Leitsatz (amtlich)
Es besteht keine Verpflichtung des Rechtsanwalts, anläßlich eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Einhaltung der Berufungsfrist zu prüfen.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf |
LG Düsseldorf |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Dezember 1998 aufgehoben.
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Der Rechtsstreit wird im übrigen zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs. Das Landgericht hat die Klage durch das der Klägerin am 19. März 1998 zugestellte Urteil vom 5. März 1998 abgewiesen. Die an das „OLG, Cecilienallee, Düsseldorf” adressierte Berufung der Klägerin ist am 24. April 1998 bei dem Berufungsgericht eingegangen. Auf Antrag vom 11. Mai 1998 ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Juni 1998 verlängert worden. An diesem Tag ist die Berufungsbegründung auch eingegangen. Mit am 2. Juli 1998 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung ihres Antrags hat sie ausgeführt: Die Berufungsschrift sei am 15. April 1998 gefertigt und am selben Tag gegen 17.10 Uhr in den Briefkasten eingeworfen worden. Der Briefkasten sei um 18.15 Uhr geleert worden. Die Postlaufzeit zum Oberlandesgericht Düsseldorf betrage einen Tag, bei unvollständiger Adressierung allenfalls drei Tage. Ihr Prozeßbevollmächtigter, Rechtsanwalt E., habe die Versäumung der Berufungsfrist bemerkt, als ihm die Handakten zur Fertigung der Berufungsbegründung erstmals nach dem 15. April 1998 am 18. Juni 1998 wieder vorgelegt worden seien.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung durch Urteil verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Der Senat hat die Revision durch Urteil vom 15. Oktober 1999, V ZR 50/99, NJW 2000, 82, zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat das Urteil vom 15. Oktober 1999 durch Beschluß vom 25. September 2000 aufgehoben.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht meint: Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist sei nicht innerhalb der Frist von § 234 Abs. 1 ZPO gestellt. Diese Frist habe am 11. Mai 1998 begonnen, als Rechtsanwalt E. den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist unterschrieben habe. Bei dieser Gelegenheit habe er sowohl die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist als auch die Einhaltung der Berufungsfrist eigenverantwortlich prüfen müssen. Der Antrag sei auch nicht begründet, weil nicht festgestellt werden könne, daß die Berufungsschrift tatsächlich am 15. April 1998 zur Post gegeben worden sei.
II.
Die Revision hat auf der Grundlage der den Senat bindenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Erfolg.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist entgegen der Meinung des Berufungsgerichts rechtzeitig gestellt. Die in § 234 Abs. 1 ZPO bestimmte Frist beginnt gemäß § 234 Abs. 2 ZPO mit der Behebung des Hindernisses, das der Wahrung der Frist entgegensteht. Dem steht gleich, daß Umstände eingetreten sind, nach denen der Fortbestand des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann (BGH, Beschl. v. 31. Januar 1990, VIII ZB 44/89, NJW-RR 1990, 830). Das ist hier erst für den Augenblick anzunehmen, in dem Rechtsanwalt E. am 18. Juni 1998 die Handakten zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt wurden und er das Fristversäumnis bemerkte.
Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin ist die Frist zur Berufungsbegründung im Hinblick auf die Fertigung der Berufungsschrift am 15. April 1998 im Büro des Prozeßbevollmächtigten zunächst auf den 15. Mai 1998 notiert worden. Nach Erhalt der Eingangsbestätigung des Berufungsgerichts hat die Angestellte von Rechtsanwalt E., Frau P., eine zuverlässige, erfahrene und stichprobenweise überprüfte Mitarbeiterin, die Notierung gelöscht und die Frist auf der Grundlage der Mitteilung des Oberlandesgerichts auf Montag, den 25. Mai 1998, mit Vorfrist auf den 18. Mai 1998 neu eingetragen, ohne daß sie die Versäumung der Berufungsfrist bemerkt hatte. Weil sie die Mitteilung des Oberlandesgerichts Rechtsanwalt E. entgegen einer allgemein erteilten Anweisung nicht zur Kenntnis gab und weisungswidrig auch die Handakte nicht vorlegte, brauchte dieser die Versäumung der Berufungsfrist in diesem Augenblick noch nicht zu bemerken. Dasselbe gilt für den Zeitpunkt, in dem ihm der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 11. Mai 1998 zur Unterschrift vorgelegt wurde. Daß er sich hierbei die Handakte nicht vorlegen ließ, aus der die Berufungsfrist, die Berufungsbegründungsfrist und die Notierung der Fristen im Kalender ersichtlich sein mußten, gereicht ihm für die Wahrung der Wiedereinsetzungsfrist nicht zum Vorwurf. Zwar hat der Rechtsanwalt bei fristwahrenden Prozeßhandlungen nach ständiger Rechtsprechung den Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt wird, eigenverantwortlich auf der Grundlage der Handakte zu prüfen (BGH, Beschl. v. 19. Februar 1991, VI ZB 2/91, NJW-RR 1991, 827, 828; Beschl. v. 6. Juli 1994, VIII ZB 12/94, NJW 1994, 2831, 2832). Bei Unterzeichnung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist muß aber die Einhaltung der Berufungsfrist nicht geprüft werden. Die Berufungsfrist ist zu dieser Zeit in aller Regel längst verstrichen. Der Ablauf der Berufungsfrist ist für die Frage der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ohne Bedeutung. Die Berufungsbegründungsfrist beginnt unabhängig von der Wahrung der Berufungsfrist mit der Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 1 2. Halbs. ZPO). Daher bedeutet es eine Überspannung der Sorgfaltsanforderungen, von einem Rechtsanwalt zu verlangen, daß er bei der Unterzeichnung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auch die Einhaltung der Berufungsfrist prüfen müsse (offengelassen BGH, Beschl. v. 22. Januar 1997, XII ZB 195/96, NJW-RR 1997, 759, 760). Damit kann aber nicht festgestellt werden, daß die Versäumung der Berufungsfrist bei der gebotenen Vorlage und Prüfung der Handakte anläßlich des Antrags vom 11. Mai 1998 von Rechtsanwalt E. bemerkt worden wäre.
