Entscheidungsstichwort (Thema)
Sittenwidrigkeit der Bürgschaft bei offensichtlicher finanzieller Überforderung des bürgenden Ehegatten
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Sittenwidrigkeit von durch Kreditinstitute mit privaten Sicherungsgebern geschlossenen Bürgschaftsverträgen beurteilt sich regelmäßig nach dem Grad des Missverhältnisses zwischen dem Umfang der Verpflichtung einerseits und der finanziellen Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner persönlich nahestehenden Bürgen andererseits.
2. Kann ein bürgender Ehegatte bei Eintritt des Sicherungsfalls voraussichtlich noch nicht einmal die vereinbarten Zinsen aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens dauerhaft tragen, ist zwar regelmäßig noch keine Sittenwidrigkeit des Sicherungsgeschäfts gegeben, jedoch ist in einem solchen Fall offensichtlicher finanzieller Überforderung des Bürgen nach der allgemeinen Lebenserfahrung bereits ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerleglich zu vermuten, dass er die Bürgschaft allein aus Gründen emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und der Kreditgeber diesen Umstand in sittenwidriger Weise ausgenutzt hat.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1, § 765
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten zu 1) werden das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 1. August 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1) erkannt worden ist, und das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 9. Februar 2001 teilweise abgeändert.
Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage wird abgewiesen.
Die Kosten erster und zweiter Instanz werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen sie selbst 13/14 und der Beklagte zu 2) 1/14. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 3) hat die Klägerin zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt er selbst.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Bürgschaft. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die klagende Sparkasse stand seit 1991 mit dem Ehemann der Beklagten zu 1) (nachfolgend: Beklagte), einem Transportunternehmer, in ständiger Geschäftsbeziehung. In deren Verlauf gewährte die Klägerin ihm mehrere, zum Teil staatlich geförderte Existenzgründungskredite und am 25. November 1996 zwei variabel verzinsliche Darlehen über 660.805,51 DM und 582.000 DM zu Zinssätzen von damals 7,10% und 6,55%, die unter anderem durch eine erstrangige Grundschuld über 2 Millionen DM an dem Betriebsgrundstück des Kreditnehmers gesichert wurden.
Mit schriftlicher Erklärung vom 25. November 1996 übernahm die Beklagte eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 500.000 DM für die Verbindlichkeiten ihres Ehemannes gegenüber der Klägerin einschließlich der vorgenannten Darlehen.
Nach Kündigung der Geschäftsbeziehung und Verwertung eines Teils der Sicherheiten geht die Klägerin gegen die Beklagte aus dem Bürgschaftsvertrag vom 25. November 1996 vor. Die Beklagte, die die Bürgschaft wegen krasser finanzieller Überforderung für sittenwidrig erachtet, hält dem vor allem entgegen: Bei Abgabe der Bürgschaftserklärung habe der pfändbare Teil ihres Monatseinkommens von etwa 2.000 DM als Angestellte im Betrieb ihres Ehemannes nur 553,70 DM betragen. Vermögen habe sie nicht besessen. Das neu errichtete Zweifamilienhaus gehöre allein ihrem Ehemann.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung eines Teilbetrages in Höhe von 300.000 DM zuzüglich Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Klageabweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat die Bürgschaftsübernahme der Beklagten für wirksam erachtet und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Der Bürgschaftsvertrag der Parteien verstoße nicht gegen die guten Sitten. Eine krasse finanzielle Überforderung der Beklagten lasse sich nicht feststellen. Neben dem nicht substantiiert bestrittenen pfändbaren Einkommensanteil von 553,70 DM monatlich verfüge sie über hälftiges Sondermiteigentum an dem auf fremdem Grund und Boden errichteten Zweifamilienhaus. Ausweislich der vorgelegten Fotos erscheine der von der Klägerin angegebene reine Gebäudewert in Höhe von rund 400.000 DM nicht unangemessen.
