Leitsatz (amtlich)

Ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen das Verbot, widerstreitende Interessen wahrzunehmen, führt nicht zur Nichtigkeit der Prozessvollmacht.

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Urteil vom 10.10.2007; Aktenzeichen 6 O 197/07)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 10.10.2007 verkündete Urteil des LG Stralsund wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung einschließlich der Kosten der Streithilfe.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. der Streithelfer zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Pflichteilsverzichtsvertrag auf Zahlung des vereinbarten Abfindungsbetrages in Anspruch. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung macht die Beklagte geltend, es sei Geschäftsgrundlage des Pflichtteilsverzichtsvertrages gewesen, dass der Abfindungsbetrag für den Fall der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruches durch Herrn ... anteilig gekürzt werde. Dies ergebe sich aus dem Inhalt des zuvor ausgehandelten Vertragsentwurfes. Bei der Beurkundung des Vertrages habe der Notar den Entwurf ohne jede Begründung verworfen und stattdessen einen Textbaustein aus seinem Computersystem verwendet. Dabei sei die ausdrücklich vereinbarte Geschäftsgrundlage nicht beachtet worden. Die Beklagte und ihr Ehemann - der als vollmachtloser Vertreter der Klägerin im Notartermin aufgetreten ist - hätten dies beim Vorlesen nicht bemerkt. Der Erblasser habe sein Einverständnis damit, dass seine Töchter die Pflichtteilsansprüche ihres enterbten Bruders gemeinsam hätten abwehren sollen und ein Ausgleich erfolgen solle, in der notariellen Verhandlung beim Streithelfer erklärt.

Herr ... habe mittlerweile seinen Pflichtteilsanspruch gerichtlich geltend gemacht. Er verlange einen Betrag i.H.v. mindestens 46.000 EUR. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen, sein Ausgang ungewiss.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Vertrag im Sinne des ursprünglichen Vertragsentwurfes auszulegen sei. Auch sei die Klage gem. § 242 BGB (dolo petit - Einwand) abzuweisen, weil sich die Klägerin an einer Finanzierung des Herrn ... zustehenden Pflichteilsanspruches beteiligen müsse.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG Stralsund vom 10.10.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie verweist darauf, dass der streitgegenständliche Pflichteilsverzichtsvertrag gerade keine Klausel enthalte, die der im Vertragsentwurf vorgesehenen Regelung über eine Beteiligung an einem etwaigen Pflichtteilsanspruch des Herrn ... entspreche. Eine Vereinbarung über eine solche Beteiligung sei weder wirksam beurkundet worden noch sonst zustande gekommen.

Der Streithelfer der Klägerin hat sich dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung angeschlossen.

Er vertritt die Auffassung, dass die Beklagte im Rechtsstreit nicht ordnungsgemäß vertreten sei, weil die dem Rechtsanwalt der Beklagten erteilte Prozessvollmacht gem. §§ 134 BGB, 43a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung nichtig sei. In der Sache treffe die Entscheidung des LG Stralsund zu. Dass die streitgegenständliche Regelung in dem vom Streithelfer beurkundeten Vertrag nicht aufgenommen sei, sei keine planwidrige Unvollständigkeit gewesen, sondern vielmehr von den Urkundsbeteiligten gewusst und gewollt.

II.1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Der Senat hat insbesondere keine Zweifel an der Wirksamkeit der dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten erteilten Prozessvollmacht. Fern liegend erscheint bereits die Annahme, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten verstoße durch die Wahrnehmung dieses Mandates gegen § 43a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung. Denn der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat im Termin vom 6.3.2008 nachvollziehbar erläutert, dass er seinen ursprünglichen Auftrag nicht von den Parteien, sondern vom Erblasser erhalten hat. Davon abgesehen würde ein unterstellter Verstoß gegen § 43a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung im vorliegenden Fall jedenfalls nicht zur Nichtigkeit der dem Rechtsanwalt seitens der Beklagten erteilten Prozessvollmacht führen. Fraglich ist bereits, ob ein solcher Verstoß zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages führen würde (offen gelassen vom BGH, Urt. v. 23.10.2003 - IV ZR 270/02, NJW 2004, 1169 [1171]), weil sich das Verbotsgesetz hier nur an eine Partei - den Rechtsanwalt - richtet. Jedenfalls wäre es aber auf Grund des Schutzzweckes des Verbotsgesetzes im vorliegenden Fall nicht geboten, eine etwaige Nichtigkeit des Anwaltsvertrages auch auf die seitens der Beklagten erteilte Prozessv...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge