Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 18.01.2007; Aktenzeichen 2 A 3010/06) |
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 14.07.2006; Aktenzeichen 2 A 4791/04) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Juli 2006 – 2 A 4791/04 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Januar 2007 – 2 A 3010/06 – gegenstandslos.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Zulassung der Berufung, mit der die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Aufnahmebescheids nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) durchsetzen möchte.
I.
1. Die Beschwerdeführerin klagte im Ausgangsverfahren auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nach dem Bundesvertriebenengesetz.
Das Verwaltungsgericht verneinte einen entsprechenden Anspruch der Beschwerdeführerin aus § 27 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 2 BVFG. Bei der Beschwerdeführerin fehle es an einer „familiären Vermittlung” der deutschen Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG. Diese setze nämlich voraus, dass dem Aufnahmebewerber die deutsche Sprache grundsätzlich von der Geburt an bis zum Erreichen der Selbständigkeit vermittelt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe aber angegeben, Deutsch in der Familie von ihrem Vater nur bis zum vierten Lebensjahr und sodann erst wieder 42 Jahre später in einem dreimonatigen Sprachkurs während des Aufnahmeverfahrens gelernt zu haben.
Das Oberverwaltungsgericht lehnte den auf § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 VwGO gestützten Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung ab. Es könne dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2003 – 5 C 11/03 – (NVwZ 2004, S. 753 f.) abgewichen sei, indem es eine Sprachvermittlung bis zum Erreichen der Selbständigkeit gefordert habe. Denn eine „familiäre Vermittlung” im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG setze jedenfalls auch voraus, dass die in der Familie erworbenen Deutschkenntnisse gerade der Grund für die Fähigkeit seien, im Zeitpunkt der Aussiedlung ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Davon könne im Falle der Beschwerdeführerin nicht ausgegangen werden. Damit erweise sich das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, was in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO auch im Rahmen der Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zu beachten sei.
2. Nachdem die daraufhin erhobene Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen wurde, hat sie gegen die Ablehnung ihres Berufungszulassungsantrags sowie die Zurückweisung der Anhörungsrüge Verfassungsbeschwerde erhoben. Diese Entscheidungen verletzten sie in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit den Prinzipien des Rechtsstaats, Art. 3, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 103 GG.
Das Oberverwaltungsgericht hätte die Berufung aufgrund der Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zulassen müssen. § 144 Abs. 4 VwGO sei im Berufungszulassungsverfahren nicht anwendbar, weil die Beteiligten nach der Zulassung der Berufung – im Gegensatz zur Revision – die Möglichkeit hätten, ihren Vortrag zu erweitern, zu ergänzen oder zu präzisieren. Es habe nicht ausgeschlossen werden können, dass das Verwaltungsgericht bei Beachtung des Grundsatzurteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2003 zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bis zum vierten Lebensjahr für die Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin kausal gewesen sei. Die Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO habe deshalb willkürlich zu einer Vorwegnahme der Berufung geführt. Zumindest hätte das Oberverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin zu seiner abwegigen Rechtsansicht rechtliches Gehör gewähren müssen.
3. Der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesverwaltungsamt ist gemäß § 94 Abs. 2 und 3 BVerfGG Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag dem Bundesverfassungsgericht vor.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt. Der den Antrag auf Zulassung der Berufung ablehnende Beschluss wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. nur BVerfGE 78, 88 ≪98 f.≫; 96, 27 ≪39≫).
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.
a) Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit dem die Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist, verletzt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, der für den Bereich des Verwaltungsprozesses Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als spezielles Grundrecht vorgeht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des
Ersten Senats vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, S. 1163 ≪1164≫).
Der Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids aus § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG, dessen Verletzung durch die öffentliche Gewalt die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren geltend gemacht hat, ist ein Recht im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 113, 273 ≪310≫). Die sich aus dieser Norm im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsschutzes ergebenden Anforderungen an das Berufungszulassungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht nicht hinreichend beachtet.
aa) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Dabei erfordert Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zwar keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; stRspr). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbietet den Gerichten in diesem Fall daher eine Auslegung und Anwendung des Prozessrechts, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfGE 78, 88 ≪99≫; stRspr). Dies gilt auch, soweit das Prozessrecht wie hier in § 124 Abs. 2 VwGO das Rechtsmittel der Berufung von einer Zulassung abhängig macht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, S. 1163 ≪1164≫; BVerfGK 5, 369 ≪373≫). Zwar begegnen derartige Regelungen als solche keinen Bedenken (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, S. 1163 ≪1164≫). Es ist den Gerichten aber verwehrt, durch übermäßig strenge Handhabung solcher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu verkürzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Dezember 2002 – 1 BvR 1710/02 –, juris, Rn. 13). Das Rechtsmittelgericht darf die von der Prozessordnung eröffneten Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Betroffenen „leerlaufen” lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; stRspr).
bb) Nach diesen Maßstäben ist die Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vereinbar.
