Entscheidungsstichwort (Thema)
Zucht und Ausbildung von Kampfhunden
Beteiligte
Rechtsanwalt Florian Gießler |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich im Verfahren 1 BvR 1345/00 der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerden, von denen diejenige des Verfahrens 1 BvR 1345/00 mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, richten sich unmittelbar gegen die Ordnungsbehördliche Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen über das Halten, die Zucht, die Ausbildung und das Abrichten bestimmter Hunde (Landeshundeverordnung – LHV NRW) vom 30. Juni 2000 (GVBl S. 518 b).
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Beschwerdeführer zu I ist Halter eines Hundes der Rasse Fila Brasileiro, die in Anlage 1 Nr. 9 LHV NRW aufgeführt ist. Nach § 4 Abs. 1 LHV NRW ist das Halten des Tieres erlaubnispflichtig. Die Zucht mit einem Hund seiner Rasse ist nach § 4 Abs. 5 LHV NRW verboten. Gemäß § 6 Abs. 1 LHV NRW sind derartige Hunde so zu halten, dass Menschen, Tiere oder Sachen nicht gefährdet werden. Innerhalb befriedeten Besitztums sind sie nach § 6 Abs. 2 LHV NRW so zu halten, dass sie das Besitztum nicht gegen den Willen des Hundehalters verlassen können. § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 LHV NRW ordnet ferner für Hunde der genannten Art einen Leinen- und Maulkorbzwang an, wenn sie sich außerhalb befriedeten Besitztums aufhalten; die zuständige Behörde kann Ausnahmen zulassen, wenn der Halter nachweist, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht zu befürchten ist (§ 6 Abs. 4 Satz 1 LHV NRW). § 7 Abs. 1 und 3 LHV NRW ermächtigt die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen, die Haltung von Hunden der in Rede stehenden Art zu untersagen. Verstöße gegen § 4 Abs. 5 (Zuchtverbot) und § 6 Abs. 3 LHV NRW (Leinen- und Maulkorbzwang) können nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 und 9 LHV NRW als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Der Beschwerdeführer hält die Landeshundeverordnung für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 a GG.
2. Der Beschwerdeführer zu II 1 ist ein gemeinnütziger Verein, der nach seinen Angaben die Zucht unter anderem der in Anlage 2 Nr. 2 und 3 LHV NRW aufgeführten Hunderassen Berger de Brie (Briard) und Berger de Beauce (Beauceron) fördert und betreut. Die Beschwerdeführer zu II 2 bis 7 halten Hunde dieser Rassen. Darüber hinaus ist die Beschwerdeführerin zu II 4 Hundeausbilderin, der Beschwerdeführer zu II 5 züchtet beruflich Beaucerons.
Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG durch § 4 Abs. 1, §§ 6 und 7 in Verbindung mit Anlage 2 Nr. 2 und 3 LHV NRW.
III.
1. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Den Verfassungsbeschwerden kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerden haben keine Aussicht auf Erfolg. Sie sind unzulässig.
a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden steht, soweit diese sich gegen § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 3 und § 7 LHV NRW richten, der Grundsatz der Subsidiarität der verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfe entgegen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet dieser Grundsatz auch bei einer unmittelbar gegen Rechtsnormen gerichteten Verfassungsbeschwerde Anwendung (vgl. BVerfGE 69, 122 ≪125 f.≫; 74, 69 ≪74≫; 90, 128 ≪136 f.≫). Er verpflichtet den jeweiligen Beschwerdeführer, mit seinem Anliegen vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich die dafür allgemein zuständigen Gerichte zu befassen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen trifft. Bei der Rechtsanwendung durch die fachlich zuständigen und insoweit sachnäheren Gerichte können – aufgrund deren besseren Sachverstands – möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zutage gefördert werden, die dem Bundesverfassungsgericht bei unmittelbarer Anrufung verschlossen blieben (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 1999, S. 867).
