Leitsatz (amtlich)
Der am 5.8.2009 in Kraft getretene § 15a RVG beinhaltet keine Gesetzesänderung i.S.d. § 60 Abs. 1 RVG, sondern enthält lediglich eine Klarstellung des Gesetzgebers zu den bisherigen Anrechnungsregeln (§ 118 Abs. 2 BRAGO und Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV), so dass § 15a RVG auch auf noch nicht abschließend entschiedene "Altfälle" anzuwenden ist.
Normenkette
RVG §§ 15a, 60
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Beschluss vom 08.05.2009; Aktenzeichen 5 O 137/08) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des LG Heilbronn vom 8.5.2009 - 5 O 137/08, abgeändert:
Auf Grund des rechtskräftigen Urteils des LG Heilbronn vom 31.10.2008 sind von der Klägerin an die Beklagte an Kosten zu erstatten:
weitere 419,90 EUR,
damit insgesamt 1.682,20 EUR,
nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 26.11.2008.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Im Übrigen trägt die Klägerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 419,90 EUR.
Gründe
1. Die Parteien streiten über die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr, die unstreitig auf Seiten der Beklagten angefallen ist, auf die gerichtliche Verfahrensgebühr, die die Rechtspflegerin in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 8.5.2009 um die anteilige Geschäftsgebühr i.H.v. 419,90 EUR auf diesen Betrag reduziert hat. Die Beklagte hatte widerklagend ggü. der Klägerin u.a. vorgerichtlich angefallene Anwaltskosten von 997,37 EUR geltend gemacht. Insoweit wurde jedoch die Widerklage abgewiesen, so dass dieser Betrag nicht tituliert ist.
Gegen die am 14.5.2009 zugestellte Entscheidung der Rechtspflegerin hat die Beklagte wegen der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr und damit wegen des Betrages von 419,90 EUR sofortige Beschwerde eingelegt unter Hinweis auf die Neuregelung in § 15a RVG.
Die Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegengetreten und die Rechtspflegerin hat ohne Abhilfe die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff. ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG) und in der Sache begründet.
Am 4.8.2009 wurde die Neuregelung des § 15a RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften) verkündet. Sie ist gem. Art. 10 Satz 2 dieses Gesetzes am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten und lautet:
"§ 15a RVG Anrechnung einer Gebühr
(1) Sieht dieses Gesetzes die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren.
(2) Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden." (BT-Drucks. 16/12717; BGBl. I, 2449)
In § 15a Abs. 1 RVG wird das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber geregelt. Es wird klargestellt, dass aufeinander anzurechnende Gebühren zunächst unabhängig voneinander in voller Höhe ungekürzt entstehen. Der Anwalt kann grundsätzlich jede abzurechnende Gebühr in voller Höhe geltend machen. Allerdings bewirkt die Zahlung einer Gebühr, dass im Umfang der Anrechnung die andere Gebühr erlischt. Der Anwalt kann nicht beide Gebühren verlangen, sondern insgesamt nur den um die Anrechnung verminderten Gesamtbetrag.
Die Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG betrifft die Kostenerstattung. Ein erstattungspflichtiger Dritter kann sich auf die Anrechnung nur dann berufen, wenn er die anzurechnende Gebühr bereits selbst gezahlt hat oder wenn diese gegen ihn tituliert worden ist. Dann darf sie im Umfang der Anrechnung nicht nochmals im Kostenfestsetzungsverfahren tituliert werden (NJW-Spezial 2009, 349).
In der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 5.8.2009 heißt es, dass mit dem neuen § 15a RVG der Gesetzgeber die Probleme beseitige, die in der Praxis auf Grund von Entscheidungen des BGH zur Anrechnung der anwaltlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr aufgetreten seien. Das Vergütungsrecht habe danach die vorgerichtliche Streiterledigung durch Rechtsanwälte behindert. Dieses Ergebnis sei nicht sachgerecht gewesen und habe den Vorstellungen von einer sinnvollen Rechtsanwaltsvergütung und Justiz widersprochen. Mit der Gesetzes"änderung" sei das Problem gelöst und der Begriff der Anrechnung durch den Gesetzgeber "geklärt" worden (Erläuterungen der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries). Durch das neue Gesetz werde die Wirkung der Anrechnung sowohl im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant als auch gegenüber Dritten, also insbesondere im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren, ausdrückli...