"Jeder ist ersetzbar“ Teil 2: Personalerhalt als neue Priorität im Fachkräftemangel
Im ersten Teil dieser kleinen Serie habe ich skizziert, warum die Einstellung: „Dann geht doch! Jeder ist ersetzbar.“ gefährlich ist. Ich habe dem Argument, dass der Wechsel in die Wirtschaft nicht massenhaft passiert, ein deutliches „noch“ entgegengesetzt und gewarnt, dass ein Zurücklehnen auf den Faktor „Sicherheit“ im öffentlichen Dienst kontraproduktiv ist. Im zweiten Teil lege ich nun den Schwerpunkt auf die notwendige Veränderung. Was gilt es zu tun, um das Ausbluten ganzer Fachbereiche im Public Sector zu verhindern?
Ehrlichkeit währt am Längsten
Gerade nach Ausbildung und Studium herrscht eine regelrechte Flucht aus den Behörden. Nur weg! Gründe sind fehlende Mitsprache bezüglich der Verwendungsstelle, keine Verantwortung in den Einstiegspositionen und nicht selten maximale Unterforderung. Die Marschrichtung der Personalabteilungen darf nicht mehr „Sei doch froh, bei uns lernen und arbeiten zu dürfen!“ sein, sondern: „Wir sind heilfroh, dass du da bist.“
Das beginnt bereits bei der Rekrutierung. Hier ist es längst überfällig, dass gleich mit offenen Karten in Bezug auf den späteren Einsatz gespielt wird. Klar ist die Zahl derer, die sich mit Marketing, Personalmanagement und Öffentlichkeitsarbeit locken lassen, höher. Das bringt aber nichts, wenn man diese Menschen am Ende des Tages in die Kämmerei oder die Ausländerbehörde steckt. Frust und das Gefühl, gehörig verschaukelt worden zu sein, sind genauso nachvollziehbar, wie die dann folgende Kündigung. Ganze Jahrgänge brechen in den Behörden in kürzester Zeit weg. Daher ist es wichtig, auch in den vermeintlich weniger attraktiven Fachgebieten das Personalmarketing zu intensivieren. Und zwar mit realistischen Einblicken und nicht mit möglichst viel Bling Bling und Getöse. Denn in vielen Fällen ist die Ursache der Ablehnung solcher Tätigkeit schlicht Unkenntnis. Mit Ehrlichkeit entscheiden sich vielleicht weniger Menschen für Ausbildung und Studium, dann aber bewusst.
Lehrjahre sind Herrenjahre!
Es folgt ein dringend notwendiges, besseres Management von Ausbildung und Studium, bei dem individuelle Stärken und Interessen stärker berücksichtigt werden. Es muss allen klar sein, dass ein, maximal zwei langweilige und unterfordernde Praktika oder Ausbildungsstellen heute bereits das Ende bedeuten. Denn angesichts des breiten Angebotes muss sich niemand mehr durch solche Lehrjahre quälen. Mit Blick auf die Ausbildungsqualität besteht da einiger Aufholbedarf: Schlechte Ausbildungsplätze müssen identifiziert und dürfen nicht akzeptiert werden!
Mitspracherecht, Anerkennung, frühe Verantwortungsübernahme sowie ein effektives Ideen- und Innovationsmanagement sind weitere Maßnahmen. Es braucht auch endlich eine Antwort in den Organisationen, wie es nach dem Bachelor weiter geht: Nicht ob, sondern wie wird der Master gefördert? Niemand will mit knapp 22 Jahren schon ausgelernt haben. Wer hier nur sagt, „Brauchen wir nicht, uns reichst du als Bachelor“, der verliert die jungen Menschen. Zu Recht!
Risikomanagement statt Überraschung
Kennen Sie Ihre Ziegelsteinkandidaten? Nein, gemeint sind in aller Regel nicht die Behördenleitungen oder hochrangige Führungskräfte. Denn die sind meist tatsächlich ersetzbar. Das sind vielmehr die Kollegen, die als einzige die Datenbank, das Backend oder das System beherrschen. Das sind die Experten, deren Wissen nur einmal in der Organisation existiert. Deren Ausfall (also, wenn sie ein „Ziegelstein“ trifft) ist DER Supergau: Nicht ersetzbar, wenn weg.
Schulterzucken ist in der Regel die Antwort auf meine Frage. Zwar gibt es durchaus Risikomanagement in Behörden – aber nicht beim Personal. Die Personen, die nicht gehen dürfen, sind schlichtweg nicht identifiziert. Oft weiß man gar nicht, was diese Unersetzbaren da eigentlich tun. Und ohne die Kollegen zu kennen, kann auch kein Gespräch stattfinden, wenn diese plötzlich ihr LinkedIn-Profil aktualisieren – ein beinah schon untrügerisches Zeichen für einen Wechselwunsch. Auch fehlt es am Wissensmanagement, um deren Kenntnisse in der Organisation zu halten. Spätestens hier ist erneut festzustellen: "Jeder ist ersetzbar" ist schlicht falsch!
