Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Sprungrevision
Leitsatz (redaktionell)
Beifügung der Zustimmung des Gegners zur Revisionsschrift (§ 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG) – hier: unvollständige Übermittlung per Telefax
Normenkette
ZPO § 554a Abs. 2, § 234 Abs. 1; ArbGG § 74 Abs. 2, § 76 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
KreisG Neubrandenburg (Urteil vom 16.04.1992; Aktenzeichen 1 Ca 6154/91) |
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Kreisgerichts Neubrandenburg vom 16. April 1992 – 1 Ca 6154/91 – wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Tatbestand
I. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat mit Telefax vom 27. Mai 1992, das am gleichen Tag beim Bundesarbeitsgericht eingegangen ist, Sprungrevision gegen das ihm am 27. April 1992 zugestellte Urteil des Kreisgerichts Neubrandenburg vom 16. April 1992 eingelegt. Die Telefax-Sendung sollte nach einer Mitteilung auf dem Deckblatt einschließlich desselben 18 Seiten umfassen. Blatt 1 des Telefax-Briefes war das Deckblatt, Blatt 2 gab die Revisionsschrift wieder. Seite 3 des Telefax-Briefes, die die schriftliche Einverständniserklärung des beklagten Landes zur Sprungrevision enthalten sollte, ist beim Bundesarbeitsgericht nur unvollständig eingegangen. Auf dieser Seite, die in ihrer Größe nur 1/3 eines DIN A 4-Blattes umfaßt, ist der Briefkopf des Innenministers des Landes Mecklenburg-Vorpommern angegeben. Sie enthält jedoch keine weiteren Textteile. Markiert sind außerdem nur die Nummer des Absendegerätes, die Uhrzeit und die Seitenangabe (S 03). Auf den weiteren Blättern befindet sich das vollständige fünfzehnseitige Urteil der Vorinstanz. Entgegen der Ankündigung in der Telekopie der Revisionsschrift hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der Folgezeit weder das Original der Revisionsschrift noch eine Einverständniserklärung des beklagten Landes zu den Akten gereicht. Lediglich die mit Telefax am 26. Juni 1992 dem Bundesarbeitsgericht übermittelte Revisionsbegründungsschrift ist mit Anlagen am 30. Juni 1992 im Original eingegangen. Durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 24. Juli 1992 wurde der Prozeßbevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen, daß die Einwilligungserklärung dem Telefax vom 27. Mai 1992 nicht beigefügt war. Zugleich wurde ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und eventuellen weiteren Veranlassung gegeben. Diese Verfügung wurde dem Klägervertreter am 3. August 1992 mit Empfangsbekenntnis zugestellt. Mit Schreiben vom 3. August 1992, beim Bundesarbeitsgericht am 5. August 1992 eingegangen, übersandte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers eine vollständige Fotokopie der Einwilligungserklärung vom 21. Mai 1992. Im Anschreiben hierzu ist lediglich ausgeführt: „Die Zustimmungserklärung zur Sprungrevision wurde Ihnen offenbar fehlerhaft übermittelt”.
Entscheidungsgründe
II. Die Sprungrevision ist unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlichen Form eingelegt ist. Sie ist deshalb gem. § 74 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 554 a Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß des Senats zu verwerfen.
1. Das Rechtsmittel ist statthaft.
Das Kreisgericht hat die Sprungrevision im Tenor seines Urteils ausdrücklich zugelassen und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in den Entscheidungsgründen bejaht. Hieran ist das Revisionsgericht nach § 76 Abs. 2 Satz 2 ArbGG gebunden.
Die Sprungrevision ist auch fristgerecht eingelegt worden. Das Urteil des Kreisgerichts wurde dem Kläger am 27. April 1992 zugestellt. Die Revisionsschrift ist beim Bundesarbeitsgericht am 27. Mai 1992 eingegangen, die Revisionsbegründungsschrift am 26. Juni 1992. Beide Schriftsätze entsprechen der gesetzlichen Form. Nach der einheitlichen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes können Rechtsmittelschriften auch im Wege des Telebriefdienstes oder durch direkte Telefax-Übermittlung wirksam eingelegt werden (vgl. BAGE 50, 348, 353 f. = AP Nr. 2 zu § 94 ArbGG 1979, zu B 2 b der Gründe; BAGE 61, 201, 204 f. = AP Nr. 10 zu § 130 ZPO, zu B II 2 und 3 der Gründe; BGH Urteil vom 2. Oktober 1991 – IV ZR 68/91 – NJW 1992, 244, zu 1 a der Gründe; BGH Beschluß vom 11. Oktober 1989 – IV a ZB 7/89 – LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 25, zu II der Gründe; BFH Beschluß vom 26. März 1991 – VIII B 83/90 – NJW 1991, 2927, zu 2 der Gründe; vgl. aus der Literatur insbesondere Ch. Wolf, NJW 1989, 2592 ff., mit umfassenden Nachweisen). Danach ist die Übermittlung einer schriftlichen Erklärung unmittelbar vom Telefax-Gerät des Absenders an das Empfängergerät des Gerichts wirksam, wenn der Inhalt des Schriftstücks und die Unterschrift der das Rechtsmittel einlegenden Person einwandfrei und zuverlässig wiedergegeben sind. Eine so übermittelte Revisionsschrift ist zwar nicht eigenhändig unterzeichnet. Dessen bedarf es jedoch dann nicht, wenn, wie vorliegend, das der Telefax-Übermittlung zugrunde liegende Schriftstück handschriftlich unterzeichnet wurde (BAGE 61, 201, 204 f. = AP, a.a.O., m.w.N.).
