Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründung. Darlegung aller selbstständigen rechtlichen Begründungen für Klagabweisung. Hinweise des Gerichts ohne Klagebegründungscharakter
Leitsatz (amtlich)
Ein in den Entscheidungsgründen gegebener "Hinweis", dem sich nicht ohne weiteres entnehmen lässt, weshalb die Klage (zum Teil) ebenfalls unbegründet sein könnte, stellt i. d. R. keine die Klageabweisung tragende Erwägung dar, die mit der Berufungsbegründung selbständig angegriffen werden muss.
Normenkette
ZPO a.F. § 519 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 13.06.2001) |
LG Stuttgart |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Stuttgart v. 13.6.2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt als Transportversicherer aus übergegangenem und abgetretenem Recht der in Irland ansässigen Firma K. Ireland (im folgenden: Versicherungsnehmerin) die ebenfalls in Irland ansässige Beklagte auf Schadensersatz wegen des Verlusts von Transportgut in Anspruch.
Die Versicherungsnehmerin gab im Juni bzw.7.1996 zwei Sendungen zum Transport von Irland zur D. AG in S. auf, die teilweise verloren gingen.
Die Klägerin hat behauptet, die Versicherungsnehmerin habe die Beklagte mit der Beförderung beauftragt. Sie habe die Versicherungsnehmerin in Höhe des mit der Klage geltend gemachten Betrags entschädigt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Beklagte hafte als CMR-Frachtführer.
Ihre auf Zahlung von 35.396,68 DM nebst Zinsen gerichtete Klage hat das LG abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das angerufene Gericht sei nur dann international und örtlich zuständig, wenn zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten ein der CMR unterliegendes Vertragsverhältnis bestanden habe. Es könne jedoch dahinstehen, ob dies der Fall gewesen sei. Denn die geltend gemachten Ersatzansprüche seien jedenfalls nach Art. 32 Abs. 1 S. 1 CMR verjährt. Die Klageerhebung habe die Verjährung nicht unterbrochen, weil die Verjährungsfrist bezüglich der Ansprüche wegen der ersten Sendung bereits abgelaufen und die Klägerin hinsichtlich der zweiten Sendung zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht Forderungsinhaberin gewesen sei. Das LG hat "im Übrigen" darauf "hingewiesen", die Klägerin habe durch Vorlage des Versicherungsvertrags nicht dargelegt, dass sie für den Schadenszeitpunkt 1996 alleiniger Versicherer gewesen sei; denn der Alleinversicherervermerk trage das Datum 15.1.1997.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt die Klägerin die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat die Berufung mit der Begründung als unzulässig verworfen, sie sei nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden. Nach dem Inhalt des landgerichtlichen Urteils werde die Klageabweisung durch zwei selbständige rechtliche Gesichtspunkte getragen, nämlich zum einen durch die vom LG angenommene Verjährung, zum anderen durch die fehlende Darlegung, dass die Klägerin zum Schadenszeitpunkt alleiniger Versicherer gewesen, also aktivlegitimiert sei. In einem solchen Fall müsse die Berufungsbegründung darlegen, weshalb weder der eine noch der andere rechtliche Gesichtspunkt die Klageabweisung trage. Daran fehle es hier, weil sich die Berufungsbegründung ausschließlich mit der vom LG angenommenen Verjährung befasse.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung auf die gem. § 547 ZPO a. F. i. V. m. § 26 Nr. 7 EGZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision nicht stand. Die Berufungsbegründung der Klägerin genügt den Erfordernissen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a. F.
1. Nach dieser Vorschrift muss die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungsführer die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen. Sie hat daher für jede der mehreren Erwägungen darzulegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH v. 25.11.1999 - III ZB 50/99, BGHZ 143, 169 [171] = MDR 2000, 291; Urt. v. 13.11.2001 - VI ZR 414/00, MDR 2002, 535 = BGHReport 2002, 167 = NJW 2002, 682 [683], m. w. N.).
2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Klägerin. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat das LG die Abweisung der Klage nicht auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt.
a) Dem Berufungsgericht kann nicht darin gefolgt werden, dass das LG die Klageabweisung nicht nur auf Verjährung, sondern zusätzlich darauf gestützt hat, die Klägerin habe nicht dargelegt, zum Schadenszeitpunkt alleiniger Versicherer gewesen zu sein, ihr fehle die Aktivlegitimation.
