Behörde neu denken
Stellenanzeigen werden von Behörden neuerdings auf LinkedIn geschalten. Das gut gepflegte Online-Profil reicht aber nicht als Bewerbung – der Lebenslauf muss trotzdem in meist grauenhafte Formulare gepresst werden: krasser Medienbruch. In den Arbeitgebermarken wird das besondere Wir-Gefühl hervorgehoben - das Team bleibt beim Recruiting aber unsichtbar: unglaubwürdig. Online-Services werden umgesetzt - die Bürger gehen aber lieber aufs Amt: am Kunden vorbei. New Work wird propagiert - der einfache Text aber braucht Freigaben über mehrere Hierarchieebenen: alles beim Alten.
Waschen, ohne Nass zu machen. Dies sind nur einige Beispiele, von dem, was aktuell in den Verwaltungen schiefläuft. Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Theorie und Praxis, Wollen und Können, Reden und Machen. Der Wandel wird simuliert. Es fehlt Mut, Behörde tatsächlich neu zu denken.
Menschen gewinnen, statt Stellen besetzen
Seit Jahren frage ich in meinen Keynotes Mitarbeiter von Kommunen, Städten, Landkreisen, nachgeordneten Behörden, Ministerien: Spüren Sie den Mangel an Personal? Die Antwort lautet jedes Mal: Ja! Und jedes Mal halte ich dagegen, dass ich das nicht glaube. Denn wenn tatsächlich Fachkräftemangel bestehen würden, dann
- müssten Führungskräfte und die Kollegen sichtbar werden. Denn schließlich will doch jeder wissen, wer die Menschen sind, mit denen man 8 Stunden am Tag auskommen soll.
- müsste auf das Anschreiben in Bewerbungen verzichten werden. Als Grundlage für die Auswahl nicht nur maximal invalide, ist dieses zeitgleich die größte Hürde für Bewerber.
- sollten Arbeitgeber Kandidaten per Active Sourcing suchen, ansprechen und mit Augenhöhe rekrutieren.
- müssten Gehälter in Stellenanzeigen und Karriereseite offen genannt sowie auf interne Begrifflichkeiten verzichtet werden.
- bedarf es maximaler Anstrengungen Mitarbeiter zu halten, statt sie mit einem „Na dann geh doch“ zu verabschieden.
Was ich hier so einfach schreibe, ist nicht weniger als ein radikaler Paradigmenwechsel in der Personalgewinnung.
Kontrolle ist nicht besser!
Beeindruckend, wie schnell der öffentliche Dienst Homeoffice konnte. Nur leider war das keine Tat aus Überzeugung, sondern eine Reaktion auf einen Virus. Und auch das bestätigt man mir jedes Mal auf meine Frage: Ja, das mit dem Homeoffice lief super! Keine Leistungseinbrüche, sogar Steigerung der Effizienz.
Das man jetzt dennoch das Rad zurückdreht und mit willkürlichen 60/40-Regeln die Leute zurück ins Büro beordert, zeigt, dass Kontrolle die Kultur beherrscht. Da nutzt es nichts, dass ein schicker Workspace das Einzelbüro ersetzt. Es mangelt an Vertrauen darin, dass die Menschen nicht nur Kinder erziehen und wählen gehen können, sondern auch ohne Führungskraft wissen, wie sie ihren Job am besten erledigen. Das Verständnis, dass Arbeit und Leben keine Balance brauchen, sondern untrennbar miteinander verwoben sind, fehlt. Hierarchie und Kontrolle statt Augenhöhe und Vertrauen bestimmen weiter das alte Denkmodell.
New Work ist keine Maßnahme
Vor etlichen Jahren schon habe ich Bar Camps mit Bürgern veranstaltet, um deren Wünsche zur digitalen Verwaltung zu erheben und umzusetzen. Etwas später habe ich im Futurecamp Nachwuchskräfte gefragt, wie sie sich die digitale Zukunft der Verwaltung vorstellen – damit die, die in analogen Zeiten Karriere gemacht haben, bessere Entscheidungen treffen. Damals wie heute sind Partizipation, Kundenorientierung, Innovation und Augenhöhe Teil meiner Vorstellung von „neuer Arbeit“.
