Leitsatz (amtlich)
Benutzt der Geschädigte im Totalschadensfall (hier: Reparaturkosten bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts) sein unfallbeschädigtes Fahrzeug nach einer (Teil-)Reparatur weiter, ist bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen (Ergänzung zum Senat, Urt. v. 6.3.2007 - VI ZR 120/06 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 05.09.2006; Aktenzeichen 9 S 106/06) |
AG Bochum (Urteil vom 17.05.2006; Aktenzeichen 70 C 385/05) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bochum vom 5.9.2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger nimmt die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 31.12.2004 in Anspruch. Die Haftung der Beklagten steht außer Streit. Die Parteien streiten nur noch darum, in welcher Höhe sich der Kläger bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungsaufwandes den Restwert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges anrechnen lassen muss.
[2] Der vom Kläger mit der Schadensermittlung beauftragte Sachverständige hat für das Fahrzeug Reparaturkosten i.H.v. 13.767,14 EUR, einen Brutto-Wiederbeschaffungswert von 12.500 EUR und einen auf dem regionalen Markt erzielbaren Restwert von 2.000 EUR ermittelt. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Netto-Wiederbeschaffungswert nach Abzug der Differenzsteuer 12.200 EUR beträgt.
[3] Mit Schreiben vom 20.1.2005 hat der Haftpflichtversicherer (Beklagte zu 2)) dem Kläger ein höheres Restwertangebot von 4.300 EUR eines Restwertaufkäufers aus einer Internet-Restwertbörse vorgelegt und auf dieser Basis den Fahrzeugschaden mit 7.900 EUR reguliert.
[4] Der Kläger will sich das höhere Restwertangebot nicht anrechnen lassen, weil er das Unfallfahrzeug (teil-)repariert hat und weiternutzt und verlangt mit der vorliegenden Klage die Differenz von 2.300 EUR zu dem Restwert von 2.000 EUR, den sein Sachverständiger auf dem regionalen Markt ermittelt hat.
[5] Das AG hat die entsprechende Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LG das Urteil des AG insoweit abgeändert und die Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger weitere 2.300 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[6] Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne bei der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands zwar nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot unter Umständen verpflichtet sein, ein ihm vom Haftpflichtversicherer übermitteltes höheres Restwertangebot aus dem Bereich spezialisierter Restwertaufkäufer im Internet anzunehmen. Dies sei jedoch im vorliegenden Fall schon deshalb nicht für die Schadensabrechnung maßgeblich, weil der Kläger das Fahrzeug repariert habe und weiternutze. Würde man ihn auf das höhere Restwertangebot verweisen, würde dies letztlich dazu führen, dass der Kläger sein Fahrzeug statt der Reparatur zwingend hätte verkaufen müssen, um nicht einen Teil des Schadens selbst zu tragen, obwohl er sich für eine Reparatur entschieden hätte. Damit würde in die Dispositionsfreiheit des Klägers und die ihm allein zustehende Ersetzungsbefugnis eingegriffen. Dies gelte um so mehr, als vom Grundsatz her das Fahrzeug durchaus reparaturwürdig gewesen sei, weil die kalkulierten Reparaturkosten 130 % des Wiederbeschaffungswertes nicht überschritten hätten.
II.
[7] Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger muss sich bei der Berechnung des von den Beklagten zu ersetzenden Wiederbeschaffungsaufwandes lediglich den von seinem Sachverständigen ermittelten Restwert von 2.000 EUR anrechnen lassen.
[8] 1. Da die geschätzten Reparaturkosten im Streitfall den Wiederbeschaffungswert des Kraftfahrzeuges übersteigen, ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Geschädigte im Wege der fiktiven Schadensabrechnung nur den Wiederbeschaffungsaufwand, also die Differenz zwischen dem Netto-Wiederbeschaffungswert und dem Restwert ersetzt verlangen kann.
[9] a) Nimmt der Geschädigte tatsächlich eine Ersatzbeschaffung vor, leistet er im Allgemeinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, BGHZ 163, 362, 366 = MDR 2006, 148 = BGHReport 2005, 1517 m. Anm. Freyberger; 143, 189, 193; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92, MDR 1993, 622 = VersR 1993, 769, 770; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger = VersR 2005, 381, 382). Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen und kann vom Schädiger auch nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem solchen Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könnte; er muss sich einen höheren Erlös allerdings anrechnen lassen, wenn er ihn bei tatsächlicher Inanspruchnahme eines solchen Sondermarktes ohne besondere Anstrengungen erzielt (vgl. Senat, Urt. v. 7.9.2004 - VI ZR 119/04 -, a.a.O.). Dabei können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, eine ihm ohne Weiteres zugängliche, günstigere Verwertungsmöglichkeit wahrzunehmen und durch eine entsprechende Verwertung seines Fahrzeuges in Höhe des tatsächlich erzielten Erlöses den ihm entstandenen Schaden auszugleichen (vgl. BGH v. 30.11.1999 - VI ZR 219/98, BGHZ 143, 189, 194 = MDR 2000, 330). Doch müssen derartige Ausnahmen, deren Voraussetzungen zur Beweislast des Schädigers stehen, in engen Grenzen gehalten werden, weil andernfalls die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, wonach es Sache des Geschädigten ist, in welcher Weise er mit dem beschädigten Fahrzeug verfährt. Insbesondere dürfen dem Geschädigten bei der Schadensbehebung nicht die vom Haftpflichtversicherer des Schädigers gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden.
[10] b) Nimmt der Geschädigte im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens tatsächlich keine Ersatzbeschaffung vor, sondern nutzt er sein unfallbeschädigtes Fahrzeug - ggf. nach einer Teilreparatur - weiter, ist nach dem Urteil des erkennenden Senats v. 6.3.2007 - VI ZR 120/06 - (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens (Reparaturkosten höher als 130 % des Wiederbeschaffungswerts) bei der Berechnung des fiktiven Wiederbeschaffungsaufwandes in der Regel nur der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen. Dies gilt erst recht, wenn sich - wie im Streitfall - die geschätzten Reparaturkosten in einem Bereich bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges bewegen und der Geschädigte nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04, VersR 2005, 663, 665) vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach einer vollständigen und fachgerechten Reparatur im Rahmen einer konkreten Schadensabrechnung sogar die entsprechenden Kosten verlangen könnte. Lässt der Geschädigte in einem solchen Fall sein Fahrzeug nur teilreparieren, so kann er im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung zwar nur den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt verlangen. Er kann dabei aber nicht auf ein höheres Restwertangebot verwiesen werden, das er wegen der tatsächlichen Weiternutzung des Fahrzeuges nicht realisieren kann. Da nach dem gesetzlichen Leitbild des Schadensersatzes der Geschädigte mit der Ersetzungsbefugnis Herr des Restitutionsgeschehens ist und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verfährt, kann ihn der Haftpflichtversicherer des Schädigers auch nicht durch die Übermittlung eines höheren Restwertangebotes aus einer Internet-Restwertbörse, das möglicherweise nur in einem engen Zeitraum zu erzielen ist, zu einem sofortigen Verkauf des Fahrzeuges zwingen (vgl. Senat, Urt. v. 6.3.2007 - VI ZR 120/06 - Umdr. S. 7, Rz. 10).
III.
[11] Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1784658 |
NJW 2007, 2918 |
BGHR 2007, 1018 |
EBE/BGH 2007 |
ZAP 2007, 1019 |
MDR 2007, 1368 |
NZV 2007, 565 |
VRS 2007, 171 |
VersR 2007, 1243 |
ZfS 2007, 631 |
KfZ-SV 2007, 32 |
NJW-Spezial 2007, 402 |
VRA 2007, 174 |
VRR 2007, 424 |
ZGS 2007, 365 |
r+s 2007, 434 |
ACE-VERKEHRSJURIST 2007, 5 |
DS 2007, 346 |