anders als bei der Güterabwägung, die der Senat in seinen Urteilen vom 12.1.2005 (BGH, Urt. v. 12.1.2005 BGHZ 162, 1 = BGHReport 2005, 503 = MDR 2005, 632 = FamRZ 2005, 340 ff. [342]; Urt. v. 12.1.2005 - XII ZR 60/03, FamRZ 2005, 342 ff. [344]) im Hinblick auf die Verwertung eines heimlich eingeholten DNA-Gutachtens vorgenommen hatte, brauchen diese Rechte des Klägers hier nicht hinter den Grundrechten des Beklagten zurückzustehen. Denn für den Beklagten ist es eher zumutbar, die statusrechtliche Folge einer vor Gericht durch ein nach den einschlägigen Richtlinien erstattetes Abstammungsgutachten zweifelsfrei nachgewiesenen und von ihm selbst nicht mehr bestrittenen Nichtvaterschaft des Klägers hinzunehmen, als für den Kläger, an einer nach diesem Beweisergebnis nicht bestehenden Vaterschaft einschließlich der sich daraus ergebenden Unterhaltspflicht festgehalten zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 1500968 |
BGHZ 2006, 283 |
NJW 2006, 1657 |
BGHR 2006, 785 |
FamRZ 2006, 686 |
AnwBl 2006, 148 |
DSB 2006, 18 |
DVP 2006, 260 |
FPR 2006, 453 |
FPR 2007, 423 |
MDR 2006, 1171 |
NJ 2006, 370 |
RDV 2006, 120 |
FamRB 2006, 171 |
GV/RP 2007, 394 |
KomVerw 2007, 70 |
NJW-Spezial 2006, 393 |
ZFE 2006, 202 |
ZKJ 2006, 417 |
FK 2006, 94 |
FuBW 2007, 98 |
FuHe 2007, 141 |
JAmt 2006, 304 |