Entscheidungsstichwort (Thema)

13. Monatseinkommen - Arbeitsverhältnis während Kündigungsschutzverfahrens

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob einem Arbeitnehmer ein tarifvertraglicher Anspruch auf eine betriebliche Sonderzahlung auch bei Weiterbeschäftigung während eines Kündigungsrechtsstreits nach dem Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30.10.1976 zusteht.

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 20.11.1986; Aktenzeichen 10 Sa 555/86)

ArbG Bocholt (Entscheidung vom 13.02.1986; Aktenzeichen 3 Ca 726/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein tarifvertraglicher Anspruch auf eine betriebliche Sonderzahlung auch bei Weiterbeschäftigung während eines Kündigungsrechtsstreits zusteht.

Der Kläger war über drei Jahre bei der Beklagten beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttoeinkommen betrug 1984 monatlich 4.000,-- DM. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 11. Oktober zum 31. Oktober 1984. Sie beschäftigte den Kläger über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 3. Oktober 1985 weiter, durch die die vom Kläger gegen die Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage abgewiesen wurde.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. Oktober 1976 (TV) Anwendung. Dieser lautet u.a.:

"§ 2

Voraussetzungen und Höhe der Leistung

1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am

Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw.

Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeit-

punkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate ange-

hört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch

auf betriebliche Sonderzahlungen.

...

2. Die Sonderzahlungen werden nach folgender

Staffel gezahlt:

...

nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 %

eines Monatsverdienstes bzw. einer Monatsver-

gütung.

...

§ 3

Zeitpunkt

1. Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebs-

vereinbarung geregelt.

2. Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinbarung

nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungstag im

Sinne des § 2 Ziffer 1 der 1. Dezember."

Mit Schreiben vom 28. Februar 1985 forderte der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten die Beklagte zur Nachzahlung des tariflichen Anspruchs auf betriebliche Sonderzahlung für das Jahr 1984 ergebnislos auf.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe auch bei Weiterbeschäftigung während der Kündigungsschutzklage im Jahr 1984 ein tariflicher Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung in Höhe von rechnerisch unstreitig 2.000,-- DM zu.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

2.000,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen

seit dem 21. März 1985 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, eine Weiterbeschäftigung über den Kündigungszeitpunkt hinaus könne keinen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung begründen. Sie habe den Kläger lediglich zur Vermeidung der gerichtlichen Geltendmachung und zwangsweisen Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs beschäftigt. Dabei sei das ursprüngliche Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt worden. Für eine einverständliche Fortsetzung dieses Arbeitsverhältnisses fehle es an einem entsprechenden Wille der Parteien.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter; der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachaufklärung.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe einen tarifvertraglichen Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nach der Kündigung durch Vereinbarung befristet für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits zu den gleichen Arbeitsbedingungen fortgesetzt worden sei. Am Auszahlungstag habe daher ein Arbeitsverhältnis bestanden.

II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Der Anspruch des Klägers ist gemäß § 2 Ziff. 1 i.Verb.m. § 3 TV begründet. Danach kann der Kläger nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 % eines Monatsverdienstes als betriebliche Sonderzahlung verlangen, wenn er am 1. Dezember, dem Auszahlungstag, in einem Arbeitsverhältnis steht.

2. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist trotz der Kündigung der Beklagten zum 31. Oktober 1984 zwischen den Parteien in Fortsetzung des gekündigten Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung ein Arbeitsverhältnis zustandegekommen. Am Auszahlungstag habe der Kläger somit in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Diese Auslegung ist - da es sich um einen nichttypischen Vertrag handelt - in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob das Landesarbeitsgericht die Auslegungsregeln eingehalten, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen und den gesamten Auslegungsstoff berücksichtigt hat. Derartige Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.