Nachdem die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß verlängert worden war, wurden die Handakten Rechtsanwalt E. erstmals am Tag der im Hinblick auf die Fristverlängerung wiederum zur Fertigung der Berufungsbegründung neu notierten Vorfrist, dem 18. Juni 1998, vorgelegt. Nunmehr erkannte Rechtsanwalt E. die Versäumung der Berufungsfrist. Die damit beginnende Wiedereinsetzungsfrist ist durch den am 2. Juli 1998 beim Berufungsgericht eingegangenen Antrag gewahrt.
III.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet. Die Umstände, die zur Versäumung der Berufungsfrist geführt haben, sind nicht von der Klägerin zu vertreten.
Es ist davon auszugehen, daß die Berufungsschrift am 15. April 1998 gefertigt und an diesem Tag gegen 17.15 Uhr in den Briefkasten eingeworfen wurde. Die Berufungsbegründungsfrist wurde von Frau P. vorläufig auf den 15. Mai 1998 notiert. Das bestätigt die Fertigung der Berufungsschrift an diesem Tag. Weil sich die Klägerin nicht sicher war, ob das Berufungsverfahren durchgeführt werden sollte, erfolgte die Einlegung der Berufung zunächst zur Fristwahrung. Neben der Berufungseinlegung schrieb Rechtsanwalt E. aus diesem Grund den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt B., am 15. April 1998 an und bat ihn, einstweilen von der Anzeige der Vertretung des Beklagten im Berufungsverfahren abzusehen. Nach dem Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 27. November 1998 hat Rechtsanwalt B. im Anschluß an den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht Rechtsanwalt E. bestätigt, dessen Bitte vom 15. April 1998 am 16. April 1998 erhalten zu haben. Im Hinblick auf diese Umstände muß angenommen werden, daß nicht nur das Schreiben von Rechtsanwalt E. an Rechtsanwalt B. vom 15. April 1998, sondern auch die am selben Tage verfaßte Berufungsschrift noch am 15. April 1998 versandt worden ist. Eine Trennung der dieselbe Sache betreffenden Poststücke im Büro von Rechtsanwalt E. widerspräche jeder Erfahrung. Das reicht aus, die Überzeugung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des vorgetragenen Geschehensablaufs zu begründen. Mehr bedarf es nicht. Vollständiger Beweis ist im Wiedereinsetzungsverfahren nicht zu verlangen (BGH, Beschl. v. 20. März 1996, VIII ZB 7/96, NJW 1996, 1682).
Ist der Versand rechtzeitig erfolgt, kommt es auf die vom Oberlandesgericht festgestellten Mängel der Organisation des Postausgangs im Büro von Rechtsanwalt E. nicht an, weil diese Mängel für die Versäumung der Berufungsfrist nicht ursächlich geworden sind. Die Mängel in der Angabe der Anschrift des Berufungsgerichts und die überlange Postlaufzeit stehen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Wiedereinsetzung nicht entgegen.
Unterschriften
Wenzel, Schneider, Krüger, Klein, Gaier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 04.05.2001 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 599955 |
HFR 2002, 66 |
NJW 2001, 2336 |
BGHR 2001, 852 |
BGHR |
EBE/BGH 2001, 194 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2001, 1068 |
MDR 2001, 1072 |
VersR 2003, 388 |
MittRKKöln 2001, 268 |
BRAK-Mitt. 2001, 174 |