Leitsatz (amtlich)

Bei einem typischen Auffahrunfall spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende entweder mit zu geringem Abstand, zu schnell oder zu unaufmerksam fuhr. Voraussetzung ist lediglich eine typische Gestaltung, also zumindest eine Teilüberdeckung von Front und Heck. Es ist im Regelfall nicht erforderlich, dass der Vorausfahrende darlegt, die Fahrzeuge seien schon längere Zeit hintereinander gefahren.

 

Normenkette

StVO §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 42 O 262/12)

 

Tenor

In dem Rechtsstreit D./. W. u.a. weist der Senat darauf hin, dass er nach dem Ergebnis der Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den genannten Gründen binnen 4 Wochen Stellung zu nehmen.

 

Gründe

Der Senat wird die Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen müssen, weil er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 ZPO). Hinweis und Fristsetzung beruhen auf § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Der Klägerin stehen gegen die Beklagten als Halter, Fahrzeugführerin und Haftpflichtversicherung die geltend gemachten Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche (angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 14.800 EUR; Wiederbeschaffungsaufwand von 4.250 EUR, Kostenpauschale von 25 EUR, Kosten des Sachverständigengutachtens von 456,96 EUR und Nutzungsausfall für 14 Tage von 406 EUR; außergerichtliche Anwaltskosten von 1.176,91 EUR) wegen des Verkehrsunfalls vom 25.6.2010 gem. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB; §§ 7, 11, 17, 18 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB schon dem Grunde nach nicht zu, weil sie den Unfall allein verschuldete. Dementsprechend ist auch der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden unbegründet.

Der Senat verweist zunächst auf die grundsätzlich zutreffende Begründung der angefochtenen Entscheidung. Die tatsächlichen Feststellungen des LG sind einschließlich des Ergebnisses der Beweiswürdigung zugrunde zu legen, weil keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

1. Das LG hat zu Recht ausgeführt, für ein Verschulden der Klägerin als Auffahrenden spreche der Beweis des ersten Anscheins.

a) Soweit die Klägerin meint, sie habe sich anlässlich ihrer persönlichen Anhörung missverständlich ausgedrückt, vermag der Senat dies angesichts der klaren Angabe, das Beklagtenfahrzeug sei um eine Fahrzeughälfte versetzt vor ihr gefahren, nicht nachzuvollziehen. Die abweichende Darstellung, die Beklagte zu 2. sei um eine Spur versetzt vor ihr gefahren, entspricht weder der von ihr anlässlich ihrer Anhörung gefertigten Skizze noch der weiteren Angabe, das andere Fahrzeug sei etwas nach links versetzt gefahren. Maßgeblich ist die relative Angabe, zumal unklar bleibt, in welchem Umfang das Beklagtenfahrzeug "auf den Schienen" gefahren sein sollte und die Klägerin deshalb auf Frage des Beklagtenvertreters sich nochmals - wie einleitend zitiert - klarstellend geäußert hat.

b) Die weitere Annahme der Klägerin, die Situation sei ungeklärt (non liquet), würde ihr Verschulden nicht ausschließen.

(1) Insoweit ist abweichend vom LG klarzustellen, dass in der vorliegend gegebenen Situation eines typischen Auffahrunfalls der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass die Klägerin als Auffahrende entweder mit zu geringem Abstand (§ 4 Abs. 1 StVO), zu schnell (§ 3 Abs. 1 StVO) oder unaufmerksam (§ 1 StVO) gefahren war. Der Anschein gegen den Auffahrenden setzt lediglich eine typische Gestaltung, also zumindest eine Teilüberdeckung von Front und Heck voraus (vgl. KG mit Urt. v. 4.6.2007 - 12 U 208/06 - [mit falschem Datum:] NZV 2008, 197 [II.1. a)]; OLG Saarbrücken mit Urt. v. 19.5.2009 - 4 U 347/08, NJW-RR 2010, 323, 324 [II. 4. b)aa)]; Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Aufl., § StVO Rz. 24; Zieres in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 27 Rz. 147, 149). Dagegen ist nicht erforderlich, dass derjenige, dem der andere aufgefahren ist, generell darlegt, die Fahrzeuge seien schon längere Zeit hintereinander gefahren (vgl. KG mit Urt. v. 22.1.2001 - 22 U 1044/00, KGReport Berlin 2001, 93). Es ist Sache des Auffahrenden, den gegen ihn sprechenden Anschein durch die Darlegung eines atypischen Verlaufs zu erschüttern (vgl. BGH mit Urt. v. 16.1.2007 - VI ZR 248/05, NZV 2007, 354 [5]; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 4 StVO Rz. 36). Das Kerngeschehen eines Auffahrunfalls genügt nur dann nicht, wenn aus dem Unfallgeschehen weitere Umstände bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die Typizität sprechen (vgl. BGH mit Urt. v. 13....

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