Entscheidungsstichwort (Thema)

Einbürgerung. Unionsbürger. Mehrstaatigkeit. Gegenseitigkeit. Staatsangehörigkeitsrechts. Berufung des Vertreters des öffentlichen Interesses gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Mai 2002

 

Leitsatz (amtlich)

Gegenseitigkeit i.S.v. § 87 Abs. 2 AuslG besteht, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis des betreffenden Mitgliedstaats der Europäischen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatigkeit generell oder in nach abstrakt-generellen Merkmalen bestimmten Fällen hingenommen wird.

 

Normenkette

AuslG § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 87 Abs. 2

 

Verfahrensgang

VG Ansbach (Urteil vom 15.05.2002; Aktenzeichen 15 K 01.791)

 

Nachgehend

BVerwG (Urteil vom 20.04.2004; Aktenzeichen 1 C 13.03)

 

Tenor

I. Die Berufung des Vertreters des öffentlichen Interesses wird zurückgewiesen.

II. Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Vertreter des öffentlichen Interesses kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1960 in Griechenland geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1980 im Bundesgebiet, ist seit 1985 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und arbeitet nach einem Studium der Psychologie als Psychotherapeut.

Am 17. Juli 2000 beantragte der Kläger seine Einbürgerung und gab an, dass er zur Aufgabe der griechischen Staatsangehörigkeit nicht bereit sei. Die Beklagte lehnte den Einbürgerungsantrag mit Bescheid vom 18. Januar 2001 ab. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 85 AuslG bestehe nicht. Von der Voraussetzung, dass der Einbürgerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgebe oder verliere, könne nicht abgesehen werden, weil es an der nach § 87 Abs. 2 AuslG erforderlichen Gegenseitigkeit fehle. Entsprechende Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien bislang nicht abgeschlossen worden. Eine Ermessenseinbürgerung komme ebenfalls nicht in Betracht, weil auch hier der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zu beachten sei. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Die Regierung von Mittelfranken führte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 26. April 2001 aus, dass mit Griechenland keine Gegenseitigkeit bestehe, weil das griechische Recht weder einen mit § 85 AuslG vergleichbaren Anspruch auf Einbürgerung, noch eine dem § 87 AuslG entsprechende Mehrstaatigkeitsregelung kenne, sondern generell die Mehrstaatigkeit bei Einbürgerung zulasse.

Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben und unter Hinweis auf die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV) und mehrere Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern geltend gemacht, dass hinsichtlich Griechenlands Gegenseitigkeit bestehe. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 15. Mai 2002 antragsgemäß verpflichtet, den Kläger einzubürgern. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme seiner Mehrstaatigkeit. Gegenseitigkeit im Sinn von § 87 Abs. 2 AuslG verlange nicht, dass der EU-Herkunftsstaat eine dem deutschen Recht spiegelbildlich entsprechende Einbürgerungsregelung habe und unter den gleichen Voraussetzungen sowohl die Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger ermögliche als auch die Mehrstaatigkeit zulasse. Es reiche vielmehr aus, wenn die Rechtsfolge der Einbürgerung, nämlich die Hinnahme von Mehrstaatigkeit, im jeweiligen Einzelfall gegenseitig bestehe. Das sei im Hinblick auf Griechenland der Fall.

Die Berufung gegen diese Entscheidung wurde vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat Berufung eingelegt und trägt zur Begründung unter Einbeziehung einer Stellungnahme des Staatsministeriums des Innern im wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht habe den Begriff der Gegenseitigkeit rechtsfehlerhaft ausgelegt. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht gehe auch nach seiner Novellierung im Jahr 2000 vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit aus. Von diesem Grundsatz könne nur im Einzelfall und ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 87 AuslG abgewichen werden. In der Auslegung des Verwaltungsgerichts verliere aber § 87 Abs. 2 AuslG seinen Ausnahmecharakter. Gegenseitigkeit bedeute die Gleichwertigkeit sowohl der Einbürgerungsvoraussetzungen, wie der Einbürgerungsfolgen. Sie liege insbesondere nur dann vor, wenn ein deutscher Staatsangehöriger im Bezugsstaat unter den gleichen rechtlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Einbürgerung unter Beibehaltung seiner deutschen Staatsangehörigkeit habe, wie ein Angehöriger des Bezugsstaates in Deutschland. Maßgeblich sei eine konkrete Betrachtungsweise des Einzelf...

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