Entscheidungsstichwort (Thema)
Staatsangehörigkeit. Einbürgerung. doppelte Staatsangehörigkeit. Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Gegenseitigkeit. gerichtliche Sachaufklärung. Unionsbürger
Leitsatz (amtlich)
Gegenseitigkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AuslG besteht, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis eines Mitgliedstaats der Europäischen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatigkeit generell oder in Bezug auf bestimmte Personengruppen hingenommen wird. Eine Gleichwertigkeit der übrigen Voraussetzungen und Folgen der Einbürgerung ist nicht erforderlich.
Normenkette
AuslG § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 87 Abs. 2; VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 139 Abs. 3 S. 4; StAG § 25
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Landesanwaltschaft Bayern gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. April 2003 wird zurückgewiesen.
Die Landesanwaltschaft trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger erstrebt seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Der 1960 geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland, ist seit 1985 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und arbeitet nach einem Studium der Psychologie als Psychotherapeut. Im Juli 2000 beantragte er seine Einbürgerung und gab an, dass er zur Aufgabe der griechischen Staatsangehörigkeit nicht bereit sei. Die Beklagte lehnte den Einbürgerungsantrag mit Bescheid vom 18. Januar 2001 ab. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 85 AuslG bestehe nicht. Von der Voraussetzung, dass der Einbürgerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgebe oder verliere, könne nicht abgesehen werden, weil es an der nach § 87 Abs. 2 AuslG erforderlichen Gegenseitigkeit mit Griechenland fehle. Eine Ermessenseinbürgerung komme ebenfalls nicht in Betracht, weil auch hier der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zu beachten sei. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern. Der Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen eingelegte Berufung der Landesanwaltschaft Bayern zurückgewiesen. Er hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger erfülle alle Einbürgerungsvoraussetzungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG mit Ausnahme der in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG normierten Voraussetzung der Aufgabe oder des Verlusts der bisherigen Staatsangehörigkeit. Von der Erfüllung der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG werde der Kläger jedoch durch die für die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union getroffene Regelung in § 87 Abs. 2 AuslG befreit. Denn auch Griechenland nehme bei der Einbürgerung von Deutschen Mehrstaatigkeit hin, so dass die vom Gesetz geforderte Gegenseitigkeit insofern bestehe. Gegenseitigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 AuslG liege dann vor, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis des betreffenden Mitgliedstaats der Europäischen Union Mehrstaatigkeit generell oder nach abstrakt-generellen Merkmalen in bestimmten Fällen hingenommen werde. Eine Gleichwertigkeit der Einbürgerungsvoraussetzungen und der Einbürgerungsfolgen sei nicht zu verlangen. Das Gegenseitigkeitserfordernis erstrecke sich insbesondere nicht darauf, dass der andere Mitgliedstaat ebenfalls eine Anspruchseinbürgerung vorsehe. Im Verhältnis zu Griechenland bestehe Gegenseitigkeit, weil dort bei der Einbürgerung das Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit – ohne Beschränkung auf bestimmte Personengruppen – hingenommen werde. Das Griechische Außenministerium habe mit Verbalnote vom 1. Februar 2001 auf Anfrage der Deutschen Botschaft in Athen mitgeteilt, dass gemäß griechischem Staatsangehörigkeitsrecht der Ausländer, der durch Einbürgerung die griechische Staatsangehörigkeit erhalte, seine eigene Staatsangehörigkeit nicht ablegen müsse. Das gelte für alle Ausländer unabhängig davon, ob sie eine EU-Staatsangehörigkeit besäßen oder nicht. An dieser Rechtslage habe sich durch das In-Kraft-Treten neuer gesetzlicher Regelungen zum Staatsangehörigkeitsrecht durch Gesetz 2910/2001 am 2. Juni 2001 nichts geändert. Die dort in Art. 58 geregelten Voraussetzungen für eine Einbürgerung in Griechenland verlangten weiterhin weder die Aufgabe noch den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit. Anhaltspunkte für eine Einbürgerungspraxis, die entgegen der Auskunft des Griechischen Außenministeriums und der Rechtslage auf die Vermeidung von Mehrstaatigkeit gerichtet sei, seien von keinem der Beteiligten vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich, zumal Griechenland nicht Vertragspartei des Übereinkommens über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und die Wehrpflicht von Mehrstaatern sei.
Hiergegen wendet sich die Landesanwaltschaft Bayern mit der Revision, zu deren Begründung sie im Wesentlichen geltend macht: Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs berücksichtige nicht hinreichend, dass das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht auch nach seiner Novellierung im Jahre 1999 vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit ausgehe. Die in § 87 Abs. 2 AuslG getroffene Regelung stelle eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Die Auslegung der Vorschrift durch den Verwaltungsgerichtshof führe dazu, dass EU-Staatsangehörige im Regelfall eingebürgert würden. Das sei mit dem Charakter der Vorschrift als Ausnahmeregelung nicht vereinbar. Gegenseitigkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AuslG liege nur dann vor, wenn das Staatsangehörigkeitsrecht des Herkunftsstaates die Hinnahme von Mehrstaatigkeit in der Weise vorsehe, dass ein deutscher Staatsangehöriger ebenfalls einen einklagbaren Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit besitze. Dies sei nach griechischem Staatsangehörigkeitsrecht nicht der Fall, da es lediglich eine Einbürgerung nach Ermessen ermögliche. Auch liege keine Gegenseitigkeit vor, wenn die Einbürgerungsfolgen differierten. Das sei der Fall, wenn ein ausländischer Staatsangehöriger seine bisherige Staatsangehörigkeit bei Erwerb der deutschen behalte, der Deutsche sie aber bei Erwerb der ausländischen gemäß § 25 StAG ohne Genehmigung verliere. Im Übrigen habe das Berufungsgericht seiner Pflicht zur Sachaufklärung nicht genügt, indem es sich mit der Verbalnote des Griechischen Außenministeriums vom 1. Februar 2001 zufrieden gegeben habe, wonach ein Ausländer, der durch Einbürgerung die griechische Staatsangehörigkeit erhalte, seine eigene Staatsangehörigkeit nicht aufgeben müsse.
Die Landesanwaltschaft Bayern beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. April 2003 und des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Mai 2002 die Klage abzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Der Vertreter des Bundesinteresses teilt die Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs zur Auslegung von § 87 Abs. 2 AuslG. Er weist darauf hin, dass § 87 Abs. 2 AuslG mit Ausnahme der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg auch in der Praxis im Sinne der vom Berufungsgericht vertretenen Auslegung angewandt werde. Die Bundesrepublik Deutschland sei wegen der abweichenden Einbürgerungspraxis der letztgenannten beiden Bundesländer im Ausland in Kritik geraten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Beklagte zu Recht als verpflichtet angesehen, den Kläger einzubürgern.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme seiner Mehrstaatigkeit (§ 85 Abs. 1 Satz 1, § 87 Abs. 2 AuslG). Er erfüllt die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 und 5 AuslG, weil er seit mehr als acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, das Verfassungstreuebekenntnis und die Loyalitätserklärung abgegeben hat, eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und nicht wegen einer Straftat verurteilt ist. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Es fehlt allein an der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG, weil der Kläger seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgibt oder verliert, wie das Berufungsgericht näher ausgeführt hat. Von der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG ist im vorliegenden Fall aber gemäß § 87 Abs. 2 AuslG abzusehen, weil der Kläger die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzt und mit diesem Gegenseitigkeit besteht.
Gegenseitigkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AuslG besteht, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis eines Mitgliedstaats der Europäischen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatigkeit generell oder in Bezug auf bestimmte Personengruppen hingenommen wird (vgl. auch zur Bedeutung der Staatenpraxis hinsichtlich des völkerrechtlichen Grundsatzes der Gegenseitigkeit Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., S. 48 ff.; vgl. ferner Urteil vom 29. September 1998 – BVerwG 1 C 20.96 – BVerwGE 107, 223 ≪226 ff.≫). Eine Gleichwertigkeit der übrigen Voraussetzungen und Folgen einer Einbürgerung ist nicht erforderlich.
Das Erfordernis der Gegenseitigkeit bezieht sich nach Wortlaut und Regelungssystematik des § 87 Abs. 2 AuslG auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit, nicht aber auf weitere Voraussetzungen oder Folgen einer Einbürgerung. § 87 Abs. 2 AuslG regelt, unter welchen Bedingungen von der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG abzusehen ist. Die Norm befasst sich also weder mit unterschiedlichen Einbürgerungsvoraussetzungen noch mit Rechtsfolgen der Einbürgerung. Namentlich erfordert sie nicht, dass der andere Mitgliedstaat ebenfalls eine Anspruchseinbürgerung vorsieht. Der Regelungsgehalt des § 87 Abs. 2 AuslG bezieht sich vielmehr nur auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision hervorgehobenen Charakter des § 87 AuslG als Ausnahmevorschrift zu dem in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG niedergelegten Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Vielmehr spricht unter systematischen Gesichtspunkten gerade die Trennung von Regel und Ausnahme in verschiedenen Vorschriften dafür, das Gegenseitigkeitserfordernis auf die betroffene Frage der Hinnahme von Mehrstaatigkeit zu beschränken und nicht auch auf die weiteren Voraussetzungen der Anspruchseinbürgerung des § 85 Abs. 1 AuslG zu beziehen.
Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck des § 87 Abs. 2 AuslG. Ausweislich der Begründung des – ohne Änderungen verabschiedeten – Fraktionsentwurfs soll die Vorschrift nämlich für Ausländer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union sind, im Hinblick auf das Ziel der europäischen Integration einen verstärkten Anreiz zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit schaffen (Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 16. März 1999, BTDrucks 14/533, S. 19). Dieser Anreiz wurde deshalb als notwendig angesehen, weil das Interesse am Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bei dem genannten Personenkreis wegen der bereits bestehenden Inländergleichbehandlung gering sei. Der Gesetzgeber wollte mithin Unionsbürger bei der Einbürgerung gegenüber anderen Ausländern privilegieren. Nur ihnen soll zur Förderung ihres Einbürgerungsinteresses die Beibehaltung ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit bereits dann ermöglicht werden, wenn im umgekehrten Fall deutschen Staatsangehörigen diese Möglichkeit bei einer Einbürgerung in den betreffenden Mitgliedstaat ebenfalls offen steht. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber das Gegenseitigkeitserfordernis über die Hinnahme der Mehrstaatigkeit hinaus auf weitere Umstände erstrecken wollte. Das gesetzgeberische Ziel, die Einbürgerung von EU-Ausländern zu erleichtern, würde vielmehr nicht erreicht, wenn man – wie die Revision – für die Gegenseitigkeit eine Gleichwertigkeit der Voraussetzungen und Folgen einer Einbürgerung verlangte und dementsprechend forderte, dass auch andere EU-Staaten die im Wesentlichen nur in Deutschland verankerte Anspruchseinbürgerung vorsehen. § 87 Abs. 2 AuslG liefe dann weitgehend leer. Ähnliches gilt für die von der Revision vertretene Auffassung, dass eine Gleichwertigkeit bei den Einbürgerungsfolgen grundsätzlich nicht gegeben sei, wenn der ausländische Einbürgerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit bei Erwerb der deutschen beibehalte, der Deutsche seine Staatsangehörigkeit dagegen bei Erwerb einer ausländischen nach § 25 Abs. 1 StAG verliere. Dies hätte zur Folge, dass aus Gründen des deutschen Rechts die Frage der Gegenseitigkeit von vornherein nicht aufgeworfen wäre und kaum ein Anwendungsbereich für § 87 Abs. 2 AuslG verbliebe. Eine derartige Auslegung verbietet sich, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat.
Der Revision ist auch nicht darin zu folgen, dass die Gegenseitigkeitsklausel des § 87 Abs. 2 AuslG der Ausfüllung durch völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen Deutschland und den übrigen EU-Mitgliedstaaten bedürfe. Insbesondere lässt sich dies nicht § 87 Abs. 4 AuslG entnehmen. Aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung dieser Vorschrift ergibt sich, dass sie eine zusätzliche Möglichkeit der Hinnahme von Mehrstaatigkeit eröffnet, nicht hingegen eine Einschränkung der in § 87 Abs. 1 bis 3 AuslG normierten Tatbestände in der Weise zum Inhalt hat, dass diese zur ihrer Wirksamkeit der Umsetzung durch völkerrechtlichen Vertrag bedürften.
Die bei In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts erörterte Frage, ob § 87 Abs. 2 AuslG zu dem Übereinkommen vom 6. Mai 1963 über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern (BGBl 1969 II S. 1953) teilweise im Widerspruch steht und nach dem Grundsatz der völkerrechtskonformen Anwendung und Auslegung zurückhaltend zu interpretieren ist oder als lex posterior vorgeht (vgl. Berlit, GK-StAR, § 87 AuslG, Rn. 248; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., § 87 AuslG, Rn. 32), stellt sich nicht mehr. Dieses Übereinkommen ist nämlich von der Bundesrepublik Deutschland am 20. Dezember 2001 gekündigt worden und am 21. Dezember 2002 außer Kraft getreten (BGBl 2002 II S. 171).