2. Die Sprungrevision ist dennoch unzulässig, weil die nach § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG erforderliche Zustimmung des beklagten Landes nicht innerhalb der Revisionsfrist beim Bundesarbeitsgericht eingegangen ist.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 31. Januar 1955 – III ZR 77/54 – LM § 566 a ZPO Nr. 1) und des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 36, 325 f. = AP Nr. 1 zu § 76 ArbGG 1979, zu II 1 der Gründe, m. zust. Anm. von Vollkommer) kann die Zustimmungserklärung zwar dem zur Entscheidung berufenen Gericht auch noch nach Eingang der Revisionsschrift vorgelegt werden, sie muß dort jedoch vor Ablauf der Revisionsfrist eingehen. In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist weiter anerkannt, daß der Rechtsmittelführer grundsätzlich die Verantwortung für den frist- und formgerechten Eingang seines Rechtsmittels trägt (BAGE 50, 348, 355 = AP Nr. 2 zu § 94 ArbGG 1979, zu B 2 c der Gründe). Demzufolge trug der Prozeßbevollmächtigte des Klägers das Risiko für die Übersendung der Revisionsschrift und der Einverständniserklärung. Das Übermittlungsrisiko muß der Prozeßbevollmächtigte bei der Rechtsmitteleinlegung durch Telefax in gleicher Weise tragen wie bei brieflicher Übermittlung. Der Bundesgerichtshof hat demgegenüber in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts differenziert (vgl. BVerfGE 69, 381, 385 f.; BGHZ 105, 40, 43 f.; BGH Beschluß vom 12. Dezember 1990 – VII ZB 64/90 – FamRZ 1991, 548): Risiken und Unsicherheiten, deren Ursachen allein in der Sphäre des Gerichts liegen, dürfen bei der Entgegennahme fristgebundener Schriftsätze unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung nicht auf den Bürger abgewälzt werden. Eine unlesbar oder verstümmelt zu den Akten gelangte fernschriftliche Einspruchsbegründung, deren Inhalt sich erst nachträglich feststellen läßt, ist danach als mit ihrem vollständigen Inhalt eingegangen anzusehen, wenn die Ursache für den Mangel an Lesbarkeit oder Vollständigkeit in der Sphäre des Gerichts gelegen hat.
Auch nach diesen Grundsätzen könnte nicht von einem vollständigen und fristgerechten Eingang der Zustimmungserklärung ausgegangen werden. Der Übermittlungsfehler lag nämlich nicht allein in der Sphäre des Bundesarbeitsgerichts.
Ausweislich des vom Empfangsgerät des Bundesarbeitsgerichts ausgedruckten „Journals”, in dem die empfangenen Sendungen in der Reihenfolge ihres Eingangs nach laufender Nummer, Kennung, Datum und Zeit, Dauer der Übermittlung, Seitenzahl und mit einer Bemerkung über die Empfangsqualität registriert werden, wurden vom Absendegerät des Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 27. Mai 1992 in der Zeit von 14.06 Uhr bis 14.44 Uhr 17 Seiten übermittelt. Insgesamt sind jedoch beim Bundesarbeitsgericht wie angekündigt, 18 Seiten eingegangen. Die Sendung umfaßte das vorinstanzliche Urteil von 15 Seiten, von denen zwei, nämlich die Seiten 11 und 12 dieses Urteils, dieselbe Seitenzahl des Absenders (P. 003) enthalten. Bei Seite 11 ist diese Zahl am oberen Blattanfang abgedruckt, bei Seite 12 am unteren. Das Journal weist für die vom Absendegerät des Prozeßbevollmächtigten des Klägers übermittelten Briefe in der Spalte „Bemerkungen” unterschiedliche Übermittlungsfehler aus, die teils auf einen Abbruch des Übermittlungsvorganges (KOMM-F 58) hinweisen, teils auf schlechten Abdruck einzelner Buchstaben oder Worte (KOMM-F 57). Mit „gut” ist der Empfang von insgesamt sechs Textseiten bezeichnet. Ein Vergleich der Angaben über die Sendezeiten auf dem Journal mit denjenigen auf den übermittelten Seiten zeigt, daß auch die Übermittlung der Seite mit der Zustimmungserklärung gestört war. Offenkundig bemerkte dies auch die Person, die das Absendegerät bediente, denn die Übermittlung aller Seiten erstreckte sich über einen Zeitraum von mehr als 30 Minuten, setzte also wiederholte Versuche voraus, die dem Bediener des Absendegeräts auffallen mußten und, wie Zahl und Dauer der Vorgänge belegen, auch aufgefallen sind. Der Übermittlungsfehler lag deshalb nicht allein in der Sphäre des Gerichts. Er ist vielmehr von dem Benutzer des Absendegeräts verursacht worden, der trotz der Übermittlungsschwierigkeiten, die ihm auffallen mußten, keine Vorsorge dafür getroffen hat, daß die Zustimmungserklärung dennoch fristgerecht