Leitsatz (amtlich)
Im Fall einer fiktiven Schadensabrechnung des Geschädigten kann der Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder freien Fachwerkstatt noch im Rechtsstreit erfolgen, soweit dem nicht prozessuale Gründe, wie die Verspätungsvorschriften, entgegenstehen.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 31.05.2012; Aktenzeichen 6 S 323/11) |
AG Bremerhaven (Entscheidung vom 11.10.2011; Aktenzeichen 52 C 922/11) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bremen vom 31.5.2012 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger macht nach einem Verkehrsunfall den ihm entstandenen Fahrzeugschaden geltend. Der beklagte Versicherer ist unstreitig eintrittspflichtig. Der Kläger hat eine Reparatur in Eigenregie durchgeführt. Er hat den Schaden gegenüber der Beklagten fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abgerechnet. Die Beklagte hat den Schadensbetrag aufgrund eines eigenen Prüfgutachtens um 1.197,22 EUR gekürzt (davon entfallen 107,40 EUR auf fiktive Verbringungskosten). Vorprozessual hat sie den Kläger auf günstigere Stundenverrechnungssätze von Referenzwerkstätten verwiesen, ohne diese konkret zu benennen. In erster Instanz hat sie sodann konkrete Werkstätten benannt, die unstreitig zu den von der Beklagten angesetzten Kosten repariert hätten.
Rz. 2
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger noch im vorliegenden Rechtsstreit auf die preisgünstigeren Referenzwerkstätten verwiesen werden konnte, ferner über die Ersatzfähigkeit der geltend gemachten fiktiven Verbringungskosten.
Rz. 3
Das AG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Verweisung des Schädigers bzw. seines Haftpflichtversicherers auf kostengünstigere Referenzwerkstätten im Fall der fiktiven Schadensabrechnung noch im Rechtsstreit möglich. Eine Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten sei weder im Allgemeinen ersichtlich noch im vorliegenden Fall vorgetragen. Der Kläger trage bereits nicht vor, dass er sich bei einem Hinweis der Beklagten zu einem vor Durchführung der Reparatur gelegenen Zeitpunkt zu einem abweichenden Vorgehen bei der Schadensbehebung entschieden hätte.
Rz. 5
Der Anspruch auf fiktive Verbringungskosten bestehe bereits deshalb nicht, weil der Kläger dazu weder in erster Instanz noch im Berufungsverfahren substantiiert vorgetragen habe.
II.
Rz. 6
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
Rz. 7
1. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Schädiger den Geschädigten, der fiktiv abrechnet, noch im Rechtsstreit auf günstigere Reparaturmöglichkeiten in einer Referenzwerkstatt verweisen kann, ist nicht zu beanstanden.
Rz. 8
a) Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, Urt. v. 29.4.2003 - VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 4 - Porsche-Urteil; v. 20.10.2009 - VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rz. 7 f. - VW-Urteil; v. 22.6.2010 - VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rz. 6 - Audi-Quattro-Urteil; v. 22.6.2010 - VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rz. 6 - Mercedes-A 170-Urteil). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besteht grundsätzlich ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 23.3.1976 - VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241; v. 29.4.2003 - VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 3). Allerdings ist unter Umständen ein Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder "freien" Fachwerkstatt möglich, wenn der Schädiger darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (BGH, Urt. v. 20.10.2009 - VI ZR 53/09, a.a.O., Rz. 12 ff. - VW-Urteil; v. 23.2.2010 - VI ZR 91/09, VersR 2010, 923 Rz. 9, 11 - BMW-Urteil; v. 22.6.2010 - VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rz. 7 - Audi-Quattro-Urteil; v. 22.6.2010 - VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rz. 7 - Mercedes-A 170-Urteil; v. 13.7.2010 - VI ZR 259/09, VersR 2010, 1380 Rz. 7 - Mercedes-A 140-Urteil).