Individuelle Personalentwicklung
Die Aktualisierung von Xing- und LinkedIn-Profil, das Liken von Jobangeboten in den sozialen Medien, die Annahme von Kontaktanfragen von Headhunter oder Recruitern anderer Organisationen, die Frage nach einem Zwischenzeugnis: Es gibt so viele Signale, man muss nur hinschauen. In den Personalabteilungen des öffentlichen Dienstes ist aber niemand da, der hinschaut. Auch, weil kein Problembewusstsein herrscht.
Selbst wenn die Unzufriedenheit nicht mehr ignoriert werden kann, passiert genau: nichts. Keine Fragen nach den Gründen und auch kein Versuch, etwas zu verändern. Individuelle Personalentwicklung kann hier eine Antwort sein. Gemeint sind regelmäßige Gespräche zwischen Mitarbeiter und Personaler. Man tauscht sich über die aktuelle Situation, die Zufriedenheit und Weiterentwicklungswünsche aus. Dann schaut das Personalmanagement, wie entsprechende Angebote gemacht werden können. Diese müssen natürlich überhaupt einmal da sein. Dies bedeutet einen radikalen Wandel in den Personalabteilungen - weg von Command & Control, hin zum Dienstleistungsmanagement.
Führung als Schlüsselfaktor
Gerne können solche Gespräche auch mit der Führungskraft geführt werden, aber das klappt ja bereits heute nicht so gut mit den Mitarbeitergesprächen. Dennoch ist es längst kein Geheimnis mehr, dass Führungskräfte nicht als Obersachbearbeiter agieren sollten. Ihre Aufgabe ist viel eher, für die optimalen Rahmenbedingungen zu sorgen und vor allem die Personalentwicklung ihrer Mitarbeiter. Da reicht die jährliche Schulung aus dem Fortbildungskatalog nicht. Besser als „die offene Tür“ (nett gemeint, aber im Grunde eine deutliche Machtdemonstration) ist die aktive Unterstützung.
Wertschätzung ist einer der wichtigsten Faktoren. Das kann ein offen und vor allen ausgesprochenes Lob, aber auch die Übergabe von mehr Verantwortung sein. Schade, dass das nicht klappt. Denn der meist genannte Grund für Kündigung ist regelmäßig toxische Führung. Auch wenn die Organisationen ein modernes Verständnis von Führung in ihren Broschüren beschreiben, wird dennoch flächendeckend nichts gegen schlechte Führungskräfte unternommen. Es fehlt aber schlicht an der Alternative Fachkarriere und an einer Fehlerkultur, die den Rücktritt aus der Führung erlaubt. Also geht der Mitarbeiter, die Führungskraft bleibt und so weiter und so weiter.
Wiedereinstellung
Dennoch helfen trotz aller Bemühungen manchmal Gespräche und Angebote nicht und der Kollege geht. Wer jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt und sich stattdessen professionell und wertschätzend für die geleistete Arbeit bedankt und sich verabschiedet, der macht die Tür für eine Rückkehr weit auf. Personalmarketing bedeutet in Zeiten des Fachkräftemangels auch, die Ehemaligen über die Organisation auf dem Laufenden zu halten. Wenn sich dann eine Position abzeichnet: Einfach mal nachfragen. Wer weiß, vielleicht ist der neue Arbeitgeber gar nicht so gut oder die Lebensumstände haben sich geändert.
Ehemalige als Zielgruppe zu definieren und entsprechend zu re-rekrutieren ist extrem effektiv. Denn die Kollegen wissen genau, worauf sie sich einlassen und die Einarbeitung verkürzt sich massiv. Richten Sie einen Karrierenewsletter ein, der über Neuigkeiten informiert. Aber auch hier sehe ich viele Fehler: Von einer gönnerhaften „Ich habe es dir doch gesagt“ Einstellung bis dahin, dass sich die Ehemaligen im Bewerbungsprozess für ihre alte Position wie alle anderen externen Kandidaten neu beweisen müssen. Hand aufs Herz: Würden Sie das mitmachen?
„Jeder ist ersetzbar“, stimmt nicht. Stimmte noch nie und wird es definitiv auch nie. Darum sind Ehrlichkeit, Wertschätzung, gute Führung und Teamgefüge sowie die Option zu individueller Personalentwicklung so wichtig. Dies sind einige wesentliche Maßnahmen zum Personalerhalt. Unter dem Stichwort „Retention“ sind sie eine Schlüsselaufgabe der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Fachkräftemangel. Es gilt dafür jetzt schnellstens Bewusstsein und Kapazitäten zu schaffen.
Im letzten Teil 3 dieser kleinen Serie beschäftigte ich mich einer weiteren Maßnahme: Dem leider meist vollkommen ignorierten, internen Personalmarketing.
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