Das LG hat die Abweisung der Klage nicht ausdrücklich auf diese angeblich unzureichende Darlegung gestützt. Es hat, nachdem es sich ausführlich mit der Frage der internationalen Zuständigkeit und der Verjährung gemäß Art. 32 CMR befasst hat, nur auf die fehlende Darlegung hingewiesen ("Darauf hingewiesen sei im Übrigen"). Sein Hinweis bezieht sich zudem nur auf die mangelnde Darlegung, dass die Klägerin für den Schadenszeitpunkt 1996 alleiniger Versicherer gewesen sei, weil der Alleinversicherervermerk das Datum 15.1.1997 trage. Von einem Fehlen der Aktivlegitimation ist dagegen in dem landgerichtlichen Urteil nicht die Rede. Auch dem Zusammenhang der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe lässt sich nicht entnehmen, dass die Abweisung der Klage mit der fehlenden Aktivlegitimation begründet werden sollte.
Sollten neben dem mit der Klägerin begründeten Versicherungsverhältnis noch Neben- oder Mitversicherungen durch andere Versicherer bestanden haben, so hätte dies allenfalls zur Folge, dass der Forderungsübergang gem. § 67 VVG auf den auf die Klägerin nach ihrer Beteiligungsquote entfallenden Teil beschränkt wäre (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 67 Rz. 26). Dass überhaupt kein Versicherungsverhältnis mit der Klägerin bestand, auf Grund dessen diese Schadensersatzleistungen an ihre Versicherungsnehmerin mit der Folge des § 67 VVG erbracht hat, ist vom LG nicht angenommen worden. Es hat lediglich darauf abgestellt, dass die Zahlungen der Klägerin und damit der Forderungsübergang nach § 67 VVG erst nach dem Ablauf der seiner Ansicht nach einjährigen Verjährungsfrist gem. Art. 32 Abs. 1 S. 1 CMR erfolgt seien.
b) Selbst wenn der genannte Hinweis des LG als eine selbständige Begründung für die Klageabweisung wegen fehlender Aktivlegitimation verstanden werden sollte, genügt die Berufungsbegründung der Klägerin den gesetzlichen Anforderungen. Ihre Rügen zur Verjährung greifen auf die fehlende Aktivlegitimation durch.
Die Folgerung des LG, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, weil sie zum Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht alleiniger Versicherer gewesen sei, ist verknüpft mit seinen Erwägungen zur Verjährung. Die einjährige Verjährungsfrist, so führt das LG aus, habe durch die Klageerhebung (29.7.1997) nicht unterbrochen werden können, weil sie bezüglich des Schadensfalles aus dem Transport v. 13.6.1996 bereits abgelaufen gewesen sei. Bezüglich des Schadensfalles aus dem Transport v. 27.7.1996 habe nicht die Berechtigte Klage erhoben; es sei davon auszugehen, dass die Klägerin erst zu einem späteren Zeitpunkt (Schreiben v. 28.8.1997) und nach Ablauf der einjährigen Verjährungsfrist (hier wegen Hemmung erst am 4.8.1997) Forderungsinhaberin auf Grund Zahlung gem. § 67 VVG und durch Abtretung geworden sei. Die Erwägungen des LG stehen und fallen mit seiner Annahme, es gelte die einjährige Verjährungsfrist. Sie haben keine Bedeutung, wenn die von der Klägerin behauptete dreijährige Verjährungsfrist gilt. Mit den Angriffen der Berufung gegen die Anwendung der einjährigen Verjährungsfrist ist folglich auch die (unterstellt selbständige) Erwägung des LG zur fehlenden Aktivlegitimation vom Gericht i. S. d. § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a. F. gerügt worden.
III. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a. F.). Die Sache ist zur Verhandlung und Entscheidung über die mit der Berufung der Klägerin erhobenen Rügen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 S. 1 ZPO a. F.).
Fundstellen
Haufe-Index 1121176 |
BGHR 2004, 691 |
EBE/BGH 2004, 3 |
NJW-RR 2004, 1002 |
MDR 2004, 768 |
TranspR 2004, 168 |