a) Beschäftigt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung und nach Ablauf der Kündigungsfrist weiter, so kann darin der Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages oder die Vereinbarung liegen, daß das Arbeitsverhältnis auflösend bedingt durch die rechtskräftige Entscheidung der Kündigungsschutzklage fortgesetzt werden soll. Fordert der Arbeitgeber einen gekündigten Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist auf, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über die Kündigungsschutzklage fortzuführen, oder stellt er ihm dies anheim, so geht der Vertragswille der Parteien dahin, das Arbeitsverhältnis, das der Arbeitgeber durch die Kündigung beenden möchte, bis zur endgültigen Klärung, ob und gegebenenfalls für welchen Zeitpunkt die Kündigung wirksam geworden ist, fortzusetzen (BAGE 50, 370 = AP Nr. 66 zu § 1 LohnFG). Eine Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses ist aber auch dann gegeben, wenn die Weiterbeschäftigung nicht auf der Veranlassung des Arbeitgebers beruht, sondern die Parteien nach Ablauf der Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis dadurch fortsetzen, daß der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers nicht einstellt und der Arbeitgeber den Lohn zahlt (BAGE 53, 17 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Anders kann das Verhalten der Parteien auch nicht verstanden werden. Denn der Arbeitnehmer ist aufgrund des gekündigten Arbeitsverhältnisses zu weiterer Arbeitsleistung nicht verpflichtet (vgl. BAG Großer Senat, Beschluß vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, zu C I 3 der Gründe), und der Arbeitgeber muß vor Erlaß eines die Kündigung für wirksam erklärenden Urteils - abgesehen von dem Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung - den Arbeitnehmer in der Regel nicht weiterbeschäftigen (BAG, Großer Senat, aaO, zu C II 3 a und b der Gründe).

b) Entgegen der Auffassung der Revision kann sich der Arbeitgeber bei einer Weiterbeschäftigung nach Ablauf des Kündigungszeitpunktes auch nicht darauf berufen, die Beschäftigung sei lediglich zur Vermeidung der gerichtlichen Geltendmachung und zwangsweisen Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs erfolgt. In der Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist fehlte es an einer die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verurteilenden Entscheidung (vgl. BAG, Großer Senat, aa0), so daß vom Standpunkt des Klägers als Erklärungsempfänger dieser Beweggrund der Beklagten nicht erkennbar und daher nach § 116 Satz 1 BGB unbeachtlich war.

c) Die Weiterbeschäftigungsvereinbarung für die Zeit des Kündigungsschutzverfahrens entfiel auch nicht dadurch, daß die Kündigung sich rückwirkend zum 31. Oktober 1984 als wirksam herausstellte. Zwar besteht in Rechtsprechung (vgl. BAG Urteile vom 15. Januar 1986 und 4. September 1986, aa0) und Literatur (Bengelsdorf, SAE 1987, 254, 261; Misera, SAE 1986, 260, 261; Ramrath, DB 1987, 92; Dütz, ArbuR 1987, 317, 322; Dänzer-Vanotti, DB 1985, 2610, 2614; Berkowsky, BB 1986, 795, 798) keine einheitliche Meinung über das rechtliche Wesen eines solchen Arbeitsverhältnisses, doch es besteht trotz unterschiedlicher rechtlicher Konstruktion kein Zweifel über das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Denn selbst das faktische Arbeitsverhältnis erzeugt wegen der Tätigkeit des Arbeitnehmers für die Vergangenheit ähnliche Rechtswirkungen wie ein durch befristeten oder auflösend bedingten Arbeitsvertrag begründetes Arbeitsverhältnis (BAGE 5, 58, 65 = AP Nr. 2 zu § 125 BGB; BAGE 5, 159, 161 = AP Nr. 2 zu § 123 BGB; BAG Urteil vom 7. Juni 1972 - 5 AZR 512/71 - AP Nr. 18 zu § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis; Schwerdtner, ZIP 1985, 1361, 1369; Falkenberg, DB 1987, 1534, 1535). Damit liegt aber am Auszahlungstag ein Arbeitsverhältnis vor, so daß der tarifliche Anspruch auf betriebliche Sonderzahlung nach § 2 Ziff. 2 TV in unstreitiger Höhe von 2.000,-- DM grundsätzlich gegeben ist.

III. Gleichwohl konnte der Senat den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden, weil das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Kläger den tarifvertraglichen Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung gemäß § 2 Ziff. 1 TV innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gemäß § 17 Ziff. 2 Buchst. b des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW vom 30. April 1980 geltend gemacht hat. Das Landesarbeitsgericht hat lediglich festgestellt, daß der Kläger die beanspruchte Zahlung mit Schreiben vom 28. Februar 1985 angemahnt hat. Über den Zeitpunkt des Zugangs an die Beklagte liegen keine Feststellungen vor. Eine abschließende Beurteilung war dem Senat daher nicht möglich; dies wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben.

Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider

Schmidt Fischer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440692

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