Die Beklagte habe außerdem nicht bewiesen, daß die Klägerin das persönliche Näheverhältnis zu ihrem Ehemann in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt habe. Vielmehr habe sie ihrerseits dargelegt, daß dessen Transportunternehmen die Existenzgrundlage der ganzen Familie gewesen sei und die Beklagte die Kreditverhandlungen nahezu selbständig geführt sowie überhaupt die kaufmännische Verantwortung getragen habe.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts überforderte die Höchstbetragsbürgschaft über 500.000 DM die Beklagte von Anfang an finanziell in krasser Weise, ohne daß es die Klägerin entlastende Momente gibt.
1. Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung des IX. und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs hängt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf von Kreditinstituten mit privaten Sicherungsgebern geschlossene Bürgschafts- oder Mithaftungsverträge regelmäßig entscheidend vom Grad des Mißverhältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner persönlich nahe stehenden Bürgen oder Mitverpflichteten ab (BGHZ 125, 206, 211; 136, 347, 351; 137, 329, 333 f.; 146, 37, 42; Senatsurteile vom 13. November 2001 – XI ZR 82/01, WM 2002, 125; vom 4. Dezember 2001 – XI ZR 56/01, WM 2002, 223, 224; vom 14. Mai 2002 – XI ZR 50/01, WM 2002, 1347, 1348, für BGHZ vorgesehen; vom 14. Mai 2002 – XI ZR 81/01, WM 2002, 1350, 1351 und vom 28. Mai 2002 – XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648 sowie XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1651). Zwar reicht selbst der Umstand, daß der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft tragen kann, regelmäßig nicht aus, um das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu begründen. In einem solchen Falle krasser finanzieller Überforderung ist aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerleglich zu vermuten, daß er die ruinöse Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (st.Rspr., siehe z.B. Senatsurteile vom 14. Mai 2002 – XI ZR 50/01 aaO S. 1348 und vom 28. Mai 2002 – XI ZR 205/01 aaO, jeweils m.w.Nachw.).
2. Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, war die Beklagte bei Vertragsschluß voraussichtlich nicht einmal in der Lage, die nach den Kreditverträgen, welche Anlaß der streitgegenständlichen Bürgschaftserklärung waren, bestehende Zinslast aus eigenem pfändbaren Einkommen und/oder Vermögen dauerhaft allein zu tragen.
a) Nach dem nicht substantiiert bestrittenen Vortrag der Beklagten betrug der pfändbare Teil ihres monatlichen Einkommens aus der Mitarbeit im Transportunternehmen ihres Ehemannes lediglich 553,70 DM. Daß aus der maßgebenden Sicht eines seriösen und vernünftigen Kreditgebers in absehbarer Zeit mit einer wesentlichen und nachhaltigen Verbesserung der Einkommensverhältnisse zu rechnen war, ist nicht vorgetragen. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten belief sich der pfändbare Teil ihres Monatseinkommens bei Eintritt des Sicherungsfalles im Jahre 2000 auf 763,70 DM.
b) An pfändbarem Vermögen besaß die Beklagte nach den nicht angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts hälftiges Sondermiteigentum an einem Zweifamilienhaus. Ausgehend von dem Gebäudewert, den die Klägerin mit 400.000 DM angegeben hat, entfielen auf die Beklagte 200.000 DM.
c) Dieses pfändbare Vermögen ist bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten in der Weise zu berücksichtigen, daß der Wert von 200.000 DM von der Bürgschaftsschuld über 500.000 DM abgezogen wird. Nur wenn der pfändbare Teil des Einkommens der Beklagten die auf den so ermittelten Schuldbetrag entfallenden laufenden Zinsen voraussichtlich nicht abdeckt, liegt eine krasse finanzielle Überforderung vor (Senatsurteil vom 28. Mai 2002 – XI ZR 199/01, aaO S. 1648).
Das ist hier offensichtlich der Fall. Ausgehend von dem bei Übernahme der Bürgschaft geltenden günstigsten Zinssatz von 6,55% belaufen sich die Zinsen bei einer Schuld von 300.000 DM auf 19.650 DM jährlich oder 1.637,50 DM monatlich. Sie übersteigen damit den pfändbaren Teil des Einkommens der Beklagten von höchstens 763,70 DM monatlich bei weitem. Das würde sogar auch dann noch gelten, wenn man angesichts der variabel verzinslichen Darlehen von sehr günstigen durchschnittlichen Zinsen von lediglich 5%, d.h. hier 15.000 DM jährlich ausgehen wollte.