bei Gericht einging. Selbst wenn, was dahinstehen kann, das Absendegerät des Prozeßbevollmächtigten des Klägers kein Absendeprotokoll erstellt haben sollte, aus dem die Übermittlungsfehler zu ersehen waren, hätte der Benutzer des Absendegerätes, nachdem die Störung zu erkennen war, sich der vollständigen Übermittlung versichern müssen, beispielsweise durch einen an diesem Tag vor Dienstschluß beim Bundesarbeitsgericht noch möglichen Telefonanruf, und gegebenenfalls weitere Vorsorge für den rechtzeitigen Eingang treffen müssen. Dieser Pflicht hat er sich nicht durch die auf dem Deckblatt abgedruckte Bitte entledigt, die Sendung auf ihre Leserlichkeit und Verständlichkeit hin zu überprüfen. Der zuständige Geschäftsstellenleiter, dem das Telefax, wie seinem Bearbeitungsvermerk zu entnehmen ist, noch am 27. Mai 1992 vorgelegt wurde, konnte nicht erkennen, daß Seite 3 unvollständig war. Dies mußte auch nicht wegen der Größe des Papieres auffallen, da das Empfangsgerät des Bundesarbeitsgerichts übermittelte Schreiben in Originalgröße, also nicht etwa alle Schreiben auf DIN A 4-Blättern, wiedergibt. Außerdem enthielt das fragliche Blatt einen Absendevermerk, so daß der Beamte annehmen konnte, der Text dieser Seite sei vollständig übersandt. Da er die eingehenden Rechtsmittel nur den zuständigen Senaten zuweist, bestand für ihn auch kein Anlaß, die Anlagen inhaltlich auf deren Vollständigkeit zu überprüfen. Schließlich hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, obwohl ihm mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 24. Juni 1992 Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, nicht behauptet, das Schreiben sei aus Gründen, deren Ursache beim Empfänger liegt, nicht fristgerecht beim Bundesarbeitsgericht eingegangen.
Nach alledem ist davon auszugehen, daß die Zustimmungserklärung des beklagten Landes zur Sprungrevision nicht rechtzeitig beim Bundesarbeitsgericht eingegangen ist.
b) Dem Kläger kann auch nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Es kann dahinstehen, ob bei nicht fristgemäßer Vorlage der Einverständniserklärung zur Sprungrevision die Wiedereinsetzung überhaupt gewährt werden kann. In der Literatur wird dies überwiegend bejaht (Bepler, NJW 1989, 686; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., § 566 a Rz 4; Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Aufl., § 566 a Anm. B I c 5; a.A.: Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl., § 566 a Anm. 1 C). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Beschluß vom 15. März 1978 – 1 RA 33/77 – SozR 1500 § 67 SGG Nr. 11) ist die Wiedereinsetzung in derartigen Fällen ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall käme die Wiedereinsetzung bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger sie innerhalb der Frist nach § 234 Abs. 1 ZPO nicht beantragt hat und auch keine Veranlassung besteht, ohne Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat innerhalb von zwei Wochen nach der Behebung des Hindernisses keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Die Frist endete mit Ablauf des 17. August 1992, nachdem der Rechtsanwalt des Klägers mit Zustellung der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 3. August 1992 Kenntnis von der Versäumung der fristgebundenen Handlung erlangt hatte (BGH Urteil vom 3. Juli 1985 – IV b ZB 58/85 – VersR 1985, 1183).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann auch ohne förmlichen Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts gewährt werden (Urteil vom 23. Mai 1989 – 2 AZB 1/89 – AP Nr. 14 zu § 233 ZPO 1977). Dies setzt allerdings voraus, daß innerhalb der Zweiwochenfrist die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung offenkundig sind (vgl. Zöller/Stephan, ZPO, 17. Aufl., § 236 Rz 5). Daran fehlt es vorliegend. Zu den offenkundigen Tatsachen, die für eine Gewährung der Wiedereinsetzung ohne ausdrücklichen Antrag erforderlich sind, gehört das mangelnde Verschulden an der Fristversäumung (vgl. BAG, a.a.O.). Tatsachen dafür, daß den Kläger an der Fristversäumung kein Verschulden traf, sind weder offenkundig noch auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 24. Juli 1992 hin vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers behauptet worden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Kremhelmer
Fundstellen