Überbau durch Wärmedämmung
Hintergrund: Wärmedämmung nur mit Umbau möglich
Die Eigentümer zweier Reihenhäuser in Hessen streiten über Maßnahmen zur Wärmedämmung. Die Reihenhäuser wurden 1976 errichtet und sind versetzt angeordnet, so dass jeweils ein Teil der Wand zum Nachbargrundstück freiliegt.
Der Eigentümer eines Hauses ließ eine außenseitige Fassadendämmung anbringen, wobei die freiliegende Wand zum Nachbargrundstück nicht gedämmt wurde. An dieser Wand möchte der Eigentümer nun ebenfalls eine Dämmung anbringen lassen. Diese würde die Grenze zum Nachbargrundstück um 11 Zentimeter überschreiten. Um die Dämmung anzubringen, müssten auf dem Nachbargrundstück ein an die Hauswand angepasster Holzunterstand mit Mülltonnenverkleidung, die an der Fassade des Nachbarhauses befindlichen Öffnungen für die Entlüftung des Öltanks und für die Abluft der Küche sowie ein Stromkabel verlegt und ferner der Dachbereich des Nachbarhauses geöffnet werden. Der Nachbar ist mit diesen Maßnahmen nicht einverstanden.
Der Eigentümer verlangt vom Nachbarn, ihm zu erlauben, dessen Grundstück zu betreten, um die Wärmedämmung an der zum Nachbargrundstück gelegenen Wand anzubringen und die hierzu erforderlichen Arbeiten am Dachanschluss auf eigene Kosten auszuführen.
§ 10a des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes (NachbG HE) sieht unter der Überschrift "Wärmedämmung" vor:
(1) Der Eigentümer und die Nutzungsberechtigten eines Grundstücks haben Bauteile, die auf ihr Grundstück übergreifen, zu dulden, wenn
1. es sich bei den übergreifenden Bauteilen um eine Wärmedämmung handelt, die über die Bauteilanforderungen der Energieeinsparverordnung ... für bestehende Gebäude nicht hinausgeht,
2. eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann und
3. die übergreifenden Bauteile
a) an einer vorhandenen einseitigen Grenzwand auf dem Nachbargrundstück angebracht werden,
b) die Benutzung des betroffenen Grundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen und
c) öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widersprechen.
Die Duldungspflicht nach Satz 1 erstreckt sich auch auf die mit der Wärmedämmung zusammenhängenden notwendigen Änderungen von Bauteilen.
...
Entscheidung: Duldungspflicht gilt nur für Überbau
Die Duldungsklage hat keinen Erfolg. Unabhängig davon, ob es sich bei der betreffenden Wand um eine vollständig auf dem Grundstück des Eigentümers stehende Grenzwand oder eine teilweise auf beiden Grundstücken stehende Nachbarwand handelt, muss der Nachbar jedenfalls keine baulichen Veränderungen an den auf seinem Grundstück vorhandenen Gebäuden dulden.
Der Eigentümer eines Grundstücks muss nach § 10a Abs. 1 NachbG HE nur einen Überbau durch Bauteile dulden, die wegen des Anbringens einer Wärmedämmung an der Grenzwand auf sein Grundstück hinüberragen. Veränderungen an seinem Gebäude, die infolge der Wärmedämmung notwendig werden, muss er hingegen nicht dulden.
Soweit § 10 Abs. 1 Satz 2 NachbG HE eine Duldungspflicht im Hinblick auf die mit der Wärmedämmung zusammenhängenden notwendigen Änderungen von Bauteilen anordnet, bezieht sich dies nur auf Änderungen von Bauteilen der einseitigen Grenzwand, an der die Wärmedämmung angebracht werden soll. Dies kann etwa eine notwendige Erweiterung des Dachs bei einer Giebelwand, die Verlängerung der Fensterbänke oder die Verlegung von Fallrohren um die Dämmstoffstärke sein. Eingriffe in bereits vorhandene Gebäudeteile auf dem durch den Überbau betroffenen Grundstück sind hiervon hingegen nicht umfasst.
Nach diesen Maßstäben kommt ein Anspruch des Eigentümers auf das Anbringen der Wärmedämmung nach § 10a Abs. 1 NachbG HE nicht in Betracht. Der Nachbar hätte nicht nur die auf sein Grundstück übergreifenden Bauteile zu dulden, sondern müsste auch Veränderungen an Bauteilen seines Gebäudes zulassen. Eine Duldungspflicht bezüglich derartiger Eingriffe in das Eigentum besteht nicht.
Sollte es sich bei der Wand um eine Nachbarwand handeln, bestünde ebenfalls keine Duldungspflicht.
§ 10a Abs. 1 NachbG HE wäre ohnehin nicht anwendbar, weil diese Vorschrift nur für Grenzwände, aber nicht für Nachbarwände gilt.
Auch aus den Vorschriften über die Gemeinschaft, die bei Vorliegen einer Nachbarwand anwendbar wären, ergäbe sich keine Duldungspflicht. Jeder Teilhaber einer gemeinsamen Grenzeinrichtung kann eine dem Interesse aller Teilhaber entsprechende Verwaltung und Benutzung verlangen. Das Anbringen einer Wärmedämmung auf eine Wand der gemeinsamen Grenzeinrichtung stellt auch grundsätzlich eine Verwaltungsmaßnahme im Sinne dieser Vorschrift dar. Eingriffe in andere Gebäudeteile, die nicht der gemeinsamen Verwaltung unterliegen, können von den Teilhabern hingegen nicht beschlossen werden. Da hier über das Anbringen der Wärmedämmung hinaus Eingriffe an anderen Gebäudeteilen erforderlich wären, käme eine Duldungspflicht nicht in Frage.
(BGH, Urteil v. 14.6.2019, V ZR 144/18)
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