Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Aufträge. Technische Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers. Unmittelbare Wirkung. Arten des Nachweises. Rangordnung zwischen der Bescheinigung eines privaten Erwerbers und der einseitigen Erklärung des Bieters. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Verbot, wesentliche Änderungen hinsichtlich der vorgesehenen Nachweise einzuführen

 

Normenkette

Richtlinie 2004/18/EG Art. 48 Abs. 2 Buchst. a

 

Beteiligte

Ambisig

Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA

AICP – Associação de Industriais do Concelho de Pombal

 

Tenor

1. Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass er die Voraussetzungen erfüllt, um – bei fehlender Umsetzung in innerstaatliches Recht – Privatpersonen Rechte zu verleihen, die diese vor den nationalen Gerichten gegenüber einem öffentlichen Auftraggeber geltend machen können, soweit dieser eine öffentliche Einrichtung ist oder kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

2. Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen wie den im Ausgangsrechtsstreit fraglichen, die es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht erlauben, seine technische Leistungsfähigkeit durch eine einseitige Erklärung nachzuweisen, es sei denn, er weist nach, dass die Beschaffung einer Bescheinigung des privaten Erwerbers unmöglich oder mit ernsthaften Schwierigkeiten verbunden ist, nicht entgegensteht.

3. Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die unter Androhung des Ausschlusses der Bewerbung des Bieters vorschreiben, dass die Bescheinigung des privaten Erwerbers mit einer von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer anderen befugten Stelle beglaubigten Unterschrift versehen sein muss.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Central Administrativo Sul (Zentrales Verwaltungsgericht Süd, Portugal) mit Entscheidung vom 29. Januar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 2015, in dem Verfahren

Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA

gegen

AICP – Associação de Industriais do Concelho de Pombal,

Beteiligte:

Índice – ICT & Management Lda,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter), der Richter F. Biltgen und A. Borg Barthet sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA, vertreten durch H. Rodrigues da Silva, advogado,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und F. Batista als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braga da Cruz und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA (im Folgenden: Ambisig) und der AICP – Associação de Industriais do Concelho de Pombal (im Folgenden: AICP) wegen der Entscheidung dieser Einrichtung, die Bewerbung von Ambisig von einem Ausschreibungsverfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags auszuschließen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 1, 2, 4, 32 und 46 der Richtlinie 2004/18 lauten:

„(1) Anlässlich weiterer Änderungen der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge [(ABl. 1992, L 209, S. 1)], der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge [(ABl. 1993, L 199,...

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