Die Pflicht zur Beschreitung des Rechtswegs zu den zunächst zuständigen Gerichten besteht allerdings dann ausnahmsweise nicht, wenn die angegriffene Regelung den Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können, oder wenn die Beschreitung dieses Wegs dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten ist. Kann der mit dem Subsidiaritätsgrundsatz insbesondere verfolgte Zweck, eine Klärung der verfassungsrechtlich relevanten Sach- und Rechtsfragen herbeizuführen, im einschlägigen Rechtsweg nicht erreicht werden, ist die vorherige Anrufung der dafür zuständigen Gerichte gleichfalls entbehrlich (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪20≫).
bb) Nach diesen Grundsätzen sind die Beschwerdeführer auf den Rechtsweg zu verweisen, soweit sie § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 3 und § 7 LHV NRW angreifen.
aaa) Nach § 4 Abs. 1 LHV NRW bedarf das Halten von Hunden der Anlagen 1 und 2 LHV NRW der ordnungsbehördlichen Erlaubnis. Den Beschwerdeführern ist es zuzumuten, vor Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts eine solche Erlaubnis zu beantragen und, falls sie ihnen auch im Widerspruchsverfahren nicht erteilt wird, den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu beschreiten, um dort die Verfassungswidrigkeit der Erlaubnispflicht geltend zu machen und so die behauptete Grundrechtsverletzung abzuwenden. Im Verwaltungsstreitverfahren steht ihnen in erster Linie die Möglichkeit der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Bleibt die Behörde untätig, können die Beschwerdeführer nach Maßgabe des § 75 VwGO Untätigkeitsklage erheben. Schließlich kommt nach der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung auch in Betracht, dass die Beschwerdeführer nach § 43 Abs. 1 VwGO auf die Feststellung der Erlaubnisfreiheit ihrer Hundehaltung klagen, wenn sie die Regelung des § 4 Abs. 1 LHV NRW für verfassungswidrig und nichtig halten (vgl. BVerwGE 39, 247 ≪248≫; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 43 Rn. 12). Dieser Weg ist auch in den Bundesländern eröffnet, in denen der Gesetzgeber – wie in Nordrhein-Westfalen – von der Ermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 1995, S. 138; Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2000, § 43 Rn. 25). Kommen die angerufenen Gerichte zu der Überzeugung, § 4 Abs. 1 LHV NRW sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, können sie die Verfassungswidrigkeit der Regelung feststellen und von deren Anwendung absehen (vgl. OVG Lüneburg, NVwZ 1997, S. 816 ≪817 ff.≫; OVG Münster, NVwZ 1997, S. 806 ≪807≫; OVG Magdeburg, NVwZ 1999, S. 321). Denn das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich nur auf nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinne, nicht dagegen auf Rechtsverordnungen (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪326≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 1999, S. 2031).
bbb) Entsprechendes gilt, soweit sich die Beschwerdeführer gegen den Leinen- und Maulkorbzwang in § 6 Abs. 3 LHV NRW wenden. Der Verordnungsgeber hat in § 6 Abs. 4 LHV NRW die zuständige Behörde ermächtigt, für Hunde der Anlagen 1 und 2 LHV NRW Ausnahmen vom Leinen- und Maulkorbzwang zuzulassen. Es ist den Beschwerdeführern zuzumuten, eine solche Ausnahmegenehmigung zu erstreben. Sollte sie ihnen nicht gewährt werden, steht ihnen wiederum der Verwaltungsrechtsweg offen, in dem sie geltend machen können, dass der Leinen- und Maulkorbzwang – trotz der genannten Ausnahmeregelung – gegen das Grundgesetz verstoße.
ccc) Auch hinsichtlich § 7 LHV NRW sind die Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht subsidiär. Nach dieser Vorschrift ist das Halten von Hunden der Anlagen 1 und 2 LHV NRW unter bestimmten Voraussetzungen und nach bestimmten Maßgaben zu untersagen (Absatz 1 und 2) oder es kann untersagt werden (Absatz 3). In beiden Fällen ergeht gegen den Hundehalter eine ordnungsbehördliche Verfügung, gegen die dieser bei den Verwaltungsgerichten mit der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO vorgehen kann. Mit ihr können auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angegriffene Regelung geltend gemacht werden, die von den Verwaltungsgerichten verworfen werden kann, wenn sie diese Bedenken für berechtigt halten.
ddd) Es ist schließlich von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich, dass sie durch die angegriffenen Regelungen zu Dispositionen veranlasst worden sind, die nicht mehr korrigiert werden können.
b) Soweit der Beschwerdeführer zu II 1 sich in seinem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 1 GG verletzt sieht, fehlt es an einer Begründung, die den Substantiierungserfordernissen des § 92 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG gerecht wird. Dazu genügt die bloße Behauptung, dass infolge des Leinen- und Maulkorbzwangs die charakterlichen Rassemerkmale des Briard und des Beauceron verloren gehen und infolgedessen die Vereinstätigkeit des Beschwerdeführers in Frage gestellt wird, nicht.
c) Im Übrigen wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich im Verfahren 1 BvR 1345/00 zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen