Lasst sie einfach ihren Job machen!
Purpose zieht nicht mehr
Oft kritisiere ich, dass sich Arbeitgebermarken im öffentlichen Dienst zu stark gleichen. Es fehlt an Unterscheidungsmerkmalen, die den Menschen Entscheidungsgründe für die eine oder gegen die andere Behörde liefern. Zum Einheitsbrei gehört auch das Versprechen vom Sinn des öffentlichen Dienstes - neudeutsch Purpose. Zum einen gelingt es den wenigsten Arbeitgebern, die Sinnhaftigkeit des Public Sectors auf die eigene Behörde oder die aktuell ausgeschriebene Stelle zu übertragen. Zum anderen zeigen Studien, dass den Menschen der Purpose der Organisation relativ egal ist. Da ist die Bezahlung wichtiger. Auch Sicherheit als Attraktivitätsfaktor gewinnt in aktuell unsicheren Zeiten wieder an Bedeutung und läuft dem Purpose den Rang ab.
Lasst die Leute machen!
Ist der Purpose des öffentlichen Dienstes kein Antrieb, stellt sich die Frage, was dann langfristig motiviert. Was hält die Menschen in ihren Aufgabenbereichen? Was lässt sie auch über Jahre gerne zur Arbeit gehen oder trotz Stress durchalten? Die Antwort ist erstaunlich simpel: Die Menschen wollen einfach ihren Job machen! Solange sie das können, macht ihnen ihre Arbeit trotz aller Widrigkeiten Spaß. Dafür muss der Arbeitgeber vertrauen und Führungskräfte müssen die Mannschaft machen lassen. Nur so haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, eigenverantwortlich, professionell und engagiert ihre Aufgaben zu erfüllen und ihre Verantwortung wahrzunehmen. Das macht Spaß, erzeugt Zufriedenheit, erfüllt einen mit Sinn und motiviert, weiterzumachen. Diese als sinnhaft erlebten eigenen Aufgaben fördern Höchstleistung, Innovation und die Bereitschaft, bei Bedarf auch weit über die 40 Stunden hinaus Leistung zu bringen.
Die tägliche Sinnfrage
Der Sinn, den die Menschen in ihrer Tätigkeit finden, ist also wichtiger als der Purpose der Organisation. Der Job – und nicht die Behörde oder der öffentliche Dienst an sich – muss als sinnhaft erlebt werden. Schwierig wird es daher, wenn man mit mehr oder minder sinnfreien Tätigkeiten konfrontiert ist: Meetings ohne Tagesordnung und Ergebnis, Umformulierungen wirklich aller Hierarchiestufen, bis man wieder beim Ausgangstext ist, Pflege von Statistiken, die keiner liest, die maximal aufwendige Organisation großer Events, die kaum besucht werden, usw, usw. - Sie wissen, wovon ich spreche. Auch ist das unqualifizierte Einmischen von oben und immer neue „sinnfreie“ Management-Methoden, die wie die sprichwörtliche Sau durch die Organisation getrieben werden, da eher kontraproduktiv.
Dieser eher operative Sinn oder besser die Freude am Job ist kein Hygienefaktor, der einem Gewöhnungseffekt unterliegt und dem man durch regelmäßige Erinnerung begegnen kann. Spaß an der eigenen Arbeit geht stattdessen im Alltag zum Teil erstaunlich schnell für immer flöten und ist damit nicht geeignet, die Menschen beim Arbeitgeber und im öffentlichen Dienst zu halten. Im Gegenteil. Bestenfalls verhindern Bequemlichkeit, Wohnortnähe, Homeoffice- und gerne auch Teilzeitmöglichkeiten eine Kündigung oder Versetzung. All das sind geeignete Instrumente für den Personalerhalt. Aber motivierend sind sie nicht.
Man hätte von Corona lernen können
Für mich war Corona in diesem Punkt ungeheuer lehrreich. Vorher erzeugte Telearbeit bei vielen Führungskräften eine schon fast mit den Händen zu greifende Abwehrreaktion. Es war undenkbar, den Mitarbeiter so ganz ohne Kontrolle von zuhause arbeiten zu lassen. Kernarbeitszeiten waren einzuhalten, Zeit- und Ortsflexibilität lag auch mit Teilzeitantrag bei nahe Null. Und plötzlich kam ein Virus und alle mussten ins Homeoffice!
Was ist passiert? Nichts. Die allermeisten Menschen in Deutschlands Behörden haben weiterhin ihren Job gemacht. Und sie haben ihn gut gemacht. Allein und daheim, eigenmotiviert und ganz ohne Präsenz-Meetings und Führungskraft, die einem sagt, was man wann zuerst machen muss. Der Grund war, dass die Menschen - gerade durch Corona und die unfreiwillig entstandene Eigenverantwortung - Sinn erlebt haben durch und in ihrem Job.
Leistung? Zweitrangig!
Daraus hätte man die richtigen Schlüsse ziehen können. Hätte. Stattdessen ruft man die Menschen heute vermehrt zurück ins Büro, um sie unter Kontrolle zu bekommen. Mit dem an den Tag gelegten Misstrauen gehen Arbeitgeber vollkommen konträr zu den Wünschen der Beschäftigten und zerstören Sinn. Einer aktuellen Studie zufolge machen fehlende oder eingeschränkte Homeofficemöglichkeiten Arbeitgeber am stärksten unattraktiv.
Leistung ist wichtiger als Anwesenheit! So heißt es in jeder Managementliteratur. In der Realität ist das Gegenteil der Fall. Wir können scheinbar nicht anders: Kontrollmechanismen für Anwesenheit und Zeiterfassung werden - sekundiert vom Gesetzgeber - aufgebaut und bieten beste Optionen der Überwachung. Man kontrolliert, ob und wie lange der PC im Ruhemodus war und ob die Homeoffice-Quote eingehalten wurde. Und wehe, die Abwesenheitsmeldung wurde vergessen! Manche Führungskraft hat es sich schon fast zum Sport gemacht, solche Verstöße zu entdecken und zu ahnden. Leistung und Erfolg im Job spielen in den meisten Organisationen dagegen keine wirkliche Rolle.
Innere Kündigung
Die Menschen spüren genau, dass trotz guter Leistungen, fehlerfreien Arbeitens und zig Überstunden das Misstrauen wieder da ist und ehrlicherweise auch nie weg war. Das frustriert ungemein und zerstört Sinn. Ist die Freude an der eigenen Arbeit erst einmal weg, müssen sich Arbeitgeber um die neue Personalmarketingkampagne oder Retentionsmaßnahme wirklich keine Gedanken mehr machen. Dann herrscht innere Kündigung, was viel gefährlicher für den öffentlichen Dienst ist als echte Fluktuation.
Dienst nach Vorschrift kann sich keine Organisation leisten. Aber genau das bekommen die Organisationen, die ihren Schwerpunkt auf Misstrauen und Kontrolle legen. Die nächste Krise kommt bestimmt und dann wird das Heer der Beschäftigten ohne Sinnerfüllung ihr Engagement überdenken. Es ist daher dringend angezeigt, Leistung und nicht Anwesenheit in den Fokus zu nehmen. Es macht Sinn, wenn Vertrauen, Flexibilität und Freiheit gelebter Bestandteil der Unternehmenskultur werden.
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