2. Die danach bestehende tatsächliche Vermutung eines sittlich anstößigen fremdbestimmten Handelns der Beklagten ist nicht widerlegt oder entkräftet. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt die Darlegungs- und Beweislast insoweit bei der Klägerin (vgl. Senatsurteil vom 28. Mai 2002 – XI ZR 205/01, aaO S. 1652).
a) Daß die Beklagte nach den Angaben der Klägerin mehrere Kreditgespräche für ihren Ehemann allein geführt und auch sonst die kaufmännische Verantwortung für das von ihm betriebene Transportunternehmen getragen haben soll, fällt als Beweisanzeichen schon deshalb nicht ins Gewicht, weil nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch erfahrene und geschäftsgewandte Personen aus emotionaler Verbundenheit zu ihren Ehegatten Verbindlichkeiten eingehen, die sie finanziell kraß überfordern (Senatsurteil vom 14. Mai 2002 – XI ZR 81/01, WM 2002, 1350, 1351 m.w.Nachw.).
b) Ebenso ist der Einwand der Klägerin, der Gewerbebetrieb sei die Existenzgrundlage der ganzen Familie gewesen, keine geeignete Indiztatsache. Denn abgesehen davon, daß nicht einmal sicher ist, ob die Beklagte von einem unternehmerischen Erfolg ihres Ehemannes in einem nennenswerten Umfang profitiert hätte, wiegt die Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards das Mithaftungsrisiko bei weitem nicht auf. Bloße mittelbare Vorteile sind daher grundsätzlich – und erst recht bei weitgehend fremdfinanzierten Existenzgründungen – kein Gesichtspunkt, den finanziell kraß überforderten Ehepartner unter bewußter Ausnutzung des persönlichen Näheverhältnisses in das unternehmerische Risiko des anderen einzubinden. Zudem würde der gegenteilige Standpunkt zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Ehepartner selbständiger Unternehmer führen (Senat BGHZ 146, 37, 46).
III.
Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO a.F.). Durch die anderweitigen Sicherheiten der Klägerin war das Haftungsrisiko der Beklagten nicht in einer die Sittenwidrigkeit ausschließenden Weise begrenzt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind anderweitige Sicherheiten des Kreditnehmers – vor allem dingliche Sicherheiten – grundsätzlich nur dann zu berücksichtigen, wenn sie das Haftungsrisiko des Betroffenen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken (vgl. BGHZ 136, 347, 352 f.; Senat BGHZ 146, 37, 44 m.w.Nachw.; Senatsurteil vom 28. Mai 2002 – XI ZR 205/01, aaO S. 1651). Diese engen Voraussetzungen erfüllt die von dem Ehemann der Beklagten auf dem Betriebsgrundstück bestellte erstrangige Sicherungsgrundschuld nicht, weil die Klägerin gemäß Nr. 3 der Bürgschaftsurkunde vom 26. November 1996 nicht verpflichtet ist, sich zunächst an andere Sicherheiten zu halten, bevor sie die Beklagte in Anspruch nimmt, und die Beklagte aus der Aufgabe anderweitiger Sicherheiten keine Rechte herleiten kann. Daß ein solcher Ausschluß des § 776 BGB gegen § 9 AGBG verstößt (BGHZ 144, 52, 56 ff.), ändert nichts. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Bürgschaft kann es der Klägerin nicht zugute kommen, wenn die formularmäßige Bürgschaft unangemessene und deshalb unwirksame Klauseln enthält.
IV.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.) und die Klage abweisen.
Unterschriften
Nobbe, Müller, Joeres, Wassermann, Mayen
Fundstellen
Haufe-Index 888213 |
BGHR 2003, 333 |
FamRZ 2003, 512 |
FuR 2003, 381 |
EWiR 2003, 759 |
BKR 2003, 157 |
ZBB 2003, 123 |
NJOZ 2003, 359 |