Im Verhältnis zu Griechenland besteht nach den – nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) – Feststellungen des Berufungsgerichts Gegenseitigkeit, weil dort bei der Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger das Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit – ohne Beschränkung auf bestimmte Personengruppen – rechtlich und tatsächlich hingenommen wird. Hierbei handelt es sich um die Feststellung von Tatsachen, auch soweit es um die Entscheidung geht, welche ausländischen Rechtsvorschriften zur Auslegung des Gegenseitigkeitserfordernisses in § 87 Abs. 2 AuslG heranzuziehen sind, wie sie auszulegen sind und wie die griechischen Vorschriften bei der Einbürgerung von Deutschen in der Praxis angewandt werden (§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO, vgl. etwa Urteil vom 18. Juli 1974 – BVerwG 3 C 4.73 – BVerwGE 45, 357 ≪365≫; Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 9 B 19.99 – Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 6 m.w.N.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die festgestellten Tatsachen unterliegen nur insoweit der revisionsgerichtlichen Überprüfung, als geltend gemacht wird, das Berufungsgericht habe seiner Ermittlungspflicht nicht genügt oder das Ergebnis sei unter Verstoß gegen sonstige Verfahrensvorschriften gewonnen worden (Urteil vom 18. Juli 1974, a.a.O., Leitsatz 3). Die Revision sieht eine mangelnde Sachaufklärung in dem Umstand, dass sich das Berufungsgericht mit der Verbalnote des Griechischen Außenministeriums vom 1. Februar 2001 zufrieden gegeben habe, wonach ein Ausländer, der durch Einbürgerung die griechische Staatsbürgerschaft erhalte, seine eigene Staatsangehörigkeit nicht ablegen müsse. Vielmehr hätte sich ihm aufdrängen müssen, von Amts wegen den Fällen von Entlassung aus der griechischen Staatsangehörigkeit nachzugehen, die sich aus der vorgelegten deutschen Einbürgerungsstatistik des Jahres 2001 ergäben.
Mit ihrem Vorbringen wird die Revision den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des gerügten Verfahrensmangels nicht gerecht (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Ein Verfahrensmangel ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung im Einzelnen dargetan wird. Für die ordnungsgemäße Begründung der hier erhobenen Rüge mangelhafter Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage der vordergerichtlichen Rechtsauffassung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 und vom 4. Oktober 1995 – BVerwG 1 B 138.95 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 271).
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht zeigt die Revision nicht in einer diesen Anforderungen entsprechenden Weise auf. Sie macht nicht ersichtlich, inwiefern sich dem Berufungsgericht weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen und welche Beweismittel dafür in Betracht gekommen wären. Als voraussichtliches Ergebnis der von ihr vermissten Aufklärung gibt die Revision an, dass entgegen der Erklärung Griechenlands in der Verbalnote vom 1. Februar 2001 die Hinnahme von Mehrstaatigkeit “durchaus differenziert entschieden” werde. Inwiefern sich aus einer differenzierten Entscheidungspraxis bei Anträgen von Griechen auf Entlassung aus der griechischen Staatsangehörigkeit eine Praxis der griechischen Behörden bei der Einbürgerung von Deutschen ergebe, die Zweifel an der generellen Hinnahme von Mehrstaatigkeit begründeten, legt die Revision aber nicht in der erforderlichen Weise dar. Im Übrigen zeigt die Revision auch nicht auf, inwiefern sich aus der von ihr behaupteten Praxis der griechischen Behörden, die Zahl von Staatsangehörigen türkischer Abstammung möglichst klein zu halten, eine restriktive Einbürgerungspraxis gegenüber deutschen Staatsbürgern ergeben kann. Die von ihr vorgelegte deutsche Einbürgerungsstatistik des Jahres 2001, wonach von der Gesamtzahl von 1 402 eingebürgerten Griechen 1 320 ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehielten und 82 nicht, sagt allenfalls etwas über die griechische Ausbürgerungspraxis, aber nichts über die griechische Einbürgerungspraxis aus.
Unabhängig davon sind im Übrigen keine konkreten Anhaltspunkte für eine nicht auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit gerichtete Behördenpraxis in Griechenland ersichtlich. Dementsprechend ist Griechenland im Gesetzgebungsverfahren zur Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts unwidersprochen als Staat bezeichnet worden, der die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit “problemlos” zulasse (vgl. die Aussage der Sachverständigen Dr. Kürsat-Ahlers im Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 13. April 1999, Reform des Staatsangehörigkeitsrechts – Die parlamentarische Beratung, S. 53; vgl. auch Berlit, a.a.O., § 87 AuslG Rn. 250.5, der ausführt, die Nichtaufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit solle nach der erkennbaren griechischen Staatspraxis kein Entscheidungskriterium sein).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Richter, Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen
Haufe-Index 1208188 |
BVerwGE 2004, 298 |
ZAP 2004, 1212 |
InfAuslR 2004, 352 |
DVBl. 2004, 1430 |
NordÖR 2004, 234 |