Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungszulassung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
Beteiligte
Rechtsanwälte Prof. Dr. Konrad Redeker und Koll. |
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Zwischenurteil vom 11.08.1999; Aktenzeichen 3 L 5258/97) |
Tenor
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. August 1999 – 3 L 5258/97 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Berufungszulassung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem es um die polizeirechtliche Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin für so genannte Rüstungsaltlasten geht.
1. a) Ein großer Teil der Rüstungsproduktion des Deutschen Reiches erfolgte nach 1936 in einem so genannten Rüstungs-Viereck. Danach erstellte unter anderem die Dynamit AG nach einem Mantelvertrag mit dem Deutschen Reich Munitions- und Sprengstofffabriken im Auftrage und auf Kosten des Deutschen Reiches. Nach Fertigstellung wurden die Anlagen an die Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie mbH (im Folgenden: Montan-GmbH) veräußert, wobei der Kaufpreis durch das Deutsche Reich erstattet wurde. Anschließend wurden die Produktionsstätten ebenfalls nach einem Mantelvertrag an die jeweiligen Betreiberfirmen verpachtet. Sämtliche Anteile an der Montan-GmbH wurden seit 1934 vom Deutschen Reich gehalten. Die Montan-GmbH war auf Grund von Verträgen mit dem Deutschen Reich aus dem Jahre 1936 und 1941 Treunehmerin des Reiches. Ihr Unternehmenszweck bestand in der Vermögensverwaltung und geschäftlichen Kontrolle der privaten Rüstungsbetriebe im Deutschen Reich. Im Jahre 1949 ging die Montan-GmbH gemäß Art. 134 Abs. 1 GG in das Vermögen der Bundesrepublik Deutschland über. Sie erhielt im Oktober 1951 den Namen „Industrieverwaltungsgesellschaft mbH”, die 1987 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um diese Aktiengesellschaft. Sie befand sich bis Ende 1993 in Bundesbesitz, ist danach aber privatisiert worden.
b) In Herzberg am Harz betrieb die Gesellschaft mit beschränkter Haftung zur Verwertung chemischer Erzeugnisse (im Folgenden: Verwertchemie-GmbH) zwischen 1940 und 1945 eine von der Montan-GmbH gepachtete Fabrik zur Abfüllung von Sprengstoffen. Für die Verwertchemie-GmbH, die eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Dynamit AG war, wurde Anfang 1946 das Liquidationsverfahren eingeleitet. Das Vergleichsverfahren über diese Gesellschaft wurde im September 1952 beendet.
Der Landkreis Osterode am Harz, der spätere Beklagte des Ausgangsverfahrens, nahm die Beschwerdeführerin im Jahre 1992 nach umfangreichen Untersuchungen als Handlungsstörerin wegen der Bodenverunreinigungen im Bereich der ehemaligen Munitionsfabrik in Anspruch.
c) Die beim Verwaltungsgericht Göttingen nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage der Beschwerdeführerin wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen als unbegründet ab. Die Existenz und der Betrieb der Munitionsfabrik Herzberg seien jedenfalls mitursächlich dafür gewesen, dass Sprengstoffe und deren Abbauprodukte in den Boden und das Grundwasser hätten eindringen können. Die Haftung der Beschwerdeführerin als Handlungsstörerin folge aus ihrer Garantenstellung gegenüber der Allgemeinheit im Hinblick auf die von der Munitionsfabrik Herzberg ausgehenden Gefahren für die Bevölkerung. Die Montan-GmbH habe der Verwertchemie-GmbH die Munitionsfabrik zum Zweck der Nutzung als Bomben- und Minenabfüllstätte verpachtet. Die grundwasserschädlichen Ablagerungen seien mit Wissen der Montan-GmbH und ihrer Duldung in den benachbarten Mühlengraben gelangt. Hinzu komme, dass die Montan-GmbH Inhaberin der gewerberechtlichen Konzession nach § 16 der damals geltenden Gewerbeordnung gewesen sei oder jedenfalls gewesen sein sollte und außerdem die vertraglichen Verflechtungen zwischen der Montan-GmbH und der Verwertchemie-GmbH faktisch konzernrechtlicher Natur gewesen seien. Nach Darstellung der vertraglichen Verflechtungen innerhalb des so genannten Rüstungs-Vierecks kam das Verwaltungsgericht dann zu dem Ergebnis, dass die Verwertchemie-GmbH als Betreiberfirma der Munitionsfabrik wenn auch nicht gesellschaftsrechtlich, so doch vertraglich vollständig in die Rüstungsproduktion des Deutschen Reiches in jener Zeit eingegliedert gewesen sei. In Ermangelung jeglicher eigenständiger Entscheidungsbefugnis von Belang sei die Verwertchemie-GmbH vollständig von der Montan-GmbH abhängig gewesen. Hiermit korrespondiere die Garantenstellung der Montan-GmbH im Hinblick auf die produktionsbedingten, wassergefährdenden Ablagerungen, sodass die Montan-GmbH als Handlungsstörer neben die nicht mehr existente Verwertchemie-GmbH getreten sei. Dem lasse sich auch nicht entgegenhalten, dass die Montan-GmbH ihrerseits von den Entscheidungen des Deutschen Reiches abhängig gewesen sei und über keine eigenen Entscheidungskompetenzen verfügt habe. Die Montan-GmbH habe nämlich auf Grund ihrer Rechtsform ebenso wie die Verwertchemie-GmbH rechtliche Selbständigkeit besessen.