Viele Jahre später ist „New Work“ in aller Munde. Aber ist das dahinterstehende Mindset wirklich im Heute angekommen? Ich lese von ein paar Instrumenten und Maßnahmen im „New Work Baukasten“, da ein bisschen Umfrage angetäuscht, dort ein wenig agiles Arbeiten simuliert. Und natürlich der Obstkorb in den Teeküchen. Führungskräfte werden geschult, wie sie New Work umsetzen. Wie stellt man sich das vor: Die restlichen Mitarbeiter werden dann „ge-new-worked“? New Work Maßnahmen scheinen dann besonders erfolgreich zu sein, wenn sie die Old Work stabilisieren.
New Work ist keine Maßnahme, sondern Mindset! An Hierarchien, Prozessen, Führungsmodellen und Umgang untereinander wird aber kaum etwas geändert. Feigenblatt statt neue Unternehmenskultur.
Digitalisierung als Kundenorientierung
Seit Jahren beschäftige ich mich damit, warum Bürger die Online-Services nicht nutzen: Sie kennen und finden sie nicht, analog vor Ort geht es einfach schneller und für die auszufüllenden Felder der digitalen Anträge der Behörden bedarf es vertiefter Kenntnisse der Rechtsmaterie und einschlägiger Begrifflichkeiten. Während man damit hilflos und allein daheim vor dem Rechner scheitert, erklären es die Fachexperten im Amt so, dass es jeder versteht.
Klar wird, Technik allein hilft hier nicht weiter. Auch kein neues „Endgegner-OZG“. Die digitale Verwaltung funktioniert stattdessen nur, wenn sie Ausdruck von echter Kundenorientierung ist. Statt „nur“ das OZG umzusetzen, müssen Behörden ehrliches Interesse daran haben, den Bürgern zu helfen, ihre Verwaltungsangelegenheiten schnell und einfach zu erledigen. Dafür muss man zusammenarbeiten und einheitliche Lösungen schaffen. Mit Kommunikation wird Vertrauen aufgebaut, um Vorbehalte zu nehmen. Marketing muss die Dashboards ersetzen. Und ja, Verwaltungsleistungen dürfen auch Spaß machen!
Verwaltung wird digital, Arbeit wird flexibel, Organisationen wandeln sich. Aber tun sie das wirklich? Oder ist es eher ein Lackieren der Liegestühle auf der Titanic? Wir müssen Behörden neu denken, um im Fachkräftemangel zu bestehen und bei der Digitalisierung endlich voranzukommen!
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wo steht in der Überschrift "New Work"?
Hier dennoch der Link zu mehr Ausführungen zu diesem Thema: https://www.haufe.de/oeffentlicher-dienst/digitalisierung-transformation/new-work-im-public-sector-modell-der-zukunft_524786_527768.html
Home Office (oder Remote Work) hat aber auch ihre Grenzen im Persönlichen. Der persönliche Kontakt von Menschen mag in der Vergangenheit immer belächelt worden zu sein. Gerade aber die Pandemiezeit hat gezeigt, wie wichtig der "Kaffee zwischendurch" ist, um den Gegenüber zu verstehen und Herausforderungen schnell lösen zu können. Er ist unerlässlich und genau deshalb gehen viele Organisationen wieder dazu über, Bürotage zu organisieren. Der persönliche Kontakt trägt aber auch dazu bei, sich auf die Sache zu konzentrieren und in Besprechungen nicht nebenbei andere Dinge zu erledigen - sitzt man im Besprechungsraum, konzentriert man sich eben auf die Besprechungsinhalte stärker als online.
Dies bedeutet nicht, dass Organisationen nicht mehr Freiheiten lassen, wo die Arbeit durchgeführt werden sollte. Dies ermöglicht, persönliche Gewohnheiten stärker zu berücksichtigen, die Möglichkeit zu schaffen berufliche und private Verpflichtungen stärker miteinander zu verknüpfen und somit insgesamt eine bessere Balance zwischen den Bereichen zu schaffen.
Davon unabhängig ist die Frage der Digitalisierung der Verwaltung und die Nutzungsgewohnheiten zu sehen. Die Umsetzung des OZG ist bislang noch in den Kinderschuhen, weil die Eifersüchteleien der Behörden eine konzertierte Umsetzung verhindert. EfA hat hier bislang nur einen begrenzten Fortschritt gebracht. Aber das Entscheidende: Wer nur das Interface zwischen Behörde und Bürgern betrachtet, wie das OZG, wird langfristig ein Problem haben. Die Binnendigitalisierung der Behörden ist noch weiter zurück und hier hilft es leider nichts, die bislang bestehenden Prozesse einfach digital abzubilden.
Es geht im Beitrag vielmehr um Wandel und wie erst es Organisationen damit meinen. Danke dennoch für Ihre Ergänzungen und Sichtweisen auf das Thema.