(1) Zwar wird die Möglichkeit, das durch § 124 Abs. 1 VwGO unter den Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 VwGO eröffnete Rechtsmittel der Berufung in Anspruch zu nehmen, nicht bereits dadurch in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert, dass das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO mit der Begründung abgelehnt hat, dass sich das Urteil des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig erweise. Denn es begegnet grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Entscheidung über die Zulassung der Berufung auf andere rechtliche Erwägungen abstellt als das Verwaltungsgericht und deshalb die Zulassung ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, juris, Rn. 24 für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dies lässt sich nämlich grundsätzlich mit der der Entlastungsfunktion des Zulassungsverfahrens (Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 Rn. 1, 15, 19 ≪Sept. 2004≫) entsprechenden Begründung sachlich rechtfertigen, dass ein Berufungsverfahren aus Gründen der Prozessökonomie nicht um eines Fehlers willen geführt werden solle, der mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis bedeutungslos bleiben werde.
(2) Es widerspricht aber dem Sinn und Zweck des Zulassungsverfahrens und stellt deshalb eine unzumutbare und im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aus Sachgründen nicht zu rechtfertigende Einschränkung des Zugangs zum Berufungsverfahren dar, wenn das Oberverwaltungsgericht bei seiner Zulassungsentscheidung das verwaltungsgerichtliche Urteil mit Erwägungen aufrechterhält, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, juris, Rn. 24).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Grund, mit dem das Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO abgelehnt hat, liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand. Das Verwaltungsgericht hat die Klageabweisung allein darauf gestützt, dass es an einer familiären Vermittlung der deutschen Sprache fehle. Es ist dabei davon ausgegangen, dass die Sprachvermittlung grundsätzlich von Geburt an bis zum Erreichen der Selbständigkeit vermittelt worden sein muss. Dabei knüpft es an die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, nach der die Dauer der Vermittlung der deutschen Sprache sich nach der Dauer des familiären Erziehungseinflusses richtete, damit in der Regel mit der Dauer des Sorgerechts gleichgesetzt werden konnte und deshalb grundsätzlich im Säuglingsalter beginnen und mit der Selbständigkeit enden musste (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2000 – 5 C 44/99 –, juris, Rn. 26; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 8. Oktober 2003 – 2 A 3725/02 –, juris, Rn. 3 f.). Da die Beschwerdeführerin selbst angegeben hatte, nur bis zum vierten Lebensjahr und deshalb nicht bis zum Erreichen der Selbständigkeit von ihrem Vater Deutsch gelernt zu haben, ist das Verwaltungsgericht auf dieser Grundlage folgerichtig zu dem Ergebnis gelangt, dass eine hinreichende familiäre Vermittlung bei der Beschwerdeführerin nicht vorgelegen habe, weil bei einem vierjährigen Gebrauch der deutschen Sprache im Kleinkindalter von einer familiären Vermittlung nicht ausgegangen werden könne.
Demgegenüber braucht nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die familiäre Sprachvermittlung nicht mehr bis zum Erreichen der Selbständigkeit, sondern nur noch so lange angedauert zu haben, bis der Betroffene das Sprachniveau erreicht hat, das ihn im Zeitpunkt der Aussiedlung (nach § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG in der Fassung vom 16. Mai 2007 nunmehr im Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag) befähigt, ein einfaches Gespräch zu führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 11/03 –, NVwZ 2004, S. 753; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2004 – 2 A 3520/03 –, juris, Rn. 7). Da das Verwaltungsgericht diese bereits aus dem Jahr 2003 stammende Rechtsprechung seinem Urteil nicht zugrunde gelegt, sondern stattdessen auf die frühere Rechtsprechung zurückgegriffen hat, musste es auch keine Feststellungen zu der Frage treffen, ob die vierjährige Vermittlung der deutschen Sprache durch den Vater der Beschwerdeführerin ausreichend war, um ein Sprachniveau zu erreichen, das sie im Zeitpunkt der Aussiedlung zu einem einfachen Gespräch in deutscher Sprache befähigte.
Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Beschwerdeführerin habe nur bis zum vierten Lebensjahr Deutsch von ihrem Vater gelernt, lässt aber für sich genommen noch nicht den Schluss zu, ein Sprachniveau, das im maßgeblichen Zeitpunkt zu einem einfachen Gespräch befähigt hätte, sei angesichts dieses begrenzten Vermittlungszeitraums nicht familiär vermittelt worden. Vielmehr wird in Rechtsprechung und Literatur davon ausgegangen, dass eine ausreichende familiäre Vermittlung je nach Sachlage auch dann vorliegen könne, wenn die Vermittlung der deutschen Sprache bereits mit dem Eintritt in den Kindergarten geendet habe (vgl. VGH BW, Urteil vom 5. Februar 2003 – 6 S 2060/02 –, juris, Rn. 36; v. Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Bd. 1, B 2, § 6 BVFG n.F., Anm. 3 d) aa) ≪März 2008≫).
Vor diesem Hintergrund liegt es aber nicht ohne Weiteres auf der Hand, dass die Vermittlung der deutschen Sprache durch den Vater der Beschwerdeführerin zu der nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG erforderlichen familiären Vermittlung der deutschen Sprache nicht ausreicht. Ob dies der Fall ist, bedarf vielmehr einer Klärung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache nicht der alleinige Grund für die Fähigkeit, ein einfaches Gespräch zu führen, sein muss, sondern dass es ausreicht, wenn die familiär vermittelten Kenntnisse das Sprachfundament bilden, auf dem das erforderliche Sprachniveau gründet (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 – 5 C 23/06 –, juris, Rn. 9, 11; OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 12 A 1424/08 –, juris, Rn. 4).
Soweit das Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO mit der Begründung abgelehnt hat, das Urteil erweise sich aus anderen Gründen als richtig, weil die Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse durch den Vater für eine familiäre Vermittlung der deutschen Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG auch auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ausreiche, erforderte dies mithin den Rückgriff auf Erwägungen, deren Heranziehung über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, juris, Rn. 24). Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts schränkt damit den nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für den Fall einer Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eröffneten Zugang zum Berufungsverfahren in einer unzumutbaren und nicht durch Sachgründe gerechtfertigten Weise ein und verletzt dadurch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
cc) Der Verfassungsverstoß ist auch nicht durch das Anhörungsrügeverfahren geheilt worden, weil das Oberverwaltungsgericht an seiner den Rechtsschutz der Beschwerdeführerin unzulässig beschränkenden Auffassung festgehalten hat, eine Zulassung der Berufung komme nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht in Betracht, weil das Urteil des Verwaltungsgerichts ungeachtet einer möglichen Divergenz aus anderen Gründen richtig sei (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, juris, Rn. 28).
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht schließlich auch auf der Grundrechtsverletzung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, juris, Rn. 29), weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Oberverwaltungsgericht die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen hätte, wenn es den Verfassungsverstoß erkannt hätte.
b) Darüber hinaus kann offenbleiben, ob Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot neben Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Anwendung findet und in diesem Fall verletzt ist und ob der Beschluss auch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, juris, Rn. 30).
c) Der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts bezieht sich inhaltlich auf die Nichtzulassungsentscheidung und ist daher mit deren Aufhebung gegenstandslos (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, juris, Rn. 31).
3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde ist nicht nur zulässig und begründet. Durch die Versagung einer Entscheidung zur Sache würde der Beschwerdeführerin auch ein besonders schwerer Nachteil im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe b Halbsatz 2 BVerfGG entstehen, weil ihr dadurch endgültig die Möglichkeit genommen würde, einen Aufnahmebescheid zu erhalten und damit Spätaussiedlerin und Deutsche im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG zu werden.
III.
1. Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG hat das Land Nordrhein-Westfalen der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten (vgl. BVerfGE 101, 275). Dadurch erledigt sich ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪362≫; 104, 220 ≪222≫).
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen
Haufe-Index 2765045 |
NVwZ-RR 2011, 460 |