Die angefochtene Ordnungsverfügung – so das Verwaltungsgericht – sei auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil es der Beklagte unterlassen hätte, den Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches (gemeint ist damit die mit dem Deutschen Reich rechtsidentische Bundesrepublik Deutschland) in seine Überlegungen zur Störerauswahl mit einzubeziehen. Das Deutsche Reich komme als Handlungsstörer nicht in Betracht. Da schon die Verwertchemie-GmbH nicht als Verrichtungsgehilfe der Montan-GmbH angesehen werden könne, könne sich die Störereigenschaft des Deutschen Reiches nicht daraus ergeben, dass möglicherweise die Montan-GmbH Verrichtungsgehilfe des Deutschen Reiches gewesen sei. Trotz der weit gehenden Abhängigkeit der Montan-GmbH von ihrem alleinigen Gesellschafter, dem Deutschen Reich, sei ein Durchgriff auf den Gesellschafter der Montan-GmbH gesellschafts- und damit auch polizeirechtlich nicht zulässig.
d) Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil machte die Beschwerdeführerin mehrere Zulassungsgründe geltend. So bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da dieses an inneren Widersprüchen kranke. Den Rückgriff auf das Deutsche Reich als Verantwortlichen lasse das Verwaltungsgericht nicht zu, da gesellschaftsrechtliche Grundsätze nicht durchbrochen werden dürften; zugleich durchbreche das Verwaltungsgericht aber selbst eben diese Grundsätze, wenn es die Montan-GmbH als Handlungsstörer ansehe, obwohl die Verwertchemie-GmbH gehandelt habe. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin könne die notwendige Gesamtschau nur zu dem Ergebnis führen, das Deutsche Reich auf Grund seiner umfassenden Entscheidungsbefugnis als Handlungsstörer anzusehen. Die Rechtssache weise – so die Beschwerdeführerin in ihrem Berufungszulassungsantrag – auch besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Es gelte, die tatsächlichen Verhältnisse der Rüstungsproduktion unter den besonderen Bedingungen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu ermitteln und die vertraglichen Bindungen zwischen dem Deutschen Reich, der Dynamit AG, der Verwertchemie-GmbH und der Montan-GmbH zu verstehen. Dies sei besonders schwierig, weil, wie auch das Verwaltungsgericht erkannt habe, die vertraglichen Regelungen die wirklichen Entscheidungsbefugnisse verschleiern sollten, die ausschließlich beim Deutschen Reich gelegen hätten. Die Beschwerdeführerin machte in ihrem Berufungszulassungsantrag zudem geltend, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Hierzu führte die Beschwerdeführerin aus, dass sich die Problematik der polizeirechtlichen Haftung für Rüstungs(alt)lasten nicht nur im vorliegenden Fall stelle, sondern auch in einer Reihe ähnlicher Fallgestaltungen und Verfahren.
e) Mit Beschluss vom 11. August 1999 lehnte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Die Berufung sei nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen. So möge es zwar schwierig sein, die tatsächlichen Verhältnisse der Rüstungsproduktion unter den besonderen Bedingungen der Zeit zwischen den Jahren 1933 und 1945 zu ermitteln; die Beschwerdeführerin habe es aber verabsäumt, darzutun, welche besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art damit verbunden sein könnten, soweit diese Umstände für die Entscheidung des vorliegenden Falles erheblich seien. Die Beschwerdeführerin könne außerdem eine Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht verlangen. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordere die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Entscheidung über die Berufung erheblich sein werde, und die Angabe, warum die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage bestehen soll. Eine derartige konkrete Rechtsfrage sei von der Beschwerdeführerin in der Begründung ihres Zulassungsantrags nicht formuliert worden. Auch ein anderer Berufungszulassungsgrund sei von der Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt worden.
2. Mit ihrer fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1, 103 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG.
Entweder habe das Oberverwaltungsgericht – so die Beschwerdeführerin – den Vortrag zur Begründung des Zulassungsantrags weit gehend nicht zur Kenntnis genommen, was ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs darstelle, oder aber es habe die Voraussetzungen einer Zulassung der Berufung in einem solchen Maße verkannt, dass der Beschluss nicht mehr nur als Interpretation des Gesetzes angesehen werden könne. Dann habe das Oberverwaltungsgericht vielmehr ein eigenes Zulassungsrecht entwickelt und damit eine objektiv willkürliche Entscheidung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG getroffen. Die Auslegung und Anwendung der Zulassungsvorschriften durch das Oberverwaltungsgericht erschwere im Übrigen den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer, nicht mehr zu rechtfertigender Weise und verstoße daher gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Das Oberverwaltungsgericht habe den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO verneint, obwohl es selbst die Schwierigkeiten der Feststellung und Beurteilung der Verhältnisse bis 1945 bejaht habe. Wenn das Oberverwaltungsgericht meine, damit seien besondere Schwierigkeiten nicht dargetan, soweit sie für die Entscheidung des Falles erheblich seien, verlange es, da die Besonderheit für jedermann sichtbar sei, den Vortrag von Überflüssigkeiten und Selbstverständlichkeiten. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts habe die Beschwerdeführerin in ihrem Zulassungsantrag auch die Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukomme, und deren allgemeine Bedeutung klar formuliert. Auch die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu den Berufungszulassungsgründen im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO seien unzutreffend.
3. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, dem Niedersächsischen Justizministerium sowie dem Gegner des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seiner vom Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts übermittelten Stellungnahme dargelegt, dass der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts in Ansehung der Begründung des erstinstanzlichen Urteils sowie der Begründungsschrift der Beschwerdeführerin im Berufungszulassungsverfahren „Erstaunen” hervorrufe, jedenfalls was den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO anlange. Dabei stehe im Vordergrund, dass die vom Verwaltungsgericht entscheidungstragend herangezogenen Vorschriften des Landesrechts in Bezug auf ihre Anwendung und Auslegung in Fällen, die durch die Entstehung von rüstungsbedingten Altlasten in den Jahren vor 1945 geprägt werden, soweit ersichtlich noch keiner Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht des Landes unterzogen worden seien. Auch der angegriffene Beschluss benenne keine entsprechenden Erkenntnisse. Zweifel erwecke in diesem Zusammenhang vor allem die insoweit tragende Begründung des angegriffenen Beschlusses, wonach die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dargetan habe, welche besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art die Sache aufweise. Es seien vielmehr entscheidungserhebliche tatsächliche und rechtliche Fragestellungen aufgeworfen, die einen hohen Schwierigkeitsgrad aufwiesen. Nach alledem sei schwer zu erkennen, welche ergänzenden Darlegungen der Beschwerde angezeigt gewesen sein könnten, um den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO besser zu genügen. Mithin hätte aus einfachrechtlicher Sicht eine Berufungszulassung zumindest nahe gelegen. Entsprechendes gelte mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht.
Das Niedersächsische Justizministerium und der Gegner des Ausgangsverfahrens haben von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes angezeigt erscheint (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 74, 228 ≪234≫; 77, 275 ≪284≫; 78, 88 ≪99≫; 88, 118 ≪124≫; 96, 27 ≪39≫).
2. a) Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Zwar gewährleisten weder Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG noch andere Verfassungsbestimmungen einen Instanzenzug. Sehen aber prozessrechtliche Vorschriften Rechtsbehelfe vor, so verbietet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtsweges in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫; 78, 88 ≪99≫). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht – wie hier die §§ 124, 124 a VwGO – den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NdsVBl 2000, S. 244). Deshalb dürfen insbesondere die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden könnten (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, BayVBl 1995, S. 178; 2. Kammer des Ersten Senats, NdsVBl 2000, S. 244). Danach können die Gerichte zwar bei der Auslegung und Anwendung der §§ 124, 124 a VwGO von den Verfahrensbeteiligten ein Mindestmaß an Substantiierung verlangen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, BayVBl 1995, S. 178 ≪179≫; 2. Kammer des Ersten Senats, NdsVBl 2000, S. 244 ≪245≫). Jedoch dürfen die Anforderungen an die Substantiierung auch im Hinblick auf die Monatsfrist des § 124 a Abs. 1 VwGO nicht derart überspannt werden, dass die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, ineffektiv wird und für den Beschwerdeführer „leer läuft” (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NdsVBl 2000, S. 244 ≪245≫).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist das Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden. Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin die besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht hinreichend dargelegt hätte, hat das Gericht die Darlegungsanforderungen ersichtlich überspannt.
Die Beschwerdeführerin hatte in ihrer Berufungszulassungsschrift im Hinblick auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vorgetragen, dass die Feststellung der Verantwortlichkeiten für die durch die Rüstungsproduktion vor 1945 verursachten Bodenverunreinigungen es erfordere, die tatsächlichen Verhältnisse dieser Rüstungsproduktion unter den besonderen Bedingungen dieser Zeit zu ermitteln und die vertraglichen Bindungen zwischen dem Deutschen Reich, der Dynamit AG, der Verwertchemie-GmbH und der Montan-GmbH zu verstehen. Diese Verhältnisse seien vor dem Hintergrund des totalen Krieges, wie er den damaligen Entscheidungen des Deutschen Reiches zugrunde gelegen habe, zu sehen. Das sei schon an sich nach mehr als 50 Jahren schwierig. Es sei besonders schwierig, weil, wie auch das Verwaltungsgericht eingeräumt habe, die vertraglichen Regelungen die wirklichen Entscheidungsbefugnisse verschleiern sollten, die ausschließlich beim Deutschen Reich gelegen hätten. Unter Verkennung dieser besonderen Problematik habe das Verwaltungsgericht die Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin auf Grund einer Garantenstellung gegenüber der Allgemeinheit bejaht.
Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nicht für ausreichend gehalten, weil die Beschwerdeführerin nicht dargetan habe, dass die aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Ermittlung der tatsächlichen Umstände der Rüstungsproduktion vor 1945 und deren rechtliche Einordnung für die Entscheidung des vorliegenden Falles erheblich seien.
Tatsächlich hatte aber das Verwaltungsgericht die Annahme einer Garantenstellung der Beschwerdeführerin ausdrücklich auf eine Gesamtbetrachtung der tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen der an dem so genannten Rüstungs-Viereck beteiligten Gesellschaften gestützt. Soweit ersichtlich ist für das Land Niedersachsen die Frage der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen für Altlasten, die auf Handlungen zurückzuführen sind, die vom Deutschen Reich im Interesse der Rüstungsproduktion veranlasst worden waren, noch nicht obergerichtlich geklärt. Vor diesem Hintergrund war die Erheblichkeit der von der Beschwerdeführerin in der Berufungszulassungsschrift in dieser Hinsicht aufgeworfenen Fragen für den zu entscheidenden Rechtsstreit evident. Daher ist nicht nur – wie der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde festgestellt hat – schwer zu erkennen, welche ergänzenden Darlegungen der Beschwerde angezeigt gewesen sein könnten, um den Anforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO besser zu genügen. Weiterer Vortrag war vielmehr schlechthin nicht geboten, um den gesetzlichen Anforderungen an eine ausreichende Substantiierung dieses Berufungszulassungsgrundes zu entsprechen.
Darüber hinaus spricht auch viel dafür, dass das Oberverwaltungsgericht bei Anwendung des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Darlegungserfordernisse zu Lasten der Beschwerdeführerin in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise überspannt hat. Dem muss hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden, da der angegriffene Beschluss bereits wegen des oben festgestellten Verfassungsverstoßes aufzuheben ist. Aus diesem Grund kann auch offen bleiben, ob der angegriffene Beschluss zudem, wie von der Beschwerdeführerin gerügt, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 567600 |
NVwZ 2001, 552 |
JuS 2001, 1021 |
DVBl. 2001, 894 |