Rz. 9
b) Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem der Verweis spätestens erfolgen muss, bestehen unterschiedliche Auffassungen. Vertreten wird etwa, der Kfz-Haftpflichtversicherer könne den Unfallgeschädigten bei fiktiver Abrechnung des Unfallschadens an einem fünf Jahre alten Fahrzeug auch noch zu einem späteren Zeitpunkt, der mehrere Wochen nach dem Unfall liege, und zu dem das Fahrzeug bereits repariert worden sei, auf eine von ihm konkret benannte und dem Geschädigten zumutbare und zugängliche, technisch gleichwertige, aber kostengünstigere Reparaturmöglichkeit verweisen, es sei denn, der Geschädigte habe das Fahrzeug in einer markengebundenen Fachwerkstatt reparieren lassen (z.B. OLG Braunschweig, Urt. v. 27.7.2010 - 7 U 51/08, juris Rz. 18). Zum Teil wird es für ausreichend gehalten, dass im Fall der fiktiven Schadensberechnung der Schädiger auch noch erstmals im Prozess auf eine günstigere Werkstatt verweist (LG Frankfurt, Urteil vom 19.1.2011 - 2-16 S 121/10, juris; LG Stuttgart, Urt. v. 19.7.2010 - 4 S 48/10, juris Rz. 14; AG Flensburg, Urt. v. 8.1.2013 - 62 C 131/12, juris Rz. 8 ff.; AG Nordhorn, Urt. v. 19.6.2012 - 3 C 1596/11, juris Rz. 28 ff.). Die Möglichkeit, erst im Prozess auf freie Werkstätten zu verweisen, wird von anderen abgelehnt, wobei u.a. darauf abgestellt wird, der Verweis müsse in dem Zeitpunkt bekannt sein, in dem der Geschädigte gewöhnlich seine Dispositionsentscheidung treffe, also zeitnah nach dem Unfall (vgl. LG Kiel, Urt. v. 25.11.2011 - 1 S 37/11, juris Rz. 23 ff.; LG Frankenthal, Urt. v. 7.3.2012 - 2 S 180/11, juris Rz. 7 ff.; AG Hechingen, Urteil vom 28.6.2012 - 2 C 416/11, juris Rz. 16 ff.; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.6.2008 - I-1 U 246/07, DAR 2008, 523, 525; Nugel, jurisPR-VerkR 18/2008 Anm. 1).
Rz. 10
c) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist der Verweis noch im Rechtsstreit möglich, soweit dem nicht prozessuale Gründe, wie die Verspätungsvorschriften, entgegenstehen.
Rz. 11
Für den Geschädigten, der fiktiv abrechnet, ist es im Prinzip unerheblich, ob und wann der Versicherer auf die alternative Reparaturmöglichkeit verweist. Dem steht nicht entgegen, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen. Entscheidend ist, dass in solchen Fällen der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln ist. Der Geschädigte disponiert dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf dieser objektiven Grundlage zufrieden gibt. Hinweise der Schädigerseite auf Referenzwerkstätten dienen hier nur dazu, der in dem vom Geschädigten vorgelegten Sachverständigengutachten vorgenommenen Abrechnung entgegenzutreten.
Rz. 12
2. Die Revision greift das Berufungsurteil hinsichtlich der fiktiven Verbringungskosten nur mit grundsätzlichen Erwägungen an. Damit kann sie keinen Erfolg haben.
Rz. 13
Sie stellt das Berufungsurteil nicht in Frage, soweit dort ausgeführt ist, der Kläger habe zu den Verbringungskosten in den Tatsacheninstanzen nicht ansatzweise substantiiert vorgetragen. Ohne Erfolg macht sie geltend, der Kläger habe auf die fehlende Substantiierung seines Vortrags gem. § 139 ZPO hingewiesen werden müssen. Die Beklagte hatte bereits in der Klageerwiderung zu den Verbringungskosten vorgetragen. Im Hinblick darauf und auf die aufgrund zahlreicher Fundstellen ersichtliche Rechtslage (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.6.2008 - 1 U 246/07, DAR 2008, 523, 526; Urt. v. 6.3.2012 - 1 U 108/11, Schaden-Praxis 2012, 324, 325; LG Kiel, Urt. v. 15.2.2010 - 1 S 107/09, DAR 2010, 270; LG Dortmund, Urt. v. 28.11.2008 - 17 S 68/08, ZfS 2009, 265, 266; AG Ansbach, Urt. v. 15.6.2009 - 2 C 1085/08, Schaden-Praxis 2010, 190; AG Nürnberg, Urt. v. 24.7.2009 - 35 C 785/09, Schaden-Praxis 2010, 190; MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 249 Rz. 372; Eggert, Verkehrsrecht aktuell 2007, 141, 144) waren die Vorinstanzen zu einem Hinweis nicht verpflichtet.
Fundstellen
Haufe-Index 4243006 |
BB 2013, 1473 |
NJW 2013, 2817 |
EBE/BGH 2013, 213 |
JR 2015, 79 |
ZAP 2013, 655 |
DAR 2013, 460 |
DAR 2014, 308 |
JZ 2013, 443 |
MDR 2013, 775 |
NZV 2013, 4 |
NZV 2013, 433 |
VRS 2013, 1 |
VersR 2013, 876 |
ZfS 2013, 446 |
NJW-Spezial 2013, 425 |
RdW 2013, 498 |
SVR 2013, 266 |
SVR 2013, 4 |
VRA 2013, 110 |
VRR 2013, 242 |
VRR 2013, 380 |
r+s 2013, 358 |